Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder

Explodierende Mietpreise im Reuterkiez lassen Heimatgefühle gar nicht erst aufkommen. Wie ein Pärchen die Zweisamkeit in vertrauter Umgebung sucht und scheitert.

(mehr …)

Text:

Mittwoch, 6. März 2013

Durch die zerbrochene Scheibe kann man direkt den Friedhof sehen. Aber der Blick wird von einem umgestürzten Plastiksessel und bunten Raketenresten von Silvester abgelenkt. Lene betrachtet den verschmutzten Balkon. Er gehört zu der Wohnung, die sie mit ihrem Freund Fabian an diesem Morgen besichtigt. Hier möchten sie einziehen. Dreck, zerschlagene Scheiben und scheußliche Wandfarben erschrecken die beiden schon lange nicht mehr.

Lene und Fabian wohnen seit einigen Jahren im Reuterkiez in Nord-Neukölln, dem nördlichsten Stadtteil des gleichnamigen Bezirks. Als Studierende bezogen die beiden ihre kleinen Zimmer in einer Vierer-Wohngemeinschaft und haben sich seither gut im Viertel eingelebt. Nun möchten sie das Leben zu zweit ausprobieren. Sie sind inzwischen berufstätig und haben vor fünf Monaten mit der Suche begonnen. Gefunden haben sie in ihrem Viertel nichts. „Im Reuterkiez gucken wir schon gar nicht mehr“, sagt Lene, „hier gibt es keine Angebote – zumindest nicht in unserem Preissegment.“

Mietsteigerung um knapp 40 Prozent

Der Reuterkiez reicht von der Weichselstraße bis zum Kottbusser Damm und vom Landwehrkanal bis zur Sonnenallee. Dazwischen tobt das wilde Leben. Die Weserstraße wird zwischen Barcelona und New York als Partymeile gerühmt. Die Nachtschwärmer kommen in Scharen und die Preise ziehen an. Die Statistiken von Immobilien-Plattformen zeigen, wie drastisch die Neu-Mieten im Stadtteil Neukölln gestiegen sind: Im Durchschnitt um knapp 40 Prozent in den letzten drei Jahren.

Dennoch identifiziert die Sozialstudie in den Wohngebieten Nord-Neukölln, vom Berliner Senat in Auftrag gegeben, keine eindeutige Gentrifizierung des Stadtteils. Ausschließlich im Reuterkiez sind deutliche Aufwertungstendenzen zu erkennen. Hier sind die Mietpreise – bei den attraktiveren Wohnungen mit einer Fläche von über 40 Quadratmeter – um einiges höher als im restlichen Nord-Neukölln. Und durch den hohen Anteil an gut verdienenden Akademikern, sogenannten Gentrifiers, haben sich die Einkommensverhältnisse an den Berliner Schnitt angenähert. Und von dem im restlichen Stadtteil entfernt. Die Einkommen am Reuterplatz liegen im Sommer 2011, dem Erhebungszeitraum der Studie, zehn Prozent über dem Nordneuköllner Durchschnitt.

Lene und Fabian gewinnen und verlieren beinah gleichzeitig durch diese Entwicklung. Gerne probieren sie die Cafés und Bars aus, die hier regelmäßig neu aufmachen. Oder sie gehen an sonnigen Sonntagen am Kanal spazieren und treffen dort auf Leute wie sie selbst: junge Pärchen mit akademischem Hintergrund und großen Brillen. Manche schieben einen Kinderwagen oder ziehen einen Hund hinter sich her. Andere rauchen oder trinken Kaffee.

Odyssee durch heruntergekommene Wohnungen

Für Lene ist Heimat dort, wo man bleiben möchte. Und das ist für sie der Reuterkiez und Umgebung. Eigentlich passt das Pärchen perfekt ins Klischee der Gentrifizierung: Als Pioniere, also Studierende mit geringem Einkommen, sind sie in einen günstigen, angesagten Bezirk gezogen. Und als gut verdienende Gentrifiers sorgen sie heute für die Aufwertung des Viertels und somit für die Erhöhung der Mietpreise – zumindest gemäß der Theorie. Allerdings hat die rasante Gentrifizierung am Reuterplatz die berufliche Entwicklung der beiden überholt. Obwohl sie jetzt erheblich mehr Geld haben als bei ihrem Zuzug, können sie sich die neuen Mietpreise nicht mehr leisten.

Lene und Fabian auf einer ihrer Suchen

Die letzten fünf Monate waren eine Odyssee durch heruntergekommene Wohnungen zu unverschämten Preisen. Hinzu kamen der erbitterte Konkurrenzkampf mit anderen Pärchen um den seriösesten Auftritt und vorurteilsbehaftete Makler. So wurde Lene und Fabian nach einer Besichtigung am Kottbusser Tor sogleich eine Alternativwohnung vorgeschlagen. Die stark türkisch geprägte Nachbarschaft wollte ihnen der Makler nicht zumuten. „Er meinte, wir würden nicht in die Mieterstruktur passen“, sagt Lene. Bei einem Termin an der südlichen Sonnenallee merkte der zuständige Makler kritisch an, dass in dem Mietshaus hauptsächlich Roma-Familien lebten. Aber sie könnten getrost einziehen, in etwa zwei Jahren hätte er „das Haus gedreht“. Lene und Fabian verzichteten.

Hoffen auf den Friedhofsblick

Nun hoffen sie auf eine Zusage für die Wohnung mit Friedhofsblick. Sie ist im Dachgeschoss, hat einen Sonnenbalkon und der Makler spricht relativ neutral von einer „guten Mischung der Mietparteien.“ Allerdings übersteigt der Quadratmeterpreis den der alten Wohnung bei Weitem und Stuck gibt es in dem Neubau keinen mehr. Auch vom Reuterkiez müssen Lene und Fabian sich verabschieden. Das Haus liegt jenseits der Ringbahn. Vom Nachtleben um den S-Bahnhof Hermannstraße hat man in New York wahrscheinlich noch nichts gehört – noch nicht.

Kommentare:

  • Vera sagt:

    das ist doch ein Fake-Artikel und mit Absicht unsympathisch. aber gefällt mir: Lena und Fabian hätten erst gar nicht kommen sollen, haben die Preise verdorben. Geht woanders hin, Studis und Möchtegernkünstler. Wir Old-Berliner waren schon immer gerne in unserem Kiez und sind jetzt eine Minderheit.

  • Sandra sagt:

    Liebe Vera, das ist doch ein Fake-Kommentar und mit Absicht unsympathisch, oder?

  • Peter sagt:

    Schaut doch ´mal auf http://www.wg-gesucht.de , da sind ab und zu ganz gute Wohnungen zu finden.
    Leider steigen die Mietpreise und die Stadt baut keine Wohnungen zu sozialen Preisen mehr.
    Nach der Wahl werden die Politiker die Sozialausgaben eh dratisch herunterschrauben.

  • Herr Hübner sagt:

    Also mal ehrlich. Wie arm ist es denn sich durch seine Wohngegend zu identifizieren. Aber so ist das eben, wenn man von da woher man kommt nur desolate kulturelle Entwicklungsfähigkeiten mit bringt braucht man eben Szenekieze. Mein „Kiez“ ist nicht schön, die abgebrannten Möbel von Silvester liegen noch immer auf der Straße, Autos ohne Nummernschilder stehen auf der Straße und im U Bahnhof stinkt es nach Urin und Drogen. Aber ich wohne da gern, zum Szenekiez sind es 5 min mit der UBahn, die Nachbarschaft ist lebendig und das Ambiente würde ich mal mutig als „Wild“ bezeichnen. Ich liebe es um die Boddinstraße.

  • Vera sagt:

    Liebe Sandra, ich hatte den Artikel auf einer mobilen Seite gelsen, ohne Bilder. So unsympathisch, klischee- und scherenschnittartig wie die beiden Wohnungssuchenden dargestellt wurden, hätte ich wirklich gedacht, das hätte sich der Autor ausgedacht, um uns Lesenden anhand eines Beispiels zu zeigen: So seid ihr und so läufts – nämlich Scheisse für den Bezirk!. Nämlich, das wissen zwar Viele, wollen es aber nicht wahr haben: Alle, die hier her ziehen sind EIN TEIL des Problems. Wir Alt-Eingesessenen werden vertrieben, weil wir uns die Studi-Künstler-Hipster-Mieten nicht mehr leisten können.
    Und wenn ihr dann alles aufgehübscht habt, es sauber und ruhig habt, gibts keine Attraktionen mehr in Berlin – die Stadt wird aussehen wie andere langweilige Städte dieser Republik. Danke fürs Zerstören unsere ureigenen Kultur: Wir wollten es urig, verdreckt, alternativ, frei, laut, tolerant, amüsant, gemischt hier haben. Ihr macht es gleich, langweilig, teuer, ruhig, sauber… Wer braucht eure Kinderklamotten-Läden, Wohndeko-Shops, Öko-Bäcker, Mate-Bars?

  • Ines sagt:

    Liebe Leute,
    das ist kein Fake-Artikel sondern Realität und Lene
    ist Berlinerin und darf sich wie jeder aussuchen, wo sie wohnen möchte.
    Das Problem sind nicht die Akademiker oder Cafés, das Problem ist die Wohnungsmarktpolitik, die Immobilienbranche und alle in der Berliner Politik, die das zulassen. Diese Preise können sich ja auch nicht mal mehr sogenannte Gentrifizierer oder Akademiker leisten. Das ist der totale verrückte Wahnsinn. Es hilft niemandem, wenn man sich neue Feindbilder und Schuldige sucht und sich gegenseitig fertig macht oder Farbbeutel schmeißt. Vereinen sollten sich alle Bürger, Türken, Araber oder andere Ausländer mit Berlinern, Zugezogenen, Akademikern, Künstlern, Studenten und Familien. Wir haben alle das gleiche Problem, manche vielleicht weniger, aber wir werden alle verarscht.

  • Rob sagt:

    Mir bereitet es doch immer wieder Bauchschmerzen, wenn komplexe Zusammenhänge, wie die „Gentrification“ (da ist wohl mittlerweile jeder Experte), nicht nur vereinfacht sondern damit auch falsch dargestellt werden. Die Diskussion um die Schwaben etc. zeigt eindeutig, dass hier kaum eine differenzierte Betrachtung der Ursachen und Hintergründe stattfindet.
    EIn Zitat aus dem Artikel verdeutlicht das: „Und als gut verdienende Gentrifiers sorgen sie heute für die Aufwertung des Viertels und somit für die Erhöhung der Mietpreise – zumindest gemäß der Theorie“. Die Fokussierung auf Personengruppen (Schwaben, Akademiker etc.) statt auf die systemischen Zusammenhänge (value-gap/rent-gap- Theorie) verhindert entsprechend Antworten zu finden, die letztendlich in der strukturellen Veränderungen des marktwirtschaftlich organisierten Bodenmarktes liegen müssen. Ganz offensichtlich ist gerade im Kontext deregulierter Finnanzsysteme die Immobilienmarktentwicklung zugunsten anlagenorientierter Investoren, deren Ziele in einem krassen Widerspruch zu den gesellschaftlichen Anforderungen UND politischen Leitbildern stehen. Dabei kann es nicht darum gehen privaten Grundbesitz als solchen in Frage zu stellen, sondern die Ziele, die mit einem solchen Grundbesitz verfolgt werden. In Frage gestellt werden müssen strukturelle Fehlentwicklungen im Boden- UND Finanzmarkt. Eine blinde Fokussierung auf einzelne Personen (gruppen) bringt inhaltlich wenig und langrfristig schon gar keine Veränderungen.

  • Paddy sagt:

    Schon lustig, wie sich die Berliner „zerfleischen“, einer „uriger“ als der andere (ich bin in Berlin geboren, also der einzig Waschechte! ällerbätsch). Heh, Jungs und Mädels, bissl mehr Solidarität und Mitgefühl. Ist doch cool wenn man sich weiterentwickelt und sich was Größeres leisten kann und will. Und genau so cool ist es, wenn man mit wenig zurechtkommt. Beides ist ok und keiner sollte dem anderen die Augen aushacken. Klar, ab und zu muss man sich halt mal bewegen und woanders hinziehen… na und? Wer sich so krampfhaft an „seinen Kiez“ klammert – „oh je, es darf sich bloss nichts verändern“. Das ist der „linke“ deutsche Spießer in Reinkultur. Da sind ja Gartenzwergehalter aus dem Westfälischen hipper.