An der Donau ist’s wie hier

Stadtführung durch den 8. Bezirk

Stadtführung durch den 8. Bezirk

Der 8. Bezirk in Budapest mausert sich. Clubs eröffnen in leerstehenden Mauern, immer mehr Young Professionals zieht es dorthin. Klingt vertraut? Stimmt! Und schon reden die Budapester von „ihrem Neukölln“. (mehr …)

Montag, 19. August 2013

Eigentlich beginnen Stadtführungen in Budapest vor Wahrzeichen, wie der St.-Stephans-Basilika oder dem ungarischen Parlamentsgebäude, aber nicht abseits touristischer Pfade. Csaba Szikra, 32, Stadtführer, ist es aber wichtig, dass Touristen nicht nur Eindrücke mitnehmen, die sie bereits von Postkarten kennen, sondern auch von seinem Budapest – Csabas Budapest ist die so genannte Josefstadt, der 8. Bezirk. Immer häufiger hört man junge Ungarn, nicht ohne Stolz, von „unserem Neukölln“ reden, der 8. Bezirk sei so, wie Neukölln in Berlin. Was heißt das? Wie ist Neukölln? Und was meinen junge Ungarn, wenn sie behaupten, ihr 8. Bezirk sei wie Neukölln?

Csaba möchte helfen, diese Fragen zu beantworten. Er steht auf dem Gutenbergplatz im 8. Bezirk, es ist Ende Mai, brütende Hitze, der Asphalt unter seinen Füßen brennt. Csaba muss erstmal Luft holen, die Hitze setzt ihm etwas zu. Er ist zudem schon länger auf den Beinen. In seinem Zweitjob ist er Trainer für die israelische Verteidigungstechnik Krav Maga. Er kommt gerade vom Training. „Siehst du die Einschusslöcher?“ Csaba deutet auf die Fassaden der Häuser um den Gutenbergplatz. „Das sind alles stille Zeugen des Volksaufstands von 1956“, sagt er. Die Häuser wirken baufällig, überall bröckelt der Putz von den Wänden, ein paar Fensterscheiben sind eingeschlagen. Die Mieten im 8. Bezirk seien relativ niedrig. „Wobei sie langsam steigen, hier verändert sich gerade einiges, immer mehr ‚young professionals’ ziehen hierher, so wie in Neukölln“, meint Csaba.

Gefährlich und kriminell

In Budapest ist der 8. Bezirk vor allem für seinen multikulturellen Charakter bekannt. Zwar stellen weiße ethnische Ungarn mit Abstand den Großteil der hier lebenden Menschen, dennoch reichen ein paar tausend Roma, um das Bild von der Josefstadt zu bestimmen. „Die meisten Budapester glauben, hier ist es gefährlich und alle sind kriminell. Die Menschen mögen keine Zigeuner.“ Csaba macht eine ausladende Handgeste. „Aber schau dich um, sehen diese Menschen etwa gefährlich aus?“ Vor uns spielen Kinder, einige Mütter sitzen auf Bänken und dösen in den Tag hinein. „Klar, hier gibt es einige Straßenzüge, denen man nachts besser fern bleibt, aber so etwas gibt es überall.“

Jüdische Vergangenheit

Csaba verlässt den Gutenbergplatz in Richtung Osten, in der Bérkocsis Straße bleibt er vor einem imposanten Ziegelbau stehen – dem Rabbinerseminar Budapest. „Wenn man den 8. Bezirk kennenlernen möchte“, sagt er, „ist es wichtig, seine jüdische Vergangenheit und Gegenwart zu kennen.“

Das Rabbinerseminar in Budapest ist das älteste noch existierende Seminar der Welt und das einzige in Ostmitteleuropa. Heute sind vor allem weiter innerstädtische Viertel nah an der Donau bekannt für jüdische Sehenswürdigkeiten. Koschere Cafés, Restaurants und Metzger finden sich vermehrt um die Dohány Straße, wo die große Synagoge steht. Allerdings zeugt das Rabbinerseminar davon, dass auch die Josefstadt einmal eine wichtige Rolle im jüdischen Budapest gespielt hat. Bis heute prägt jüdisches Leben den 8. Bezirk. Es ist nicht so offensichtlich wie die Gemeinschaft der Roma oder die Anlaufstellen anderer Communities wie türkische Gemüseläden oder Afro-Shops, aber es hat seinen festen Platz.

Im 8. Bezirk

Straßenszene im 8. Bezirk

Clubs in Ruinen

Csaba geht die Bérkocsis Straße weiter runter, die meisten Häuser sind alte Budapester Stadthäuser, nur selten sieht man eine Platte oder einen Neubau. Die Straße ist eng, die Luft dick. Es hat sich nicht abgekühlt, die Nachmittagssonne treibt Csaba den Schweiß auf die Stirn. Er macht eine Pause in einem Kellercafé und holt sich einen Drink. Eine französische Bekannte kommt auf ihn zu, die beiden begrüßen sich. Das Café dient Stadtteilaktivisten als Treffpunkt. Gelder für Wohn- und Sozialprojekte werden hier gesammelt, Ausstellungen und Partys organisiert. „Im 8. Bezirk gibt es auch ‚ruinpubs’“, sagt die Französin. Natürlich seien sie weniger bekannt als die „ruinpubs“ im Stadtzentrum, aber das mache nichts, so kämen weniger Touristen.

„Ruinpubs“ sind Clubs in alten unbewohnten Stadthäusern oder Industriegebäuden. Zu Beginn der Nullerjahre entstanden mehrere dieser Clubs vor allem in den inneren Bezirken Budapests. Zu ihren Merkmalen gehört, dass sie auch über das Feiern hinaus Programm bieten, Kochkurse, Theater oder Konzerte, und dass sie oft nach einiger Zeit schließen und in einem anderen Gebäude wieder öffnen. „Ruinpub“ ist die wortwörtliche Übersetzung des ungarischen Namens für einen solchen Budapester Klub. Csaba erinnert das alles an Berlin. „Die Nutzbarmachung von ungenutzem Raum ist etwas, das Berlin und Budapest verbindet.“ Dass die großen Berliner Technoclubs nicht in Neukölln sind, stört niemanden. So wie Kreuzberg vor einiger Zeit zum Begriff dafür wurde, was alles neu und angesagt ist in Berlin, scheint heute zumindest in Budapest Neukölln ein ganz ähnlicher Begriff zu werden.

Fotos: Csaba Szikra, Krisztina Bereczki, Záhorszki Péter