Bauchgefühl: Einen Kitaplatz suchen

Neukölln braucht eine „Muttikolumne“ – das dachte sich neukoellner.net-Redakteurin Sophie nach der Geburt ihres kleinen Sohnes. Die 30-Jährige lebt seit 2013 in Britz und berichtet nun ein Jahr lang aus ihrem Alltag als Mama voller liebevoller, skurriler und anstrengender Momente. Sophie nimmt uns mit auf Spaziergänge, in Hebammenpraxen und Krabbelgruppen oder auf die anstrengende Suche nach einem Kita-Platz.

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Sonntag, 29. April 2018

„Sie sind zu spät, tut mir Leid“, flötete die Kitaleiterin ins Telefon. Ich glaube, ich habe mich missverständlich ausgedrückt und hake nach, es ginge um 2018. Ja ja, diese Warteliste sei schon geschlossen. „Aber ich bin erst im vierten Monat schwanger! Wann melden sich denn die anderen Familien so bei Ihnen? Tja, früher, besten Dank.“

Wer in Neukölln ein Kind möchte, scheint einen Masterplan zu brauchen und ruft am besten die Kitas an, sobald zwei rosa Streifen auf einem Stück Pappe erscheinen. Die evangelischen Kindergärten interessieren sich keinen Deut dafür, dass wir evangelisch sind und möchten, dass wir jeden Monat anrufen, um uns „interessiert und engagiert“ zu zeigen. Das wirft die Frage auf, ob ich mein Kind in eine Einrichtung geben möchte, in der die Erzieherinnen unzählige solcher Anrufe entgegen nehmen müssen, um dann in Aktenordnern zu vermerken: „Stefan K., 14.11., freundliche Stimme, dritter Anruf“. Gibt es Fleißbildchen, wenn man noch ne Mail mit nem niedlichen Babyfoto mitschickt?

In meinem Frust merke ich, wie sich Zynismus in mir breit macht. „Wir haben eine Warteliste bis 2020“, sagt eine Kitaleiterin. „Warten Sie kurz, ich melde mein zweites Kind gleich an, geht das?“, frage ich ernst. Stille. „Ja, uns tut das ja auch Leid, dass das so läuft.“ „War ein Scherz. Aber wenn Sie es selbst stört, warum machen Sie es denn dann nicht anders?“, frage ich. „Weil alle das jetzt so handhaben“. Ah ja, wenn morgen alle in den Teltowkanal springen…, denke ich, und beende das Gespräch.

Die erste Kita habe ich mit flachem Bauch besichtigt

Die „Wir sind ja sowas von engagiert“-Anrufe delegiere ich an meinen Freund. Immerhin habe ich rund 20 Kitas während der Schwangerschaft angerufen und die erste in der 13. Woche besichtigt. Mit flachem Bauch.
„Wir kochen selbst.“ Das gefällt mir. „Bei uns gibt es ein Chorprojekt für Vorschulkinder.“ Schön.
„Wir haben Mitarbeiterinnen mit Kneipp-Zusatzausbildung.“ Eine Kita in Neukölln hat sogar eine Sauna. Ähm, ich möchte eigentlich nur wieder arbeiten gehen und kein Spa für mein dann einjähriges Kind buchen.
Was mir wichtig wäre, fragen manche Erzieherinnen beim Rundgang.
Gemeinsame Mahlzeiten. Doch das ist nicht mehr modern. Die Kinder sollen selbst bestimmen, wann sie essen möchten. Na ja, zu Hause stelle ich ja auch kein Buffet hin von 18 bis 20 Uhr. Aber darauf könnte ich mich einlassen; wir essen abends zu Hause zusammen.
Was mir wirklich wichtig ist: Gehen Sie denn auch bei jedem Wetter raus, mit Matschhose und Gummistiefeln?
Nein, das könne man leider nicht gewährleisten. Man sei schließlich kein Waldkindergarten.

Mit dem Kind in meinem Bauch wächst meine Panik. Mein Beruf macht mir Freude. Als Kind ging ich gerne in den Kindergarten.
Ein Bekannter berichtet von mindestens 500 Euro Bestechungsgeld in seiner Kita in Tempelhof, die von einem Vater an die Leitung geflossen seien, damit das Geschwisterkind in die gleiche Kita gehen kann. Er erzählt mir von monatlichen Pflicht-Kuchen (Cupcakes, Muffins usw.), anstrengenden Elternabenden und samstäglichen Putzaktionen, an denen man engagiert und begeistert den Wischmop schwingen soll.
Ich überlege. Pragmatisch gesehen ist das mit den 500 Euro eine echte Alternative zu den schleimigen Anrufen und ätzenden Anmeldegesprächen samt Kitaführung, weil ich in der Zeit arbeiten könnte. Oder mit meinem Kind auf dem Teppich liegen und spielen.

In Berlin werden fünf Kinder pro Erzieher angestrebt

Die städtische Kita überrascht mich. Es riecht so lecker, dass ich gleich mitessen möchte, das Büro ist hell und aufgeräumt und die neue Leiterin sympathisch. Es gibt eine Elternsprechstunde und keine unangenehmen Fragen nach unseren Berufen. Per Brief werden wir zur Führung eingeladen. Alle Räume sind weitläufig, der Garten wird gerade umgestaltet. Und das alles fünf Minuten zu Fuß von uns in der Nähe eines Parks. Und ganz ohne Extra-Konzept und Zusatzaufgaben für Eltern. Und der Betreuungsschlüssel? Auf eine Erzieherin kommen zehn Kinder ab einem Jahr. Da liegt also der Hase im Pfeffer. In Berlin werden fünf Kinder pro Erzieher angestrebt.

In einer Kita bekommen wir Kaffee und Kekse gereicht. Das macht mich nach all den Führungen und Telefonaten direkt misstrauisch. In der weitläufigen Einrichtung für über 150 Kinder waltet die Leitung wie ein Manager. Sympathisch ist anders. Wir sehen auch überhaupt keine kleinen Kinder unter zwei Jahren und verlaufen uns fast im Gebäude. Nach Montessori-Raum, Snoozel-Raum und dem dritten Wickeltisch hole ich meinen Spickzettel raus. Die Kita ist wirklich nicht privat. Aber wie soll unser Kind mit einem Jahr hier klar kommen mit neun verschiedenen Räumen pro Bereich? Zwei Drittel der Erzieher haben studiert. Das ist uns ziemlich egal, Hauptsache ihre Arbeitsbedingungen sind okay. Es gibt männliche Erzieher, das gefällt mir, weil es selten ist.

Ein Kita-Platz, weil wir die Quotenfamilie wären?

Ist es wichtig, dass die Kinder über das Frühstück mitbestimmen und einkaufen gehen? Mit einem Jahr? Ich stelle mir vor, wie mein Sohn einkaufen geht und mit großen Augen auf Cornflakes zeigt. Wenn er dann überhaupt schon laufen kann.
Kita-Fahrten? Mit vier Jahren fünf Tage alleine wegfahren? Kann er ja auch so gerne, Oma freut sich.
Nebenbei betont der Leiter wiederholt, dass es immer frisches Obst geben würde. Und wie lecker der Milchreis heute wieder werden würde. Langsam wird es unheimlich. Wir wollen doch was von ihm und nicht umgekehrt. Er zeigt uns sogar die hauseigene Wäscherei und wir lernen die polnischen Köchinnen kennen. Die sind mit Abstand das Authentischste an dem ganzen Laden.
Dann passiert das Ungeheuerliche. Die Leitung verspricht uns einen Platz. Wir wären die Quoten-Familie. Die einzige, die zu Hause Deutsch spricht. Anders können wir uns dieses überaus zuvorkommende Verhalten nicht erklären. Offen gesagt wird das so natürlich nicht.
Wir schleichen mit leisen Schritten und unserem Sohn in der Trage vorm Bauch wieder raus.
Du, da geh ich vielleicht doch abends unterrichten, sage ich. Oder ich bleibe länger zu Hause, sagt der Papa.

Doch wir sind gewiss: Irgendwas klappt immer. Eine gute Freundin hat ihren Lehrerjob hingeschmissen und wird nun Tagesmutter in Neukölln. Und Papa nimmt ein Jahr Elternzeit. Dann sehen wir weiter.

Merkzettel:
Jede Kita entscheidet selbst über ihr Anmeldeverfahren.
Die meisten Kitas nehmen Kinder ab einem Jahr auf.

Man ruft die Kita an, vereinbart einen Termin und lässt sich auf Wartelisten setzen. Je nach Kita wird zwischen März und Juli entschieden, wie viele Plätze frei werden und wer einen Platz bekommt. Aufgrund von Mehrfachanmeldungen bzw. mehreren Zusagen anderer rückt man mitunter nach. Entscheidend sind neben dem Zeitpunkt der Anmeldung auch Geschlecht und genaues Alter des Kindes, damit die Gruppen möglichst ausgewogen zusammen gestellt werden können.

Ab August 2018 sind die Kitas in Berlin kostenfrei

Wer einen Kita-Vertrag unterschreiben möchte, benötigt zwingend den Kita-Gutschein vom Jugendamt. Er ist jedoch in Neukölln nur sechs Monate gültig. 2018 beginnt das Kindergartenjahr am 20. August. Die (sanfte) Eingewöhnung dauert drei bis vier Wochen.

Ab August 2018 sind die Kitas in Berlin komplett kostenfrei. Man bezahlt lediglich 23€ pro Monat für das Mittagessen und je nach Einrichtung noch Beträge für Ausflüge, Geburtstagsgeschenke oder Obst. Dieser Betrag darf ab August 2018 den Betrag von 90€ nicht mehr überschreiten, damit der Zugang zu einer bestimmten Einrichtung nicht ausschließlich wohlhabenden Eltern vorbehalten ist.

Für August 2019 strebt das Land Berlin einen Betreuungsschlüssel von rechnerisch gesehen 3,75 Kindern auf eine Vollzeitkraft im Krippenbereich (unter 3 Jahren) an.

Viel Glück und Kraft bei der Suche nach der passenden Betreuung für euer Kind, wünscht eure Elisa!

Kommentare:

  • Amira sagt:

    Sehr geehrte Damen und Herren?
    Ich möchte für mein Tochter 1 Jahre 8 Monate alt Kita
    Ich habe sucht Kita aber ich kann nicht sprechen weil bin schwerhörig
    Ja .

    Mit freundlichen Grüßen

    Magdalena Karakus