Der Richardplatz ist wieder Raum für Experimentierfreude: Unter den alten Kastanienbäumen realisieren die Künstlerinnen Eva Winnersbach und Cornelia Bördlein nun zum vierten Mal das RiXXperiment. Gemeinsam mit weiteren Künstlern haben sie das Konzept „Schattendasein“ entwickelt. Die Gruppe ist keine feste Konstellation, sondern findet sich zu den „48 Stunden“ jedes Mal neu. In diesem Jahr ist unter anderem Ilker Abay dabei. Mit seiner Installation „Shadow Society“ möchte er eine gesellschaftliche Kommunikationsplattform schaffen – unabhängig von Herkunft, Aussehen und Image.
Freitagnachmittag in einem Rixdorfer Hinterhaus. Noch ist es ein kleines Holzmodell auf dem Wohnzimmerteppich, mit dem Ilker Abay seine Vorstellung von einem gesellschaftlichen Common Ground umsetzt. Der kurdische Künstler wurde 1978 in der Türkei geboren und wuchs in Anatolien auf. Mittlerweile lebt er in Berlin und ist unter anderem als Schauspieler, Produzent und Regisseur tätig. „Die Leute fragen mich immer, was bist du nun, Schauspieler oder Produzent oder Filmemacher? Aber ich mache eben viele Sachen“, so Abay.
Verschwommenes Gegenüber
Nun also „Shadow Society“, ein anonymer sozialer Raum, der die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gruppen der Neuköllner Gesellschaft ermöglichen soll. Bei der Installation geht es auch um die Antwort auf die Frage: Wie können wir kommunizieren, ohne uns gleich Vorurteile über die andere Person zu bilden? Die „Shadow Society“ soll man über einen Vorraum betreten können, der mit Bücherregalen, Fotografien, Briefen und Szenen aus Theaterstücken ausstaffiert ist. Dazu soll es zwei kleine Kabinen geben, die durch eine verschwommene Scheibe getrennt sind. Eine entsprechende Lichtinstallation stellt das Gegenüber jeweils nur als Schatten dar.
Laut eigener Aussage ist Ilker Abay auch sehr am anthropologischen Aspekt des Common Ground interessiert – an Ritualen, Elementen, Gewohnheiten, die etwas über die hybride Neuköllner Kultur aussagen. „Shadow Society“ möchte hierfür eine Plattform bieten. Manche Besucher werden von Ilker vielleicht dazu befragt, und möglicherweise kommen dabei auch Geheimnisse zutage. „Und wer möchte, kann die Kabine auch einfach abschließen und nie wieder verlassen“, so Abay. Ob das metaphorisch gemeint ist? „Ich glaube nicht an die Message in der Kunst. Jeder ist intelligent genug und jeder versteht, was er verstehen kann und will. Ich möchte nur, dass die Leute sich auf den Moment und die Erfahrung einlassen.“
Eine Wolke aus Holz
Doch am Festivalwochenende es gibt noch viel mehr Kunst auf dem Richardplatz. Und um dem Negativen, das dem Schattendasein meist anhaftet, ein schöpferisches Potenzial entgegenzustellen, soll es weitere Kunst zum Mitmachen geben, wie bei der „Wooden Cloud“ von Martin Steinert. Hierbei handelt es sich um eine architektonische Installation, die bereits in Saarbrücken und St. Petersburg zu sehen war. Auf dem Richardplatz fängt der Bau der „Wooden Cloud“ zu „48 Stunden Neukölln“ an, und geht dann einen Monat lang weiter. Sie besteht aus Holzlatten, auf die Passanten ihre ganz persönlichen Wünsche, Hoffnungen oder Ängste schreiben können, bevor sie in die Installation eingebaut werden. So wird die Cloud zu einem momentanen Spiegel der gesellschaftlichen Befindlichkeit.
Um Befindlichkeiten geht es auch bei der temporären Installation „Ordnung“ von Peter Müller. Er ersetzt die derzeit fehlenden Parkbänke auf dem Richardplatz mit Bänken aus Wachs. Sie dienen allerdings nur der Wiederherstellung der optischen Ordnung – auf den Ersatzbänken ist Sitzen verboten.
Eine Anspielung auf Schattenwirtschaft und Steuertricks macht „Schwarzgeld“ von Eva AM Winnersbach und Ommo Wille. Als Giveaway gibt es außerdem Seifen, in denen kleine Geldstücke versteckt sind. Bei „No home“ von Mariele Bergmann geht es um die Themen Flucht und Obdachlosigkeit, die mit einer übergroßen Plastiktasche dargestellt werden. Passend dazu kann man sich von Jörg Naumann und Oliver Voigt einen Stempel aufdrücken lassen: Temporär gehört man dann zum „Heer der Abgestempelten“, den Nachweis bringt ein Solidaritätsausweis.
Patrick Timm wiederum versucht, in einer Zeichnung alle Menschen der Welt mit ihrem Namen zusammenzubringen. Auf dem Richardplatz zeigt er den aktuellen Stand der Zeichnung und es gibt die Möglichkeit, seinen Namen dafür zur Verfügung zu stellen.
Performance unter Scheinwerfern
Cornelia Bördlein und Carmen Loch wiederum machen das Schattendasein zu einem begehbaren Experiment, mithilfe einer großen schwarzen Hülle, in die man reinkriechen kann. Jeweils ab 22:30 Uhr gibt es die Tanz-Performance „SchattenFang & Transition“ im Scheinwerferlicht, bei der sich die Bewegungen der Tänzerin Abel Navarro transformieren und mit einem Wandgemälde von Ilona Ottenbreit verbinden.
Und das ist noch nicht alles: Neben weiteren Kunstprojekten gibt es am Sonntag für acht Euro ein Frühstück unter den Kastanienbäumen. Um es also mit den Worten von Eva Winnersbach zusammenzufassen: „Man weiß, auf dem Richardplatz ist es nett.“
Das Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“ findet vom 23. bis 25. Juni an vielen verschiedenen Orten im Bezirk statt und steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Schatten“. neukoellner.net ist Medienpartner.