Welches „Wir“?

Foto: Enno Lenze/Flickr

NoPegida in Berlin, Foto: Enno Lenze/Flickr

Die Bärgida-Demonstration am Roten Rathaus stellen uns vor die Frage, wie wir uns definieren möchten. Und mitten drin: Neukölln. Für die einen muss der Bezirk als abschreckendes Negativbeispiel der „Islamisierung“ herhalten, während die meisten Neuköllner ihren Wohnort als Chance des Austauschs begreifen. (mehr …)

Montag, 12. Januar 2015

Bärgida: Ein aus Sachsen importierter Demonstrations-Franchise, welches Nazis, Hooligans und sonstige Patrioten unter einem, schwarz-rot-goldenem Banner gegen den Islam vereint? So ganz einfach ist es nicht. Die angebliche Islamisierung des „Abendlandes“, ist nur einer von vielen Beweggründen der rechtspopulistischen Demonstranten, die in Berlin so wie auch in Dresden, Leipzig, Kassel und vielen weiteren Städten der Bundesrepublik. Fremden- und Religionsfeindlichkeit, gehen mit Existenzängsten und dem Empfinden einher, von Seiten der Politik nicht mehr wahrgenommen und repräsentiert zu werden.

Am 5. Januar setzten 6.000 BürgerInnen der Hauptstadt ein klares Zeichen gegen Religions- und Menschenfeindlichkeit, in dem sie sich den 400 Bärgida-Demonstranten entgegenstellten. Der Aufmarsch der „besorgeten Europäer“ wurde blockiert, bis diese schließlich die Demo auflösten.

Das flexible Wir

Hakan Demir, stellvertretender Vorsitzender der AG Migration der SPD Neukölln, beschreibt das Vorgehen der Pegida-/Bärgida-Organisatoren als Taktik. „Da wird etwas Schützenswertes, die Kulturgemeinschaft des europäischen Abendlandes, aufgebaut und eine Bedrohung konstruiert, um die Ängste der Bürger auf einen gemeinsamen Sündenbock zu kanalisieren.“ Doch was muss von wem verteidigt werden? Vieles wird vermischt. Die selbsternannten abendländischen Patrioten wollen ein „Flüchtlingsproblem“ in einem Atemzug mit der muslimischen Gemeinde in der Nachbarschaft bekämpfen. Das hat weniger mit dem Islam zu tun, als mit der Angst vor „kultureller Überfremdung“ und einer nicht nachvollziehbaren Migrations- und Flüchtlingspolitik.

„Welches europäische Abendland wollen wir da eigentlich verteidigen?“ Fragt sich Demir und fordert, dass wir „ein flexibles Wir brauchen, in dem ein Flüchtling aus Syrien genauso ein Teil der Gesellschaft ist wie ein deutscher Bürger der 12. Generation. Und kein stabiles Wir, welches sich aus einer konstruierten Form des Deutschseins begründet.“

Neukölln das Problemviertel

Würde man 50 Pegida-Demonstranten aus Dresden in einen Fernbus setzen und ließe sie am Hermannplatz aussteigen, kann man davon ausgehen, dass sie sich in all ihren schlimmsten Befürchtungen und Ängsten bestätigt sähen. Neukölln repräsentiert wohl all das, was immer mehr verängstigte „Patrioten“ zu verhindern versuchen.

„Wie lächerlich“, entgegnet der angehende Rabbiner, Armin Langer. „Neukölln ist ein Bezirk in dem mehr englisch, als arabisch oder türkisch gesprochen wird. Wenn das Stadtbild des Bezirks durch eine Bevölkerungsgruppe dominiert wird, dann sind es die Hipster“, beschreibt er augenzwinkernd. „Und selbst wenn Neukölln ‚islamisiert wäre‘, was würde das bedeuten? Wäre das schlimm?“

Armin Langer, Foto: Melisa Karakus

Armin Langer, Foto: Melisa Karakus

Bestärkt und mit Horrorszenarien gefüttert, werden die selbsternannten Patrioten auch von Neuköllns Bürgermeister, Heinz Buschkowsky. Er weiß sich immer wieder mit reißerischen Verlautbarungen in Szene zu setzen. Beispielsweise sähe er aus seinem Bürofenster größten Teils Frauen mit langen schwarzen Mänteln und Kopfbedeckungen. „Das verbinde ich“, so Buschkowsky, „nicht mit dem Begriff Europa.“ Parteigenosse Hakan Demir, kennt den Ausblick aus dem Büro des Neuköllner Bürgermeisters und weist darauf hin, dass man „direkt gegenüber eine urdeutsche Fleischerei, eingebettet in einem sehr gemischtes Stadtbild“, zu Gesicht bekommt.

Neukölln als Chance des Austauschs

Dass Neukölln ein Bezirk ist, in dem interkultureller und -religiöser Austausch stattfindet, beweisen etliche Austauschprogramme und Bürgerinitiativen. Eine davon ist die von von Armin Langer mitbegründete Salaam Schalom Initiative, kurz SaSha (wir berichteten). In wöchentlichen stattfindenden Soirées, Workshops und Arbeitsgruppen, werden interreligiöse Themen diskutiert. Das Ziel: „gegenseitiges Kennenlernen und Verstehen – über Religions- und Sprachgrenzen hinweg“, erklärt Langer. An den Treffen nehmen Muslime, Juden, Christen und Atheisten teil. Und der große Zuwachs der SaSha-Initiative gibt den Organisatoren recht. So kommt es, dass bereits Anfragen aus weiteren Städten (Hamburg, München und sogar Amsterdam) die Initiative erreichen, um ähnliche Projekte ins Leben zu rufen.
Antisemitismus als Rechtfertigung für Islamfeindlichkeit

Dass Neukölln keine ‚No-Go-Area’ für Juden ist, konnte Armin Langer in einem Videoblog-Projekt seiner Initiative aufzeigen. Die Gefährdung von Juden auf Deutschlands Straßen, wird nun erneut zum Thema. Versuche von Pegida- und Bärgida-Anhängern, den Antisemitismus mancher Muslime als Rechtfertigungsgrund für ihre eigene Islamfeindlichkeit zu anzuführen, bezeichnet Langer als „schlechten Vorwand“. „Der Schutz der Juden in Deutschland wird instrumentalisiert.“ So schrieben sich Pegida-Demonstranten in Leipzig, den „Schutz des christlich-jüdischen Abendlandes“ auf die Fahne. Eine nahezu lächerliche Vorstellung, wenn man bedenkt, „dass die meisten antisemitischen Straftaten immer noch rechts-motiviert sind und nicht durch Muslime verübt werden.“

Islamisierung und jüdische Weltverschwörung

Eine Frage muss sich jeder Einzelne stellen – egal ob in Neukölln, Berlin oder ganz Deutschland: In welcher Gesellschaft möchten wir leben? In einer Gesellschaft, in der man sein Potpourri an kleinbürgerlich-nationalistischen Ängsten, gepaart mit einer gehörigen Portion Unsicherheit, als Anlass nimmt, gegen den Islam und Ausländer zu hetzen? Oder in einer Gesellschaft, in der man die Unterschiede zwischen Menschen diskutiert und sie zum gegenseitigen Kennenlernen und Verstehen aufgreift? Laut dem aktuellen Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung, sieht mehr als die Hälfte aller Deutschen, im Islam eine Gefahr für Deutschland. Das sind alarmierende Zahlen. Der angehende Rabbiner Langer, kommentiert trocken: „Ein Drittel der deutschen Bevölkerung glaubt auch immer noch an die jüdische Weltverschwörung.“

Eines steht soweit fest: die Blockade von Bärgida am 05. Januar hat die Organisatoren nicht daran gehindert, zu einer erneuten Kundgebung am Brandenburger Tor diesen Montag, den 12. Januar, aufzurufen. So gilt es wieder zu beweisen, was wir wirklich wollen.

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