Interview: Undine Hill, Björn Müller
neukoellner.net: Das Nazitopic gilt vielen als verbraucht – begeistert man damit noch Leute, Volkstheater zu machen?
Julia von Schacky: Das erste Treffen hat gezeigt, dass die Zeit für einige Menschen in Neukölln, egal welchen Alters und Herkunft noch nicht abgeschlossen ist. Fast immer gibt es etwas Persönliches und Konkretes, was die Menschen antreibt, sich noch heute damit zu beschäftigen. Denn vieles was Neuköllner sich untereinander und anderen damals antaten, liegt noch im Dunkeln. Ein Beispiel sind verdrängte Schicksale von Familienmitgliedern, die Täter oder Opfer waren. Heute ist Neukölln facettenreicher und multikulti. Trotzdem ist im Viertel diese schwarze und schuldhafte Nazi-Vergangenheit noch da. Damit wollen wir arbeiten, um eine Art Gefühl zum Stand der Dinge zu finden. Die Leute sollen selbst recherchieren, im Kiez auf Spurensuche gehen und spielen, was für sie relevant ist.
Es geht euch also um die Aktualität der Nazizeit – da denkt man sofort an Pegida…
Stefanie Ähnelt: Pegida war kein Auslöser für das schon lange geplante Stück, aber es ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass allgemeiner politischer Unmut schnell zu Ausländerfeindlichkeit eskalieren kann. Heute Abend kamen eher deutsch-stämmige Neuköllner. Wir möchten aber auch solche mit Migrationshintergrund erreichen, um zu sehen, wie umfassend sich die Nazizeit auf die heutigen Neuköllner auswirkt.
Was habt Ihr in Sachen Naziverbrechen in Neukölln bis jetzt herausgefunden?
Julia: Ein Anhaltspunkt ist der Saal des Heimathafens Neukölln, indem wir sitzen. Wo wir heute unsere Stücke aufführen, lagerten die Nazis die Möbel deportierter Neuköllner Juden ein. Wer diese Menschen waren, ist bis heute nicht recherchiert. Das machen wir jetzt, unter anderem mit viel Archivarbeit.
Stefanie: Vielleicht gibt ein Buch Hinweise, dass eine Frau heute mitgebracht hat (siehe Foto). Dort ist vermerkt, wer in der Sonnenallee 44 damals ein- und auszog. Andere Geschichten sind ganz persönliche. Eine andere Frau, die an dem Stück mitarbeiten will, hat erst vor kurzem herausgefunden, dass ein Familienmitglied im Euthanasieprogramm der Nazis getötet wurde.
Wenn alle Teilnehmer ihre Geschichten einbringen wollen, wird das Stück nicht überfrachtet und droht zu scheitern?
Julia: Der Prozess, bei dem das Stück entsteht, ist uns so wichtig wie das Theater selber. Die Materialsuche darf nicht mit Scheuklappen vonstattengehen. Sie muss völlig frei sein, damit die Impulse der Leute das Stück formen können. Klar wird man auch einen gemeinsamen Nenner finden müssen. Aber genau dann wird sich zeigen, wofür die einzelnen Neuköllner bereit sind zu kämpfen, um ihre Ideen auf die Bühne zu bringen.
Für Interessierte: Das zweite Treffen für das Theaterstück zur Nazizeit in Neukölln ist am Mittwoch, den 28. Januar 2015 um 18 Uhr im Studio des Heimathafen Neuköllns. Fragen gerne an theater@heimathafen-neukoelln.de.