Von Ana Edroso Stroebe
Am 12. Februar 1908 kommt Olga Gutmann Benario in München in einer gespaltenen Familie zur Welt. Der Vater ist der jüdische Rechtsanwalt Dr. Leo Benario, ein überzeugter Sozialdemokrat. Er vertritt Proletarier und Arbeitslose vor Gericht. Die Mutter Eugenie Gutmann Benario ist hingegen auf die gesellschaftliche Anerkennung der Münchner High Society erpicht und gegen alles „Linke“. Olga ist ganz auf der Seite des Vaters. Doch die Strategie der Sozialdemokraten, die soziale Frage durch schrittweise Verbesserungen zu lösen, erscheint ihr wirkungslos. Schon mit 15 Jahren tritt sie der Kommunistischen Jugend bei; kaum 18, zieht es sie 1925 nach Berlin-Neukölln. Mit dabei: ihr damaliger Freund, der sieben Jahre ältere Schriftsteller und Sowjet-Geheimagent Otto Braun.
Rastloses Leben in Neukölln
Beide wollen ihre politische Arbeit intensivieren; das „rote Neukölln“ scheint ideal dafür. Das Arbeiterviertel ist eine wichtige Aktionsbasis der Kommunisten in Deutschlands Hauptstadt, um in der Weimarer Republik den Umsturz vorzubereiten. Das Paar führt in Neukölln ein rastloses Leben. In drei Jahren ziehen sie mehr als sechs Mal um; ihre letzte Station ist die Weserstraße. Währenddessen erarbeitet sich Benario einen Ruf als tadellose Parteisoldatin. Braun verschafft ihr eine Stelle als Stenotypistin in der sowjetischen Handelsvertretung, daneben bringt sie sich intensiv bei der politischen Basisarbeit ein und wird Agitations- und Propagandaleiterin der Kommunistischen Jugend (KJ). Die hoch aufgeschossene Frau mit den blauen Augen und dunklen Haaren ist eine charismatische Erscheinung und kann gut reden. Der aus Moskau vorgegebenen Parteilinie ist sie stets treu ergeben. Bereits ein Jahr nach ihrer Ankunft wird sie politische Sekretärin der KJ in Berlin. In der neuen Funktion koordiniert sie die gesamte Propaganda der Jung-Kommunisten in der Hauptstadt.
Von allen Litfaßsäulen blickt sie den Berlinern entgegen
Im Oktober 1926 gerät Benarios und Brauns Leben schlagartig aus den Fugen. Ihr Lebensgefährte Otto Braun wird von den deutschen Behörden wegen Spionagetätigkeiten für Sowjet-Russland verhaftet. Und auch Benario kommt ins Gefängnis Berlin-Moabit. Die Vorwürfe: „politische Agitation“ und „Vorbereitung zum Hochverrat“. Zwei Monate bleibt sie inhaftiert. Im Dezember gelingt es Benarios Vater, ihre Freilassung zu erwirken, doch Braun muss in Moabit bleiben. Zur Berühmtheit wird Benario durch die spektakuläre Befreiungsaktion ihres Lebensgefährten. Als sie Braun am 11. April 1928 vor einem Gerichtstermin besucht, zieht sie plötzlich eine Pistole und hält den Wärter in Schach, während sechs Parteigenossen die anderen Gerichtsmitarbeiter ablenken und den verdutzten Braun in ein Fluchtfahrzeug drängen. Die Aktion findet am Morgen statt und ist in den Mittagsausgaben der Zeitungen das Top-Thema. Die BZ schreibt: „Mit Waffengewalt aus Moabit befreit“ und spricht von einer „Wildwest-Pistolen-Szene“. Das Berliner Tageblatt titelt in seiner Abendausgabe: „Überfall im Kriminalgericht. Der unter Hochverratsanklage stehende Kommunist Braun gewaltsam aus der Untersuchungshaft befreit“. Üppige 5000 Reichsmark werden nach der aufsehenerregenden Befreiung als Belohnung für die Ergreifung des Kommunistenpaares ausgesetzt. Überall hängen Plakate mit den Gesichtern der beiden. Von allen Litfaßsäulen und vor jedem Kinofilm blickt Olga Benario den Berlinern entgegen. Als dann noch bekannt wird, dass die Befreiungsaktion mit ungeladenen Waffen durchgeführt wurde, wächst in der Bevölkerung die Bewunderung für Benario und ihre Gruppe. Die KPD erreichen Schreiben, in denen Bürgerinnen und Bürger ihre Sympathie für die Aktion bekunden.
Ausbildung zur Revolutionärin
Benario und Braun gelingt es nach Moskau zu fliehen. Dort wirbt die Kommunistische Partei mit der jungen Frau als Idealtypus einer revolutionären Partei-Soldatin. Bereits zwei Monate nach ihrer Einreise erhält sie einen Platz im Zentralkomitee der Kommunistischen Jugendinternationalen und wird weiter zum künftigen Elite-Kader aufgebaut. Um etwas über Deutschland und Neukölln zu erfahren, studiert Benario regelmäßig die „Rote Fahne“, das offizielle Presseorgan der KPD. Als sie darin von den Straßenkämpfen zwischen der Polizei und der kommunistischen Jungfront liest, fordert sie eine militärische Ausbildung der KJ. Benario lässt sich in Russland paramilitärisch ausbilden, lernt reiten und schießen, wagt sich in der Luftwaffen-Akademie als Fallschirmspringerin in die Lüfte. Zudem spricht sie neben Deutsch auch Englisch, Französisch und Russisch, später kommt noch Portugiesisch hinzu.
Das Scheitern
Inzwischen hat sich Benario von Braun getrennt. Die Kommunistin will zurück nach Berlin-Neukölln, um dort den Kampf der KJ gegen die Nationalsozialisten anzuführen, die dort nun an die Macht gelangt waren. Aber die Partei schickt sie 1934 stattdessen nach Brasilien, als Begleitung für Luís Carlos Prestes, um dort einen kommunistischen Umsturz zu organisieren. Der Ex-Militär Prestes wird in Brasiliens Bevölkerung „Ritter der Hoffnung“ genannt. In den 1920er Jahren hatte er einen Trupp aufrührerischer Militärs gegen Brasiliens Großgrundbesitzer geführt. Die so genannte „Kolonne Prestes“ zieht über 25.000 Kilometer durch das Land, um für einen Volksaufstand zu mobilisieren, scheitert aber letztlich. Nun will die Kommunistische Internationale (das weltweite Netzwerk kommunistischer Parteien) es besser machen. Doch auch der neue Revolutionsversuch scheitert kläglich. Prestes und Benario tauchen unter. In der „Partido Comunista Brasileiro“ wird vermutet, dass die Ehefrau des damaligen Generalsekretärs den Umsturz verraten hat. Die mutmaßliche Verräterin wird daraufhin von ihren Genossen brutal ermordet. Bis heute besteht der Verdacht, dass Benario und Prestes die Hinrichtung der Frau durch Strangulation mit veranlasst haben.
Die gescheiterten Revolutionäre sind inzwischen ein Paar und Olga ist schwanger. Als beide gefasst werden, liefert Brasilien die junge Frau trotzdem an Nazi-Deutschland aus. Dort kommt sie ins Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin, wo sie im November 1936 ihre Tochter Anita zur Welt bringt. Den Kontakt zu ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter Dona Leocáida Prestes erhält Benario durch Briefe aufrecht. Leocáida Prestes reist quer durch Europa, um ihre Schwiegertochter und ihre Enkelin zu befreien. Sie bittet sogar Benarios Mutter um Hilfe, allerdings vergebens. Durch den Einsatz der Großmutter lassen die Nazis Anfang 1938 zumindest das Kind frei. Olga Benario hingegen wird in das Konzentrationslager Lichtenburg bei Prettin gebracht. Auf ihrem Transportzettel steht: „Kommunistin – Höchst gefährliche Gefangene“. Die Widerstandskämpferinnen dort wollen sie mit einer Feier begrüßen, doch Benario wird sofort in eine Einzelzelle gesperrt. Trotzdem erreicht Benario eine Grußnachricht. Die meisten Unterzeichnerinnen sind ihr aus ihrer Neuköllner Zeit bekannt: Es handelt sich um bedeutende Anhängerinnen der Widerstandsgruppen Berlins oder anderer deutscher Städte.
Ein Jahr darauf erfolgt ihre Verlegung in das KZ Ravensbrück. Von dort schreibt sie in einem Brief an Prestes: „Oft denke ich, dass es zum Teil doch ganz gut war, dass ich damals vor 3 ½ Jahren nicht wusste, was mir alles noch bevorstand. Ich weiß nicht, ob der Mut ausgereicht hätte, dies alles auf die Schultern zu nehmen.“ Trotzdem bewahrt sich Benario auch in den Vernichtungslagern ihren Aktivismus. So organisiert sie mit einem selbstgebastelten Mini-Atlas politischen Lehrkundeunterricht. Das Ende des Nazi-Regimes erlebt Olga Benario nicht mehr. Im Februar 1942 wird sie in der Tötungsanstalt Bernburg vergast.
Erinnerung an Olga Benario
Die Jahre des Faschismus haben in Neukölln jegliche Strukturen, Werte und Zusammenhänge der Arbeiterbewegung zerstört. In der Innstraße 24, einem ehemaligen Zuhause Benarios, erinnert ein Stolperstein an sie, der 2008 zu ihrem 100. Geburtstag in Anwesenheit ihrer Tochter Anita Prestes eingeweiht wurde. Nur fünf Gehminuten entfernt befindet sich die Galerie Olga Benario. Die Galerie-Räume in der Richardstraße sind schon der dritte Standort der Galerie, die 1984 von Mitgliedern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und des Verbandes der Antifaschisten in Berlin-Neukölln gegründet wurde. Die erste Ausstellung widmete sich dem Leben der Namensgeberin, „einer Neuköllner Antifaschistin“. Auch in der DDR gedachte man der Ideal-Kommunistin. Noch heute ist im Nord-Osten Berlins eine Straße nach ihr benannt.
Dieser Artikel ist in Kooperation mit Studierenden des Masterstudiengangs Public History an der FU Berlin, neukoellner.net und dem Museum Neukölln entstanden.
Kommentare:
Warum führt „Ihr“nicht gleich:“Stalin“,als:“Ideal-Kommunist“,auf!!! :-(((