„Ohne die Kultur hätte Neukölln wenig positive Schlagzeilen“

Ein Gespräch mit Dr. Martin Steffens, dem Leiter des Kulturfestivals „48 Stunden Neukölln“, über Wachschutz an Schulen, Kulturfinanzierung, Berufsverbot für Künstler und die guten alten Zeiten Neuköllns.

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Text:

Montag, 23. Januar 2012

Ein überschwänglich freundlicher Herr Steffens springt von seinem Stuhl auf, grüßt, bittet um einen kurzen Moment, die letzten Arbeitsschritte noch vollenden zu können, holt seinem Gast allerdings doch erst einmal einen Kaffee und lässt die Arbeit schließlich bleiben.

Zur Projektleitung der 48 Stunden Neukölln ist er quasi hinaufgestolpert. Von den Anfängen des kunstraum t27 in der Thomasstraße ging es in die Organisation des Festivals. Ein Jahr teilte er sich die Leitung mit Ilka Normann. Sie ist jetzt (zusammen mit Regina Kramer) Geschäftsführerin und er Projektleiter des Festivals.

neukoellner.net: Herr Dr. Steffens, das Kulturnetzwerk Neukölln mit den 48 Stunden Neukölln, der Schillerpalais und einige andere Kulturinstitutionen und -vereine haben im vergangenen Jahr mit einer Petition zum Erhalt der Neuköllner Kunstszene aufgerufen. Insgesamt haben sie um die 1600 Unterschriften gesammelt. Zufrieden mit dem Ergebnis? 

Martin Steffens: Wir haben ja jetzt keine Stände auf der Straße gehabt und sind auch nicht durch die Supermärkte gelaufen und haben versucht, Leute zu aktivieren. Bei den beiden Festivals 48 Stunden Neukölln und NACHTUNDNEBEL haben wir den beteiligten Veranstaltungsorten angeboten, dass sie die Listen auslegen und Unterschriften sammeln. Wir sind damit nicht hausieren gegangen. Es ging ja auch nicht um ein Volksbegehren, wo man viel Druck machen möchte, sondern es war eine relativ kleine Geschichte. Es hat schon gezeigt, dass es durchaus Sympathie für die Belange der Kultur in Neukölln gibt. Es ist jetzt nicht so dermaßen erfolgreich gewesen, dass die Welt sich anders dreht oder dass alle Menschen querbeet gesagt haben: das ist unser wichtigstes Problem. Es hätte gern mehr sein können, aber wir sind mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden.

Die Petition war direkt an die BVV Neukölln adressiert und hat sie aufgefordert, sich mit der Neuköllner Kulturlandschaft zu befassen und vor allem mehr Geld in die gewachsenen Institutionen wie beispielsweise 48 Stunden Neukölln zu investieren, um deren Existenz zu sichern. Wie hat man auf ihre Forderungen reagiert?

Steffens: Wir sind zu einer Anhörung vor den Kulturausschuss eingeladen worden, wo man unsere Forderungen eigentlich sehr wohlwollend aufgenommen hat. Es waren auch keine Forderungen, die wir aus der Luft gegriffen haben, sondern es gibt einen Kulturentwicklungsplan, den Dr. Dorothea Kolland vom Kulturamt 2009 entwickelt hat und den die BVV damals abgesegnet hatte. In dem waren eigentlich die meisten unserer Forderungen schon vorformuliert. Unsere Initiative hatte das Ziel, die BVV aufzufordern, die beschlossenen Maßnahmen umzusetzen.

Und wie ist die Anhörung verlaufen?

Steffens: Ergebnislos, weil sowohl die Stadträtin für Bildung und Kultur, Dr. Franziska Giffey, als auch die Mitglieder des Kulturausschusses eigentlich unisono gesagt haben: „Die Forderungen sind richtig!“ Und gleichzeitig gesagt haben: „Wir können die nicht erfüllen.“ Damit ist man natürlich ein bisschen ausgebremst, wenn man mit einer Woge der Sympathie aufgenommen wird: „Ihr habt ja so recht! Aber Ihr versteht auch, dass wir erst einmal kein Geld haben.“

Also viel Lob, aber wenig finanzielle Hilfe…

Steffens: Es wurde versprochen, dass es in weiteren Gremien behandelt wird, aber es ist natürlich die Frage, wie es weitergeht. Eine wichtige Mitteilung, die wir den BVV-Vertretern auch geben wollten, ist, dass Kultur im Bestand gefährdet ist und dass es wichtig für die Politik ist, sich einen Plan B bereitzuhalten. Denn Kultur ist in Berlin ein wichtiger Standortfaktor. In Neukölln zunehmend auch, dadurch, dass sich das Image des Bezirks in den letzten Jahren stark gewandelt hat. Das krieg ich an sehr vielen Stellen gespiegelt, wie wichtig die Off-Szene in Neukölln ist und wie wenig davon nach außen und nach innen – vor allem auch in die politische Ebene – dringt. Das ist ein Standort, der jetzt eigentlich gepusht werden müsste, um auch die Ökonomie in Neukölln weiter voranzubringen. Im Bereich der Gastronomie brummt das ja.

Warum sehen Sie ausgerechnet jetzt die Kulturlandschaft gefährdet, wo doch alles am Brummen und Blühen ist?

Steffens: Es gibt ja unterschiedliche Elemente. Unser Festival ist dadurch gefährdet, dass keine feste Finanzierung besteht. Unser Verein Kulturnetzwerk Neukölln ist weitgehend durch die Bereitstellung von Arbeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt handlungsfähig. Wir sind ein Beschäftigungsträger, der viele seiner Mittel in das Festival steckt. Dutzende Menschen, die in der Neuköllner Kultur zum Einsatz kommen und ganz wichtige Aufgaben übernehmen, kommen über den 2. Arbeitsmarkt. Und das sind Menschen, die etwa Aufsicht machen, Grafiken erstellen und zum Teil auch wissenschaftlich arbeiten. Durch diese Mitarbeiter, die ein halbes Jahr, ein Jahr oder eventuell auch mal länger bleiben, ist eine wichtige Unterstützung der Arbeit möglich und ohne diese Menschen würde es nicht gehen.

Wie viele Leute arbeiten für 48 Stunden Neukölln?

Steffens: Im Moment sind wir zu fünft plus eine Praktikantin und dann gibt es natürlich noch die Verwaltung vom Kulturnetzwerk, die die Abrechnungen macht und Dienstleistungen übernimmt. Das Kulturnetzwerk, das sind elf Festangestellte und bis zu 100 Menschen auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Wir sind selber nicht glücklich damit, dass wir nur wenige Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigen können, auch weil es gerade für die Planung des Festivals extrem schwierig ist. Ich hab derzeit ein komplett neues Team, das Grafikteam ist komplett neu. Das heißt, ich bin jetzt der Einzige, der weiß, wie das Festival geht. Man muss jedes Jahr neu aufbauen, Leute motivieren, Leute einführen, Leute reinbringen und in die Zusammenhänge, die sehr komplex sind, einarbeiten.

Gibt es keine finanziellen Alternativen? Sponsoren?

Steffens: Natürlich überlegen wir da ständig. Wir hätten gerne mehr Sponsoren und wir haben ja auch tolle Sponsoren, die seit Jahren dabei sind, die das Wegfallen anderer Förderungen aber auch nicht kompensieren können. Es funktioniert, wie es funktioniert. Wir können sagen: Bis Juli klappt das. Die 48 Stunden werden klappen. Aber ob und wie es im Spätsommer weitergeht, weiß man schon wieder nicht mehr.

Ein allseits präsentes Problem in Neukölln. Für 2012 wird ein Haushaltloch von 9 Millionen Euro erwartet. Der Wachschutz an den Schulen ist diesem Defizit gerade zum Opfer gefallen. Lässt sich die Förderung von Kultur da noch rechtfertigen?

Steffens: Das sind ja ganz andere Volumina. Der Wachschutz kostete 700.000 Euro im Jahr. Auch da gibt es ja grade im Neuköllner Haushalt kein Geld mehr für. Das Kulturnetzwerk bekommt vom Bezirksamt aber nicht einmal 20.000 Euro pro Jahr, um die 48 Stunden Neukölln zu organisieren. Bei der Kultur wird gerne gesagt, man könne sie sich nicht leisten oder man könne nicht mehr geben. Ohne die Kultur aber hätte Neukölln relativ wenig positive Schlagzeilen und der Sog der Abwanderung würde sich nur weiter verstärken und damit eine soziale Schieflage möglicherweise weiter verstetigen. Ich denke, dass sich die Kultur auch sehr stark auf die Gesellschaft überträgt und viele davon profitieren.

Sie meinen also, dass Kultur…

Steffens: …ein wichtiger Standortfaktor ist. Das ist natürlich immer die Frage, wie weit sich das auswirkt. Momentan gibt es ja eine große Debatte zu Gentrifizierung und die Rolle der Künstler in diesem Prozess. Da würde man natürlich genau das, was ich jetzt gesagt habe, sehr negativ bewerten.

Sie sehen das offensichtlich etwas anders?

Steffens: Ich bin seit ’91 hier und hab Neukölln anderes erlebt. Ich weiß wie Neukölln früher war, dass man stark bedauert wurde, dass man hier leben muss. Wenn man nach Berlin gekommen ist, startete man in Neukölln, weil es hier Wohnungen gab, wollte aber nicht bleiben. Es war irgendwie auch ein Biotop von Leuten, die nicht um jeden Preis erfolgreich sein wollten oder waren; und es war ein sehr angenehmes und solidarisches Klima unter den Künstlern. Bis vor wenigen Jahren wurde Touristen, die sich außerhalb Neuköllns über das Festival informiert haben, gesagt: „Geht da bloß nicht hin, ist viel zu gefährlich.“

Dafür kommen die Touristen mittlerweile in rauen Mengen, Neukölln hat sich international herumgesprochen.

Steffens: Ich habe das Gefühl, dass Neukölln momentan überbewertet ist. Es war jahrzehntelang unterbewertet, was natürlich sehr angenehm war, wenn man hier wohnte und Miete bezahlte. Im Moment ist der Druck auf Neukölln dafür sehr stark und da sind wir sicherlich mit daran schuld. Es ist schwierig. Tut man nichts, dann ist es verkehrt. Tut man etwas, dann ist es – aus der Sicht Mancher – auch verkehrt. Es fehlt das Patentrezept, wie es besser gehen könnte.

Jahrelang hat man gejammert, wie desolat Neukölln ist. Immer wenn ein Umzugswagen da stand, dachte ich mir: „Scheiße, jetzt zieht schon wieder jemand weg.“ Das waren junge Leute, die nett aussahen und wupp, waren sie weg. Und jetzt steht da ein Umzugswagen und man denkt: Scheiße, kommt schon wieder jemand.“ Ich weiß nicht, ob das typisch deutsch ist, aber es herrscht immer dieses ständige Rumnörgeln: „Mist, Scheiße. Schlechte Situation, schlechte Entwicklung.“ Man darf sich eigentlich nicht öffentlich darüber freuen, dass Neukölln so bunt ist, weil man gleichzeitig das Bild im Kopf hat: die Entwicklung ist schließlich auch negativ. Was soll man machen?

Das nächste Kulturfestival. Steht das Thema schon fest?

Steffens: Das Thema für 2012 lautet: „Endstation Paradies“. Damit möchten wir gerade das Ambivalente an der gegenwärtigen Situation beschreiben. Ist Neukölln am Ende? Eröffnen sich neue Perspektiven?
Insgesamt stehen aber auch die Fragen im Raum, die Antje Gerhardt, die Kunstfilialleiterin im Reuterquartier häufig thematisiert hat: Müssen sich Künstler im Zusammenhang mit der Gentrifizierungsdebatte ein Berufsverbot auferlegen oder dürfen sie nicht sichtbar sein? Muss man im Heimlichen arbeiten, darf man nicht ausstellen, müssen die Kneipen die Fenster vernageln, damit niemand mitkriegt, dass hier irgendwas passiert?

Vielen Dank, Herr Dr. Steffens, für das Gespräch.

Kommentare:

  • Gaby Hundertmark sagt:

    Ahoj Max!

    Du schreibst:
    …“Sie (bezogen auf Ilka Normann) ist jetzt Geschäftsführerin und Projektleiterin des Kunst- und Kulturfestivals.“

    müsste eigentlich heißen:
    Sie ist jetzt Geschäftsführererin des Kulturnetzwerk Neukölln e.V.

    Weil:
    Martin Steffens Projektleiter des Festivals 48h NK ist.

    Liebeste Grüsse fürs Team!

    .

  • Max Büch sagt:

    Hallo Gaby,

    vielen Dank für die Berichtigung!

    Viele Grüße!

  • igor sagt:

    In Neukölln gibt es eine massive Verdrängung von Migrant_innen. Die Task Force Okerstraße hat ein ämterübergreifendes repressives Netzwerk gegen Sinti und Roma etabliert. Tagtäglich werden Menschen mit der vermeintlich „falschen“ Hautfarbe von Sicherheitsbeamt_innen kontrolliert. Buschkowsky & Co. setzen Jugendhilfe-Träger_innen und andere soziale Institutionen massiv unter existenziellen Druck….

    Es gibt ganz viel Material in Neukölln, sehr viel Moöglichkeiten künstlerisch kritisch zu intervenieren. Das Kulturnetzwerk Neukölln reproduziert aber lediglich irrelavante und unkreative Kunst und Kultur. Die paßt nichtmal mehr ins Image der Stadtverwaltung. Außerdem organisieren sich die Neuköllner Künstler_innen schon selbst in eigenen, selbstorganisierten, nicht-institutionellen Netzwerken. Außerdem wehren sie sich erfolgreich gegen die Vereinnahmung von Gentrifizierer_innen (siehe Freies Neukölln und der Offene Brief an das Magazin TIP von Aktivist_innen und Künstler_innen aus dem Schillerkiez)

    Stevens und ihr Heulsusen, kümmert euch endlich wirklich um die Probleme im Kiez. Nicht l’art pur l’art, sondern art against discrimination! Dann kklappts auch mit den Nachbar_innen!

  • igor sagt:

    sehr interesanter artikel zur unterschriftensammlung und zur kritik der subventionierten kunst in neukölln: „Kein Erhalt der Neuköllner Kunstszene! Subventionierte Kulturvereine abwickeln!“, siehe http://akab.noblogs.org/post/2011/08/18/kein-erhalt-der-neukollner-kunstszene/

    Statt nach mehr Subventionen zu rufen und die eigene Stellung zu überhöhen, sollten sich die Neuköllner Künstler_innen endlich mit den Menschen im Kiez und den sie ebenfalls betreffenden sozialen Brüchen beschäftigen. Die Stadt bietet genügend Material zur künstlerischen Intervention. Neukölln braucht keine künstlerisch weichegespülten (Ex-) Gentrifizierungspioniere, sondern engagiere Kunst- und Kultur, die den öffentlichen Raum subversiv zurückerobert.