Als Schatten bezeichnet man die einem bestimmten Einwirken abgewandte Seite. Projizieren kann man diese Definition auf vieles. Etwa auf die Vergessenen der Gesellschaft, denen wider aller Beteuerungen von Politikern, kaum eine Sozialreform zugutekommt. Die Schattenseiten unseres demokratischen Systems, das erlaubt, Parteien mit rechten Gesinnungen Politik machen zu lassen, obwohl die Gründerväter der Bundesrepublik sich geschworen hatten, dass es für alle Zeiten vorbei sei mit dem Nationalsozialismus und rechtem Gedankengut.
Gesellschaftliche Schattenseiten
Die Schattenseiten unseres Status als „Exportweltmeister“ – deutsche Panzer für Katar, die im Jemen eingesetzt werden könnten, um Menschen zu töten. Fluchtursachen schaffen, anstatt sie zu bekämpfen. Die Schattenseiten des Arbeitsmarkts, in dem es trotz stetig steigender Beschäftigungsquote mehr Verlierer als Gewinner gibt. Dumpinglöhne und Leiharbeit. Der Schatten steht für die Vergänglichkeit des Seins, für das verwelken von Blumen. Er steht für die Schwärze und somit für die Dunkelheit.
Motto nah am Zeitgeschehen
Das diesjährige Thema von „48 Stunden Neukölln“ ist wieder einmal nah am Zeitgeschehen, wenngleich die Kunst auch zeigt: Dem Schatten wohnt nicht nur Schlechtes inne. So kann er unter anderem auch als Metapher für einen Zufluchtsort, wenn er etwa vor der gleißenden Sonne schützt, gesehen werden. Die Ägypter haben bereits um das Jahr 5000 v. Chr. die Uhrzeit mithilfe der Sonne und dem daraus resultierenden Schatten gemessen.
Was hat das Festival zu bieten?
An Veranstaltungsorten in ganz Nord-Neukölln, von denen viele im Alltag nichts mit Kunst zu tun haben, wirken um die 1200 Kunstschaffende an rund 250 Ausstellungen mit. Das Besondere an „48 Stunden Neukölln“ sind die diskursiven, partizipativen und interdisziplinären Ansätze. Das Publikum wird angehalten, sich an der Kunst und dem Diskurs darüber zu beteiligen. Längst ist Berlins größtes Independent-Kunstfestival über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus bekannt geworden.
Ein Festival im Festival, das Junge Kunst NK, richtet sich an die jüngere Generation und behandelt das Pendant des Schattens – das Licht. Auch hier werden die jüngeren Leute dazu angeregt, sich zu beteiligen. Das Musikschiff, auf dem man sich sechs verschiedene Bands anhören kann, legt am Anleger am Wildenbruchplatz an und ab. In der Bezirksregierung fanden die Organisatoren um die Leiter Martin Steffens und Thorsten Schlenger einen Partner, der das Festival finanziell unterstützt. Organisiert wird die Veranstaltung vom Kulturnetzwerk Neukölln e.V.
Die Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hob auf der Pressekonferenz am Dienstagmittag in ihrem Grußwort die Bedeutung des Festivals für Neukölln und die Beachtung, die ihm weit über die Bezirksgrenzen hinaus geschenkt wird, hervor. Außerdem sagte sie, dass der Raum für Kunstschaffende in Neukölln erhalten werden müsse, da auch diese den Bezirk zu dem gemacht hätten, was er ist. Ob dieser Aussage auch Taten folgen werden oder ob sie bereits kurz nach der Aussprache obsolet war, ist ungewiss. Die Gentrifizierung in Neukölln macht auch nicht vor Kunstschaffenden halt.
Wann geht es los?
Eröffnet wird die 19. Edition des Kunstfestivals am Freitag, den 23.6 um 19:00 im PAS 03 in der Ganghoferstraße. An der Eröffnungsaustellung „Into the Light“ haben insgesamt 48 Künstlerinnen und Künstler mitgewirkt. Franziska Giffey, Jan-Christopher Rämer (Bezirksstadtrat für Bildung, Schule, Kultur und Sport) und Auguste Kuschnerow (Vorstandsvorsitzende Kulturnetzwerk Neukölln e.V.) werden im Rahmen der Eröffnung Reden halten. Alle Veranstaltungsorte sowie Informationen zu den einzelnen Kunstschaffenden finden sich auf der Website des Festivals oder an einem der insgesamt sechs Info- und Materialpunkte. Am Sonntag um 19:00 Uhr ist dann Schluss mit dem größten kulturellen Ereignis des Jahres in Neukölln.
Die Ägypter legten mit ihrer Sonnenuhr vor mehr als 7000 Jahren den Grundstein für unser heutiges, beschleunigtes Leben. Man wird zum Schatten seiner selbst, man muss funktionieren. Zeit ist Geld, Geld ist Macht. Der Eintritt für „48 Stunden Neukölln“ ist kostenlos. Es wird ein gutes Wochenende für die Kunst werden, bei dem, trotz aller Liebe zum bloßen Betrachten von Kunst, die Kritik an den Missständen der heutigen Zeit das zentrale Element sein wird.
Fünf Tage nach Ende des Festivals, wird in der Friedelstraße im Reuterkiez ein alternativer Raum für Kunst, Hilfsbereitschaft, das Miteinander und die Solidarität, zwangsgeräumt werden.
„Während der Schatten schwindet, schwindet mit ihm unwiederbringlich die Zeit. Und während jedem die Zeit davonläuft, schwindet der Schatten.“ (Inschrift einer Sonnenuhr)
Das Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“ findet vom 23. bis 25. Juni an vielen verschiedenen Orten im Bezirk statt und steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Schatten“. neukoellner.net ist Medienpartner.