Im Jahr 1872 schloss sich eine Gruppe Gastwirte aus Neukölln, das damals noch Rixdorf hieß, zusammen, um auf dem Rollberg vor den Toren Berlins, eine moderne Braustätte zu errichten. Aus Sicht der Rixdorfer Gastwirte war es ein Akt der Notwehr. Sie wollten nicht länger die brutale Preispolitik damaliger Brauereien hinnehmen, welche die Bierpreise immer weiter in die Höhe trieben. Dabei verfolgten die Neuköllner eine innovative Marktstrategie. Die Vereinsbrauerei der Gastwirte zu Rixdorf AG plante nicht, das aus der Mode gekommene obergärige Bier herzustellen, sondern untergäriges Bier. Das erfreute sich in der rasant wachsenden Hauptstadt des Kaiserreichs immer größerer Beliebtheit. Viele Menschen, die Ende des 19. Jahrhunderts aus allen Teilen Deutschlands nach Berlin kamen, konnten dem leicht säuerlichen Geschmack der traditionellen Berliner Biere nichts abgewinnen, die obergärig gebraut wurden. Klares untergäriges Bier war angesagt. Ob ein Bier unter- oder obergärig ist, hängt von der verwendeten Hefe ab. Hefe für obergäriges Bier arbeitet am besten bei warmen Temperaturen, die Hefe für untergäriges Bier braucht es hingegen kühl.
Daher waren für die Herstellung tiefe Keller von Nöten, denn nur in ihnen konnte die erforderliche niedrige Temperatur gehalten werden. „Die Lager- und Gärkeller konnten jedoch nicht überall in der Stadt gebaut werden“, meint Ingo Landwehr von den Berliner Unterwelten, einem Verein zur Erforschung und Dokumentation unterirdischer Bauten. Besonders in der Nähe der Spree sei das Grundwasser zu hoch und der Untergrund zu sandig und nass. „Aus diesem Grund befinden sich die Berliner Brauereien, die im 19. Jahrhundert entstanden, auch auf den Hochflächen im Norden und Süden der Stadt: in Prenzlauer Berg, Schöneberg, Kreuzberg oder in Neukölln auf dem Rollberg“. Hier sei nicht nur Platz für die tiefen Keller, sondern auch sauberes Grundwasser vorhanden gewesen, so Landwehr.
Bis zu 10.000 Gäste tranken am Wochenende 40 Hektoliter Bier
Braumeister Carl Labitzke, der von 1891 bis 1941 im Amt war, experimentierte mit Gerstenmalz, Hopfen, Wasser und Hefe und kreierte diverse Sorten des beliebten Gerstensaftes. Besondere populär wurde seine Kreation „Berliner Kindl“, welches nach Pilsner Brauart zubereitet wurde. Diese weit über Neuköllns Grenzen hinaus bekannte Sorte verhalf der Brauerei Anfang des Jahrhunderts zu ihrem neuen Namen. Bald brummte das Geschäft. Auf dem Rollberg wurden am Wochenende bis zu 10.000 Gäste mit 40 Hektolitern Bier versorgt. Die Berliner Kindl Brauerei AG übernahm in nur wenigen Jahren 20 kleinere Brauereien in Berlin und Umgebung und wuchs bis zum Zweiten Weltkrieg zu einer der vier größten Braustätten Deutschlands. Trotz oder gerade wegen der Weltwirtschaftskrise machte die Berliner Kindl-Brauerei hohe Umsätze und baute 1930 nach Meinung vieler „das schönste Sudhaus Europas“. In Nazi-Deutschland stotterte das Geschäft für viele Brauereien Berlins durch die wirtschaftlichen Einschränkungen des Krieges. Einige mussten sogar ihre Produktion einstellen, da ihre Bierlager für Rüstungsgüter zweckentfremdet wurden. Doch für die Neuköllner Bierbrauer lief das Geschäft weiter.
Ein „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“
Die Kindl-Brauerei unterhielt beste Beziehungen zu den Nazis. Bereits 1933 war die Neuköllner Brauerei ein sogenannter „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“. Unternehmen, die diese Auszeichnung trugen, wurden mit Prämien dazu angehalten, ihre Leistung im Sinne des NS-Regimes zu erhöhen. Die Geschäftsführung verkaufte den Nationalsozialisten sogar eine ehemalige Brauerei in Oranienburg. Dort errichteten die Nazis 1933 ihr erstes Konzentrationslager. Bis kurz vor Kriegsende 1945 konnte die Kindl-Brauerei ihre Produktion auf dem Rollberg in Betrieb halten. Das gelang vor allem durch den Einsatz zahlreicher Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter, die im Vertrieb und in der Beseitigung von Bombenschäden eingesetzt wurden.
Schließung des Standorts
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Abstieg des Neuköllner Bier-Imperiums. Es verlor Teile seiner Produktionsstätten, die als Reparationszahlung an die Sowjetunion gingen. Zwar wurde ab Oktober 1947 wieder Bier auf dem Rollberg gebraut, doch das Geschäftsumfeld war ungünstig. Einst hatte die Kindl-Brauerei davon profitiert, dass Berlin Hauptstadt des Kaiserreichs und damit zu einem Fixpunkt für ganz Deutschland wurde. Mit der Teilung des Landes lag die Stadt nun im Abseits, eingekesselt vom sowjetischen Sektor. Der Absatzmarkt wurde stark eingeschränkt. Eine Zweigstelle, die in Potsdam lag, konnte nicht länger betrieben werden. Um dem angeschlagenen Unternehmen wieder zu altem Glanz zu verhelfen, orientierte sich die Geschäftsführung gen Westen und erwarb drei kleinere Brauereien in Kiel, Uelzen und Bremerhaven. Doch zu alter Größe fand die Kindl-Brauerrei nicht mehr. Im Jahr 2005 bangten dann 280 Beschäftigte auf dem Rollberg um ihre Arbeitsplätze. Der Großkonzern Dr. Oetker, dem die Kindl-Brauerei schon seit den 1950er Jahren anteilig gehörte, entschied sich, den Standort in Neukölln zu schließen und in Lichtenberg mit der Schultheiß-Fabrik zusammenzulegen.
Heute kann man das Brauerei-Areal im Rahmen einer Tour der „Berliner Unterwelten“ besichtigen. Der Rundgang beginnt in der heute dort angesiedelten Kleinbrauerei Rollberg, führt dann hinab in die ehemaligen Gewölbe der Kindl-Brauerei und endet mit einem frisch gezapften Bier in der angeschlossenen Rollberg-Kneipe. Wie lange die unterirdischen Brau-Hallen noch leer stehen und besichtigt werden können, ist jedoch fraglich. Das mehr als zwei Fußballfelder große Gelände entwickelt sich zu einem Treffpunkt für Freizeit und Kultur. Schließlich liegt es im Herzen des „Trendbezirks“ Neukölln. Eine Kart-Bahn, das KINDL – Zentrum für Zeitgenössische Kunst sowie der queere Club SchwuZ haben sich schon angesiedelt. In naher Zukunft will die Gesellschaft Vollgut, der das Gelände mittlerweile gehört, auf dem Rollberg alternative Wohn- und Wirtschaftsformen testen.
Dieser Artikel ist in Kooperation mit Studierenden des Masterstudiengangs Public History an der FU Berlin, neukoellner.net und dem Museum Neukölln entstanden.
Kommentare:
Ich weiß noch als die Rollbergstr. noch Jägerstr. hiess. Ich bin 1943/44 mit meiner Oma zum Essen holen gegangen
. Die Brauerei war von den Russen besetzt.
Dieser schweizer Investor ist ein übler Gentrifiziere. Ich hoffe, dass bald die Bevölkerung aufwacht und die Enteignung fordert.
…Jetzt hausen :“Amerikanische Möchtegern-Künstler“,hier die das ganze Gebäude mit Graffitys beschmiert haben!!!
Ein Dreckloch hier!!! :-(((
Hallo Vera, ich suche nach Zeitzeugen, die das Brauereigelände zu Kriegszeiten erlebt haben. Ich hätte da einige Fragen. Es wäre super wenn ich sie irgendwie kontaktieren könnte.