Neuköllnkassette #5: İpek İpekçioğlu

Foto: Philippe Freese

İpek İpekçioğlu, Foto: Philippe Freese

Eine unkontrollierbare Mischung: DJ İpek İpekçioğlu ist Sozialpädagogin und musikalische Botschafterin: Als Deutsche für das Goethe-Institut im Ausland unterwegs, für Istanbul in Brasilien und für türkische und arabische Musik in Berlin und dem Rest der Republik. Für uns und ihre selbsterklärte Heimat Neukölln hat sie dieses Mixtape zusammengestellt.

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Text:

Donnerstag, 30. April 2015

neukoellner.net: Wie hast du die Auswahl für die Tracks auf deinem Mixtape getroffen? Was bekommen wir dort zu hören?
İpek İpekçioğlu
: Ich hab mir erst einmal über die Thematik und über den Style Gedanken gemacht. Worauf stehe ich gerade, was lege ich gerade gerne auf, wenn ich die Möglichkeit habe? Und was gibt es, das in Berlin nicht so bekannt ist, weil die Szene dazu noch nicht so ganz da ist? Psychedelic Turkish Funk. Es gibt nur die ‚HAL HAL – Vintage Anadolu Rock Funk & Pop Party‚ im SO36, dort wird diese Musik gespielt.

Machst du sonst auch hin und wieder Mixtapes, für Freunde beispielsweise?
Früher habe ich wesentlich mehr Mixtapes gemacht. Ich nehme sehr viele meiner Sets auf, aber stelle nicht alles online. Ich habe eigentlich sehr viel Spaß daran, wenn es nicht ums Arbeiten geht, wenn es darum geht Leuten Musik zu zeigen, die sie nicht kennen. Oder wenn ich ein spezielles Thema habe, wie Liebe. Ich lasse mich aber auch von Politik sehr beeinflussen. Ich habe auch ein paar politische Tracks in dieses Mixtape gepackt, die einen Wink in die Türkei schicken sollen.

Wie stark sind deine DJ-Sets vorausgeplant?
Es gibt keine festgelegte Reihenfolge – meistens habe ich die ersten ein zwei Lieder im Kopf und dann lass ich mich treiben von den Leuten. Auch wohin ich selbst will. Wenn ich finde: ‚Ne, die sollen noch nicht tanzen, die sollen die Musik noch genießen oder ich denke eben: ‚Ok, in 10 Minuten möchte ich aber, dass sie tanzen. Es ist jetzt elf Uhr geworden, die hatten genug Zeit zum Trinken, jetzt müssen sie tanzen.‘

Du beschreibst deinen Musikstil als „Eklektik Berlinistan“, was darf man sich darunter vorstellen?
Ich lege auch elektronische Musik auf und produziere selbst auch in die Richtung, aber ich gehöre mittlerweile zu einer der wenigen Ethno-DJs, die wirklich immer noch Ethno auflegen, die solche Musik machen wie ich: im Oriental-, Balkan- und Ethnobereich. Zwischendurch werde ich dann sehr traditionell, dann gehe ich auf Trap, dann geh ich zu Dub Step und auf einmal werde ich total belly-dancy, dann wird’s drum’n’bassig, dann wird’s wieder sehr traditionell und dann wird’s housig. Und deswegen eklektisch. Weil ich nicht kontrollierbar bin und alles miteinander mische.

Aber die traditionellen Sachen die du spielst, legst du dann schon in bearbeiteter Form als Edit oder Remix auf, oder?
Auch, aber nicht nur. Nicht jeder Edit ist geil und nicht jeder Remix ist geil. Nicht jeder Remix kann dir das Gefühl geben, das dir die Originalversion geben kann. Das Edit ist immer diskoid oder housiger, aber da kriegst du nicht dieses Schacka-Schacka-Feeling.

Ich war 2003 über einen längeren Zeitraum in Barcelona, wo es sehr viele Läden gab, in denen orientalisch beeinflusste elektronische Musik gespielt wurde. Das war eine eigene kleine Szene dort. In Berlin wiederum spiegelt sich meiner Meinung nach die kulturelle Vielfalt der Stadt und die türkischen und arabischen Einflüsse kaum in der Musikszene wieder. Woran liegt das?
Spanien hat im Vergleich zu Deutschland eine Flamenco-Kultur, hat eine Sinti-und-Roma-Kultur, die die Musik sehr stark geprägt hat und hat viele nordafrikanische Einflüsse – seit Jahrhunderten. Hierzulande steckt das wiederum noch nicht seit Jahrhunderten in der Kultur. Das ist etwas, das es erst seit der letzten Arbeitermigration vor 50 Jahren hier existiert. Und erst seit kurzem fangen die Leute hier an, das auch anzunehmen. Ich weiß das, weil ich am Anfang total viele Schwierigkeiten hatte, diese Mucke zu spielen und die Leute mich total niedergemacht haben. Viele können zu Latin-Musik eher tanzen, sogar zu Balkan, weil das dieses Polka-artige hat, als zur Türkenmucke. Und es gibt immer noch sehr viele, die damit nicht können. Dann denke ich manchmal, ich bin kein DJ sondern eher eine Erzieherin. Am Anfang habe ich total viel musikalische Erziehungsarbeit machen müssen.

Dahinter stand also eine gewisse Absicht, eine Mission?
Natürlich. Wenn ich außerhalb der Szene auflegen möchte, die alle mit dieser Musik gut können, wenn ich expandieren möchte, dann muss ich bereit sein, dass die Leute auf mich reagieren und sagen: ‚Ich kann damit nichts anfangen – deine Musik ist scheiße‘. Meine Antwort darauf ist: ‚Am besten holst du dir einfach was zu trinken und genießt, wie die anderen Leute zu dieser Musik tanzen.‘ Und wenn sie nochmal kommen, dann sag ich: ‚Geh wieder in die Ecke und denke darüber nach, warum du die Musik von zwei Millionen Menschen in Deutschland nicht aushalten kannst. Und dann können wir darüber reden.‘

Das hat ja schon etwas Sozial- bzw. Musikpädagogisches.
Total. Das muss ich auch machen. Sonst würde ich wirklich in einer Art Kokon auflegen. Aber ich käme da nicht weiter, ich würde mich nicht herausgefordert fühlen und die Leute auch nicht. Auf Dauer immer die gleich Musik zu hören, ist ja auch langweilig. Also muss man ihnen auch sagen: ‚Hast du schon mal türkischen Trap gehört oder Drum’n’Bass oder Dub Step?‘ Das gibt’s. Und das ist auch meine Aufgabe, es den Leuten vorzustellen.

Wo recherchierst du deine Musik?
Bei Beatport, aber da gibt es nur elektronische Sachen. Ich geh auch Facebook-Seiten wie Türk Pop oder es gibt auch Menschen, die wirklich CDs mitbringen und sagen ’spiel mal die Nummer 8′ – ‚Darf ich die CD behalten?‘ – ‚Ja, du darfst‘. Ich „shazame“ viel bei anderen DJs oder befreundete DJs zeigen mir Sachen. Und ich geh auch in CD-Läden.

Gibt es in Berlin Läden, die Du empfehlen kannst?
Türkische CD-Läden?

Genau.
Wen ich sehr mag und wer auch eine gute Auswahl hat, ist Umut Kasetçilik in der Adalbertstraße, Ecke Oranienstraße. Die haben eine große Auswahl. Nicht nur diese Türkisch-Pop-, Arabesque- und Türkisch-Rock-Geschichten, weil das die drei großen Richtungen in der Türkei sind. Der hat auch Doublemoon-Produktionen, Elec-Trip-Produktionen, also die alternativen Labels, die teilweise schon nicht mehr aktiv sind – es gibt leider nicht allzu viele alternative Labels in der Türkei.

Lass uns zum Schluss noch kurz über Neukölln reden. Seit wann lebst du hier?
Ich lebe, mit Unterbrechungen seit ’88 in Neukölln. Damals habe ich an den Heidelberger Straße gewohnt – direkt an der Mauer. Wenn ich auf den Balkon gegangen bin, war ich auf der Ostseite, deswegen konnte die West-Polizei nicht kommen und deswegen hat meine Mutter auch immer dort ihr Auto geparkt. Dann hatte ich mein Coming-Out und wollte näher an Kreuzberg leben. Nach einigen Unterbrechungen bin ich jetzt wieder hier.

Und was verbindest du mit Neukölln?
Ich hab versucht im Prenzlberg zu leben oder in Mitte, am Hackeschen Markt, aber ich fühlte mich wie ein Tourist in meiner eigenen Stadt. In Neukölln mochte immer dieses Schroffe, Neukölln-Look, Futschi trinken, usw.. Und auch diesen Ruf von Neukölln. Es ist meine Heimat mittlerweile. Ich liebe diesen Stadtteil einfach, weil er so vielfältig ist mit sehr unterschiedlichen Menschen und auch so riesig. Was ich sehr schade finde, ist diese starke Gentrifizierung. Ich mag die Cafés, ich mag die Galerien, ich mag die little stores, ich mag die Restaurants und ich finde es auch toll, dass die da sind – es war ja auch schon sehr dunkel und trist hier. Ich muss nicht mehr nach Kreuzberg, um Café zu trinken oder coole Leute zu treffen, die gibt es auch hier. Aber leider ist halt auch alles teurer geworden. Die wahren Neuköllner müssen alle wegziehen und das finde ich sehr sehr schade – da geht die Vielfalt verloren. Ich mag den Kalle an der Ecke eben auch und will den dort auch immer noch sehen, sowie ich den Hassan um’s Eck und den Mohammed auch immer sehe genauso wie Aishe, Fatma und Hannelore.

Mehr von DJ İpek İpekçioğlu findet ihr auf Soundcloud oder am 1. Mai live beim MyFest auf der von ihr kuratierten Import-Export-Bühne am Heinrichplatz.

Tracklist:

1. Cem Karaca – Durduramayacaklar (Dogu Civicik Edit)
2. Neset Ertas – Amanin LEyla LEyla (Dj Huso Remix)
3. Edip Akbayram – Ayrilik (Baris K. Edit)
4. Baris Manco – Alla Beni Pulla Beni (FOC Edits Mesmerizing Vocal Cut)
5. Ajda Pekkan – Düsünme hiç (Ince Şarj Remix)
6. Hülya Süer – Seker oglan Kozmonot Rework
7. Ferdi Ozbegen – Köprüden gecti gelin (Tutan Sun Mix)
8. Zeki Müren – Gitme sana muhtacim (Ali Kuru Parcala Behcet Edit)
9. Mogollar – Cigrik – (FOC Edits Rework)
10. Sezen Aksu – Kis Masali (Dogu Civicik Edit)
11. Özdemir Erdogan – Ac Kapiyi Gir Iceri (FOC Edits Rework)
12. Nese Karaböcek – Yali Yali (Todd Terje Edit)
13. Sezen Aksu – Haydi Gel Benimle Ol (FOC Edits Rework)
14. Asik Veysel – Bes Günlük Dünyada (Remix)
15. Asik Mahzuni Serif Yuh Yuh (Ipek Ipekcioglu NuDisco Remix)
16. Baris Manco – Dönence (DJ Ipek Ipekcioglu DiskoFunk Remix)

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