Krieg in Neukölln

Vom Schwarzmarkt auf dem Hermannplatz, Fluchthelfern in der Manitiusstraße oder der brennenden Nikodemus-Kirche erzählt Regina Schwenke, Jahrgang 1938, Kriegskind aus Neukölln. Ein Erinnerungsspaziergang (mehr …)

Text:

Montag, 17. Dezember 2012

Geburt (Regina Schwenke, 1. Januar 1938)

„Das Jahr 1938 wurde gerade eingeläutet, als ich in Berlin das Licht der Welt erblickte. Das Licht stammte von den aufsteigenden Raketen, die den Himmel hell erleuchteten. Man tanzte durch die Straßen und freute sich, von allen Kirchen ertönten die Glocken.“*

*Auszug aus Und es wird immer wieder Tag (Butterfly Verlag Berlin, 3. Aufl. 2009)

Zuhause, Manitiusstraße 2

„… Zum Haus hier ist zu sagen, hier wohnten auch Juden und die wurden dann sehr bald deportiert, und ein Stück weiter an der Ecke an der Straße war ein Zahnarzt. Mit den Kindern haben wir dann auch gespielt, und als dann das Ärzteverbot kam, und der nicht mehr praktizieren durfte, haben wir in dem Wartezimmer mit den Stühlen, ach, Reise nach Jerusalem und was wir alles gespielt haben…“

*Bernhard Lichtenberg war Domprobst an der Bischofskirche St. Hedwig in Berlin und konsequenter Gegner des NS-Regimes

Luftschutzkeller

„… Ich weiß das noch wie heute, wie wir hier lang gerannt sind. Und dann sind wir zur Christophorus-Kirche und dort hat uns dann der Pater Dubis in Empfang genommen. Und über uns flogen, wirklich, ich weiß nicht wie niedrig die hier flogen, diese Kampfflugzeuge, Aufklärungsflugzeuge, so tief, dass wir die Piloten in den Kapseln sehen konnten. Also wir sahen richtig die Lederkappe und das alles, aber sie haben eben auch gesehen, scheinbar, dass da eine Mutter mit ihren Kindern flüchtete und die haben uns nicht beschossen…“

 

 

Der amerikanische Bruchpilot

„… Wir Kinder hatten uns hier am Landwehrkanal aus den Brettern aus den Kellern hatten wir uns Hütten gebaut. Für einen anderen sah das aus, als wenn da ein Misthaufen lag. Aber für uns Kinder, wir konnten den Deckel da oben aufklappen, da war Platz drin für zwei Menschen, also mehr war das nicht. Und dann haben wir den dahin geschleppt, Deckel aufgemacht und den da rein. Da haben wir den zwei Nächte hier gehalten, versorgt…“

Pater Dubis

„… Der hat also hier während des Krieges allen geholfen. Es gab niemand, dem er seine Hilfe versagt hat. Der ist mit einem klapprigen Rad unterwegs gewesen, während der Angriffe, nach den Angriffen, und hat dann nach den Leuten geschaut…“

Umzug, Nansenstraße 22

„… Nach dem Krieg, als wir hier total ausgebombt waren, kamen dann die Tanten rüber und sagten, kommt, kommt, kommt schnell zu uns rüber. Da ist ein alter Mann gestorben und die Wohnung ist leer. Und da sind wir dann eingezogen, einfach so, wir hatten ja nichts mitzunehmen, und viele andere wollten das auch, und dann haben meine Tanten so fürchterlich gelogen, die haben dann erzählt, wir hätten eine Einweisung von der russischen Kommandantur…“

Russische Soldaten

„… In der Liegnitzer Straße da lagen die Russen, die ganze Straße runter in den Parterrewohnungen, hatten die die ganzen Fenster eingeschlagen, und standen immer mit so Panjewagen davor. Und hatten das also alles in Beschlag genommen. Und da sind wir dann über die Pannierbrücke, im Sommer, wenn’s warm war sogar rüber geschwommen über den Kanal und haben dann dort gebettelt und haben dann von denen also alles gekriegt…“

Überleben

„… Hier an der Ecke war ein Lebensmittelladen, da haben wir uns nach dem Krieg auch Geld verdient. Der hatte noch diese riesengroßen Schubkästen, und die waren voller Käfer und Mehlwürmer, und die haben wir dem dann sauber gemacht. Die Viecher haben wir im Eimer gesammelt und dann gab’s Leute die Hühner hatten, und denen haben wir den Eimer mit dem Viehzeug gebracht…“

 

Fotos: Yana Wernicke, Straßenskizze: Katrin Friedmann

Kommentare:

  • Peter sagt:

    Guter und spannender Spaziergang durch das alte Nord-Neukölln. Oben steht das Jahr 1983 anstelle von 1938. Das kann man doch korrigieren?

  • Fabian Friedmann sagt:

    Schon passiert. Danke für den Hinweis, Peter.

  • Ich habe diesen Spaziergang sehr gern gemacht. Es gibt zu diesem Neuköllner Kiez noch so viel zu erzählen und erinnern. Ich habe von 1938 – 1959 /Heirat in der Nansenstr, 22 gelebt. Es war eine harte Zeit, aber auch eine schöne Kindheit mit Freunden, die ich noch heute treffe.
    Herzliche Grüße an alle alten Neuköllner, die sich an die Kriegszeit erinnern.
    Danke und frohe Weihnachten
    Regina J. Schwenke

  • dragan sagt:

    als Ausländer freue ich mich ein paar neuköllnerische Geschichte vom Krieg zu hören, ich finde es schade daß es wenige Möglichkeiten gibt in Kontakt mit alten Leuten zu treten.

    Gut daß ihr jetzt diese Möglichkeit anbietet. 🙂

  • Stefan sagt:

    Hallo Regina, ich bin eben bei der Suche nach historischen Informationen zur Nansenstraße auf diese Seite gestoßen. Vielleicht kannst du mir Informationen über den Eckladen Nansenstraße 19 Ecke Manitiusstraße geben. Was für ein Geschäft hat sich dort um 1945 zu Kriegsende oder davor befunden? Oder vielleicht hast du Quellen für mich bei denen ich noch etwas finden könnte.

    Vielen Dank und Gruß, Stefan

  • Cara Wuchold sagt:

    Lieber Stefan, Regina Schwenke war zwar unsere Gesprächspartnerin in diesem Beitrag, sie arbeitet/schreibt aber nicht für den Neuköllner. Einen aktuellen Kontakt haben wir leider nicht, aber ich denke, sie sollte im Netz leicht aufzufinden sein! Viele Grüße!

  • Dieter Klappa sagt:

    Wir sind zu den Russen gegangen wenn sie an den Gulaschkanonen das Essen zubereitet haben .Mit Wassereimer standen wir dort. Einer schaute mich an sagte Du Hunger ? Alle Hunger er nahm den Eimer und füllte ihn bis zum Rand. Das waren 10 liter warmes Essen. Dann sagte “ Du wieder kommen „Am nächsten Tag bekam er meine Mundharmonika als Geschenk. 10 Tage standen sie dort und für 10 Tage war der Hunger Vergessen. So geschehen Ende April in der Mahlower Str