Eat the rich?

Foto: Anke Hohmeister

Foto: Anke Hohmeister

Im Schillerkiez kam es in den letzten Jahren immer wieder zu militanten Protestaktionen gegen Gentrifizierung. Ein Forschungsprojekt der FU hat die Ziele der Aktivist*innen und die Reaktionen der Nachbarschaft untersucht.

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Text:

Mittwoch, 1. November 2017

Text: Markus Lenz und Niklas Hartmann

„Eat the rich“ steht in dicken schwarzen Buchstaben an der am meisten umkämpften Fassade des Schillerkiezes. Die Betreiber*innen des „Schiller Burgers“, einem Tochterunternehmen der Heristo-Aktiengesellschaft, scheinen den Kampf um die äußere Optik ihres Geschäfts aufgegeben zu haben. Vielleicht ist es ihnen auch egal. Hinter dem gesprayten Slogan stehen militante Anti-Gentrifizierungs-Aktivist*innen, die vermutlich auch für den Brandanschlag auf die Lieferfahrzeuge der Burgerkette Anfang des Jahres und viele kleinere Aktionen verantwortlich sind.

Doch was und wen wollen die Aktivist*innen damit erreichen? Und was halten die unterschiedlichen sozialen Gruppen in der Nachbarschaft von dieser Art des Protests gegen Gentrifizierung? Diesen Fragen gingen wir, zwei Studierende der geographischen Fakultät der Freien Universität im Forschungsprojekt „(Post)neoliberale Stadt: Wohnungspolitik in Berlin“ nach. Wir befassten uns mit den unterschiedlichen Theorien zur Erklärung von Gentrifizierungsprozessen, untersuchten Bekennerschreiben militanter Aktionsformen und befragten die Nachbarschaft (Stichprobe von 100 Menschen, 95 % Sicherheitswahrscheinlichkeit).

Gentrifizierung – mehr als nur Aufwertung

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird unter Gentrifizierung meist die Aufwertung eines Kiezes verstanden. Dabei sind hippe Cafés und restaurierte Fassaden nur eine Folgeerscheinung. Andrej Holm, der wohl wichtigste Berliner Gentrifizierungsforscher, definiert Gentrifizierung als Prozess, „in dessen Verlauf Haushalte mit höheren Einkommen Haushalte mit geringeren Einkommen aus einem Wohnviertel verdrängen, und dabei den grundsätzlichen Charakter und das Flair der Nachbarschaft verändern“ (Holm 2014). Für andere Autor*innen ist die Verdrängung sogar das entscheidende Merkmal.

Brandanschlag auf ein Lieferauto von Schillerburger im April 2017

Auch wenn ein Mitarbeiter des Quartiersmanagement im Schillerkiez Verdrängungsprozesse im Interview mit uns bestreitete, haben unabhängige Forschungsarbeiten längst einen starken Gentrifizierungsdruck im Schiller-Kiez identifiziert, allein der Anstieg der Quadratmetermieten um 63 Prozent zwischen 2010 und 2015 spricht für sich. (Krajewski 2015)

Feindbild: „Yuppies“

Schuld daran sind laut den Bekennerschreiben „reiche Weststudent*innen“, „Hipster“ und „Yuppies“. Damit stellen die Aktivist*innen aus dem Schillerkiez eine Besonderheit in der militanten Szene in Berlin dar, in der sonst eher Investor*innen für Verdrängungsprozesse verantwortlich gemacht und angegriffen werden. Durch den Zuzug dieser „Yuppies“ würden die Mieten explodieren, hippe Burgerläden entstehen und die Ärmeren verdrängt werden. Dem wollen sie entgegenwirken. Ihr Ziel ist es, durch militante Aktionen den Kiez für Gentrifier unattraktiver zu machen. In der Stadtgeographie spricht man dabei von einem nachfrageorientierten Ansatz, als Hauptfaktor für Gentrifizierungsprozesse wird die hohe Nachfrage der bessergestellte Schichten an zuvor günstigem Wohnraum gesehen.

Doch erreicht dieser Protest seine selbstgesteckten Ziele? Oder delegitimieren die militanten Aktivist*innen damit den gesamten Protest? Dazu befragten wir drei verschiedene Gruppen: Die Alteingesessenen (länger als zehn Jahre wohnhaft im Kiez), die Pioniere (jung, gut gebildet, geringes Einkommen) und die Gentrifier (unter 50 Jahre alt, gut gebildet, hohes Einkommen).

Pioniere sehen Gentrifizierung am negativsten

Die Ergebnisse waren überraschend: Die Alteingesessenen sind gespalten. Ein Teil sieht Gentrifizierung als großes Problem an und beteiligt sich am Protest, der zweite Teil dagegen bewertet Gentrifizierung eher positiv, da man durch alte Mietverträge „Glück gehabt hat“ und sich über die sauberen Straßen freut.

Im Durchschnitt sehen die Gentrifier die Gentrifizierungsprozesse neutral. Da sie die hohen Mieten zahlen können, sind sie nicht von den Verdrängungsprozessen betroffen, haben häufig jedoch Verständnis für die ärmere Bevölkerung. Am Protest beteiligen sich jedoch nur wenige.

Auf der am meisten umkämpften Fassade des Schillerkiezes. Foto: Anke Hohmeister

Am Negativsten bewerten die Pioniere die Gentrifizierung: Diese besitzen keine alten Mietverträge und kein hohes Einkommen. Mit Mieterhöhungen haben sie am stärksten zu kämpfen. Gleichzeitig haben sie auch das stärkste Verständnis für militante Protestformen wie etwa Farbbeutelaktionen und Hausbesetzungen und sehen die Militanz häufig als legitimes Mittel „gegen die alltägliche Gewalt der Verdrängung“. Nur Brandanschläge auf Fahrzeuge lehnen sie mehrheitlich ab.

Wie zu erwarten war, haben die Gentrifier weniger Verständnis, rund ein Drittel fühlt sich durch die Feindseligkeiten gar ein wenig unwohl im Kiez. Erstaunlich ist jedoch, dass die Militanz am stärksten von den Alteingesessenen abgelehnt wird, von denen zwei Drittel meinen, dass dadurch der gesamte Protest diskreditiert wird.

Gentrifier – falsches Ziel berechtigter Wut?

Aus unseren Ergebnissen lassen sich drei Schlüsse ziehen:
1. Anders als in vielen anderen Kiezen Berlins richtet sich der militante Protest im Schillerkiez gegen Gentrifier und deren Lebensstil.

2. Bei den am stärksten von steigenden Mieten Betroffenen, den Pionieren, hat diese Form des Protests Rückhalt. Von den Alteingesessenen wird er jedoch mehrheitlich abgelehnt, viele sind dadurch abgeschreckt. Das Verständnis für Militanz scheint auch eine Frage des Alters zu sein. Dagegen hat fast niemand etwas gegen Aktionen des zivilen Ungehorsams wie Besetzungen von Leerstand.

3. Das wichtigste selbstgesteckte Ziel – die Deattraktivierung des Kiezes für die Gentrifier – erreichen die militanten Aktionsformen nicht. Die Gentrifier haben teilweise sogar Verständnis für die Aktionen, wirklich sehr unwohl fühlt sich dadurch niemand.

Zudem stellt sich die Frage, ob sich der Protest gegen die Richtigen wendet. Lösen die Gentrifier, die in den Kiez ziehen, wirklich die Verdrängungsprozesse aus? Eine andere Perspektive bietet der angebotsorientierten Ansatz, den neben Holm auch viele andere wichtige Stadtsoziolog*innen vertreten. Dieser setzt bereits bei den ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen an. Demnach entstehe Gentrifizierung durch Kapitalverwertungsstrategien von Investor*innen, die beispielsweise erkennen, dass sich durch Renovierungsarbeiten die Kapitaleinnahmen aus der Miete besonders steigern lassen, oder durch staatliche Politiken der Aufwertung. Eine fundierte Kritik kann also nicht erst beim Zuzug von Gentrifiern einsetzen, die nur eine passive Rolle im Gentrifizierungsprozess einnehmen. In linksradikalen Kreisen hört man häufiger den Spruch „Don’t fight the players, fight the game!“ Die Reichen zu verspeisen ändert nämlich nichts an den systematischen Verdrängungsprozessen.

HOLM, A. (2014): Gentrifizierung – Mittlerweile ein Mainstream-Phänomen? In: Informationen zur Raumentwicklung. 4 (2014). S. 277-289.

KRAJEWSKI, C. (2015): Arm, sexy und immer teurer – Wohnungsmarktentwicklung und
Gentrifizierung in Berlin. In: Standort. 39 (2). S. 77-85.

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Kommentare:

  • Peter Müller sagt:

    Argumentation mit „Alteingesessene“? Protest delegitimiert politische Ziele? Das im Text erkannte Problem der „Gentrifier“ dann doch mit „Gentrifier – falsches Ziel berechtigter Wut?“ kommentieren? Lasst euch den geilen Burger bitte bei einem soliden Craft-Beer schmecken, bevor ihr euch in die locker finanzierte Altbauwohnung zurückzieht.

  • Liebe „Redaktion“,

    mit wem vom QM habt ihr denn gesprochen? Keiner im QM Team wird ernsthaft einen Verdrängungsprozess im Schillerkiez bestritten haben. Die Frage ist nur ob das Gentrification im klassischen Sinne ist oder wie am Schluss des Artikels beschrieben nicht einfach nach 25 Jahren nicht stattfindenden Wohnungsbaus in Berlin Prozesse des kapitalistischen Wohnungsmarktes verstärkt werden. Die natürlich dann verstärkt zu Verdrängung führen.
    Als QM vertreten wir solgende Sichtweise, die wir auch in Interviews so Kommunizieren. Vier Faktoren tragen zur Entwicklung und Aufwertung des Schillerkiezes bei

    1. Finanzkrise/Internationaler Immobilienmarkt
    Mit der Finanzkrise folgte ein Verstärkte Investition in Betongold, vor dem Hintergrund der „Stabilität “ des Standortes Deutschland als sicherer Hafen für Investitionen erst recht. Im Verhältnis dazu sind und waren Immobilien vor allem in Berlin im internationalen Vergleich günstig und daher mit hohen Wertsteigrungsmöglichkeiten anziehend für Internationale Investoren und junge Zuziehende aus europäischen Ländern mit viel schwierigeren Wohnungsmärkten

    2. neue Attraktivität der Innenstädte
    Nach Jahren der schrumpfenden Stadt und des Wegzuges ins Umland, werden Innenstädte und Altbauten wieder Attraktiv, eine Entwicklung die zuletzt in den 80er Jahren stattfand. In Berlin ist daher der gesamte Bereich im Innenstadtring von Verstärkter Nachfrage/Sanierung und steigender Verwertung betroffen.

    3. Wohnungspolitik in Berlin/Deutschland
    Seit der Wende hat Berlin und die Bundesregierung eine Wohnungspolitk des Verkaufs/der Privatisierung von Wohnungen betrieben und darüber hinaus nicht einmal genugneu gebaut um den vorhandenen Wohnungsbestand zu erhalten, gleichzeitig wurden massiv Sozialwohnungen aus der Förderung entlassen und damit dem freien Markt überlassen.

    4. Öffnung Tempelhofer Feld
    Als einzigen Schillerkiezspezifischen Aspekt der Kiezentwicklung ist die Öffnung und Nichtbebauung des Flughafens zu nennen, eine Entwicklung die zumindest absehbar war, jedoch vor allem auch den Anwohnern im Schillerkiez selbst zugute gekommen ist und in der Abstimmung Volksentscheid auch explizit gewählt wurde.

    Schön wäre es im Übrigen wenn es Ergebnisse der Studie auch im Original als Quelle gäbe und wenigstens die Namen der Durchführenden genannt würden.

  • Max Büch, Redaktion sagt:

    Nachtrag: Die Namen der beiden Autoren Markus Lenz und Niklas Hartmann fehlten in der zuerst veröffentlichten Version und wurden nachträglich eingefügt.

  • Markus Lenz sagt:

    Liebes Quartiersmanagement, lieber Gunnar Zerowsky,

    danke für den Kommentar! Das Interview, auf das wir uns beziehen, wurde von einer anderen Gruppe von Studierenden mit Ihnen persönlich durchgeführt. Wir konnten darauf als Quelle zurückgreifen. Dabei ist uns der Fehler unterlaufen, dass Sie nicht die Verdrängung bestreiten sondern an den Gentrifizierungstendenzen zweifeln. Ich hoffe, das konnte ich hiermit richtig stellen.

    Inhaltlich muss ich Ihnen trotzdem widersprechen: Die Gentrifizierung mag noch in der späten Pionierphase sein bzw. ist noch nicht abgeschlossen, trotzdem lässt sich ein klarer Gentrifizierungsdruck identifizieren. Das belegen extreme Angebotsmietenanstiege, eine zunehmende Modernisierung der Bausubstanz sowie Veränderungen des „Flairs der Nachbarschaft“ (Holm 2014).
    Außerdem muss das Quartiersmanagement anerkennen, dass es selbst zur Aufwertung beiträgt und damit selbst Teil staatlicher Aufwertungsprogramme ist, die auch zur Gentrifizierung führen. Diesen Einfluss dürfen Sie in ihrer Auflistung nicht vergessen.

    Liebe Grüße
    Markus Lenz