Astreiner Charme

Für den Augenblick gemacht: Vergangene Woche gab es bei Artconnect die kalligraphische Ausstellung „Ad hoc“ von Otto Baum zu sehen. Kunst, die auf Spontaneität und Einfachheit baut? „Astrein“.

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Sonntag, 16. Dezember 2012

Normalerweise wird der bespielte Raum von Artconnect von Akteuren der Berliner Kunst- und Kulturszene als mietbarer Arbeitsplatz genutzt. Seit einiger Zeit wird dort in regelmäßigen Abständen und immer wochenweise auch Kunst aus Berlin gezeigt – vergangene Woche war die kalligraphische Ausstellung „Ad hoc“ mit 72 Arbeiten des Berliner Künstlers Otto Baum, Teil des Friedrichshainer Künstlerkollektivs Klub7, in der Boddinstraße zu sehen.

Am Abend der Eröffnung finden sich an den Wänden kleinformatige – vom Künstler selbst gebaute – weiße Bilderrahmen. Darin: viele Buchstaben, aus denen collagenhaft Wörter entstehen. „Concentrate“ ist eines davon. Auch Wortgruppen wie „Straffer Zeitplan“ sind dabei. Einige offenbaren sofort einen Inhalt, andere lassen sich erst nach mehrmaligem Hinschauen entschlüsseln. Die Kartonzeichnungen in den Rahmen vereinen neben Schriftelementen auch Pfeile, Dreiecke, Tropfen, Blitze oder Pyramiden. Sie fliegen im künstlerischen Raum herum, treffen sich und entfernen sich wieder. So entstehen kleine Kosmen aus viel Poesie, Humor und Musik.

Otto Baum vor seinen Arbeiten

Anknüpfungspunkte in die bunte Welt der Texte gibt es viele. Vor allem musikalische Kontexte, erzählt mir der Künstler, waren für ihn wichtig bei der Arbeit an den Federzeichnungen, die durch Bleistift gezeichnete Wörter ergänzt werden. Es schweben musikalische Gedankenbeats als Wörter im Raum und verweisen mit dem bereits genannten „Concentrate“ etwa auf den Jazzpianisten Herbie Hancock.  Dazu kommen elektronischere Bezüge („Floating Points“) und auch popmusikalische Zitate wie „Yesterday“ von den Beatles schmücken das Repertoire weiter aus. Solche Bezüge werden durch, wie Otto sagt, „Wortspiele“ ergänzt. Ein „Allee Hopp“ saust neben einem dick rot gezeichneten „N“ umher und gibt dem Buchstaben eine besondere Dynamik. Dazu gesellt sich ein blauer Balken.

Rot und Blau sind die beiden Farbtöne, die die Ausstellung bestimmen. Sie sind Symbole für Ottos Leidenschaft für historische Schilder und französische Kultur. Auf einigen seiner Bilder schwirren ebenfalls der eigene Vor- und Nachname im Zentrum der Zeichnungen und werden Teil des vielfältigen Textes und damit auch der Interpretation des Betrachters. Die Wörter Otto und Baum verweisen auf wichtige Stationen im Leben des Künstlers. Er sollte eigentlich Otto heißen, ist jetzt aber froh einen anderen Namen bekommen zu haben. Baum bezieht sich auf seine Verbindung zu Pflanzen – er hat eine Ausbildung zum Gärtner gemacht und das hat auch seine Vorstellung von handwerklicher Arbeit entscheidend geprägt.

„Networking Breakfast“

Der Kontakt zu Artconnect kam über eine französische Praktikantin von Klub7 zustande, die dort vorher im Berliner Feld Erfahrung sammelte. Beim regelmäßig stattfindenden „Networking Breakfast“ – zu dem Otto Baum das Schaufenster illustrierte – stellte sich das Künstlerkollektiv den Initiatoren vor Ort sowie anderen Interessierten vor. Bald darauf entstand in Zusammenarbeit mit Julia von Artconnect, die Idee eine Einzelausstellung des Schriftkünstlers umzusetzen. Konzeptuell war diese nicht konkret auf die Räumlichkeiten zugeschnitten, trotzdem funktioniert die Kombination der kleinen Kunstwerke an den zwei  Wänden im vorderen Raum von Artconnect sehr gut. Auch wird die symbolische Verbindung des in Friedrichshain beheimateten Künstlers mit dem Neuköllner Kulturprojekt in den Arbeiten greifbar. „New! ABC“ steht als Zitat von Otto Baum an einer der Wände. ACB, das sind die Initialen des Kulturortes und wird zu Artconnect Berlin hinzugefügt.

Das Schaufenster von Artconnect, illustriert von Otto Baum

Ein spielerischer Umgang mit Sprache und eine große Liebe zur Schrift hat Otto Baum unter einem anderen Pseudonym bereits seit mehr als zehn Jahren begleitet. Der Name TOWER ist insbesondere in Friedrichshainer Straßen für Stickerkunst Programm geworden. Unzählige Varianten dieses „Decknamens“ wurden in der Stadt geklebt. Während er, wie er selbst sagt, mit den Aufklebern „Fame“ erreichen wollte und fast wie „besessen“ die meisten Aufkleber von sich in der Stadt sehen wollte, waren selbst gedruckte Siebdruckplakate eher wichtig, um sich auszuprobieren und eigene Interessen zu entwickeln. Diese Zeit bezeichnet er als seine persönliche Street-Art-Epoche. Und diese Wurzeln finden sich auch in der Ausstellung  „Ad hoc“. Es sind die kleinen Wortspiele mit Sprichwörtern oder umgangssprachlichen Begriffen, die mitunter den Charme seiner Kunst ausmachen. „Astrein“ ist so ein Wort, das für Otto eine Bedeutung bekommt, da das Wort von einem anderen Mitglied von Klub7 häufig genutzt wird. Er selbst bringt es mit ostdeutscher Sprachkultur in Verbindung.

Begeisterung für Schrift und Materialität

Neben den Stickern sind heute eher die mit vielen verschiedenen Werkzeugen erzeugte Schriftkunst und Typographie wichtige Bereiche seines künstlerischen Schaffens. Gerade die Stickerkunst war sehr prägend für Otto Baum. Heute ist es eher die Schriftkunst mit Feder und Pinsel, die ihn bewegt und die er auch klar von der vorhergehenden langjährigen Druckarbeit mit Stickern abhebt. Dabei spielt Materialität eine große Bedeutung. Vergänglichkeit und ein „used look“: „Auf sowas stehe ich. Und das ist mein Inhalt. Diese Materialität oder Oberflächen, das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt.“ Diese Affinität zeigt sich auch in seinem Studium des Textil- und Flächendesigns an der Weißenseer Kunsthochschule. Wie entwickelt sich ein Material, wenn Farbe darauf gestrichen wird, wenn es Umwelteinflüssen ausgesetzt wird oder wenn mehrere Werkzeuge im Schaffensprozess kombiniert werden?

Spontaneität und Einfachheit sind Eckpfeiler seines kreativen Prozesses, seitdem er vor einigen Jahren ein Buch zur Kunststilrichtung Art Brut entdeckte – der Titel der Ausstellung „Ad hoc“ verweist genau darauf. „Ick mach die Sachen einfach und ick mach die nich fünf- oder zehnmal, damit se geil aussehen, sondern ick lass die so. Und das ist genau das Plötzliche dabei.“

Wenn seine gegenwärtige Schriftkunst mit Street Art gleichgesetzt wird, mag er das nicht. Er findet es schwer, dem Begriff konkrete Kunst zuzuordnen und dieses „Massending“ möchte er nicht mit seiner Arbeit in Verbindung gebracht sehen. Eher als eine neue Form von Illustration im Straßenraum könne man es bezeichnen. Am wichtigsten ist ihm die technische Umsetzung. „Der Inhalt ist mir egal. Ob da nun ‚spezial‘ steht oder ‚fresh‘ dit is egal. Und wenn ich weiß, wie es gemacht ist, dann ergibt es für mich einen Wert.“ Dafür nutzt er in Peter-Lustig-Manier auch Pinsel mit Eichhörnchenhaaren. Vor allem handwerkliche Übung nennt er als besonderes Element seiner Schriftkunst. So kann er aus dem „Effeff“ kunstvoll Wörter auf Oberflächen schreiben.

Noch mehr Bilder von der Ausstellung? Hier entlang.

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