Fotos: Emmanuele Contini
Zugegeben, mein Bild vom Balkan, von Osteuropa und insbesondere von der Kultur der Roma ist durch ganz schlimmen Kitsch geprägt. Zugegeben, meine Vorstellungen vom Roma-Leben sind eine Projektionsfläche mitteleuropäisch-kleinbürgerlicher Sehnsüchte: Magie, Freiheit, Herzlichkeit, Ursprünglichkeit. Sorry, ich weiß das ist Quatsch.
Trotzdem und deswegen war ich am Samstag auf dem Herdelezi in der Boddinstraße. Das Herdelezi ist ein traditionelles Frühjahrsfest, das sowohl von christlichen als auch muslimischen Roma am St. Georgs-Tag, also am 6. Mai gefeiert wird. Traditionellerweise schlachtet und grillt man im Kreis der Familie ein ganzes Lamm, in den größeren Städten besorgt man sich beim Metzger ein paar Lammkeulen oder Kottelets. Außerdem gibt es Musik, Tanz und vielleicht ein Glas Wein.
Eine ganz kleine Tradition innerhalb dieser ganz großen Tradition ist, könnte man sagen, das Herdelezi-Fest in der Boddinstraße. Seit 8 Jahren wird es vom Amaro Foro e.V. am Samstag nach St. Georg veranstaltet, um Roma und Nicht-Roma in Kontakt zu bringen, Ressentiments abzubauen und gemeinsam eine gute Zeit zu haben.
Von meinem Gesprächspartner Merdjan Jakupov, Vorsitzender bei Amaro Foro, erfahre ich, dass die allermeisten Roma in Berlin nicht in Wohnwägen sondern Mietswohnungen leben. Außerdem sagt er, es gäbe nicht eine, sondern mehrere Roma-Communities in Berlin. Obwohl man die gleiche Sprache spreche, seien die Roma sehr verstreut, und Roma aus Bulgarien hätten unter Umständen wenig Kontakt mit Roma aus Montenegro. Auch das Klischee, alle Roma seien musikalisch, trifft wohl nicht zu; er selbst, sagt Merdjan Jakupov, spiele weder ein Instrument, noch sei er besonders musikalisch.
Was allerdings tatsächlich real ist: Roma werden in vielen Balkanländern, aber auch in Griechenland, Frankreich und Tschechien, teils mit staatlicher Rückendeckung, verfolgt und diskriminiert. Nach Deutschland kamen die Roma in drei großen Wellen: In den Sechziger Jahren als „Gastarbeiter“, in den Neunziger Jahren als Kriegsflüchtlinge aus den Balkanstaaten und seit ein paar Jahren als sogenannte „europäische Roma“ aus Rumänien und Bulgarien. Seit Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien 2014 und 2015 sukzessive zu sicheren Herkunftsländern deklariert wurden, droht manchen aus diese Ländern geflüchteten Roma die Abschiebung. Doch gerade sie sind dort, neben anderen Gruppen wie LGBTQI, immer wieder von systematischen, gruppenbezogenen Menschenrechtsverletzungen betroffen.
In der Boddinstraße ist davon nichts zu spüren. Eine internationale Jugendgruppe, die für gut eine Woche in Berlin gastiert, zeigt ein Theaterstück über das zarte Erwachen der Liebe im Frühling. Später klingt der Klassiker „Caje Sukarije“ aus den Boxen, in unseren Breiten vor ein paar Jahren bekannt gemacht durch einen Edit von Sascha Braemer und Niconé. Übler Kitsch, könnte man jetzt sagen. Nicht für mich.
Amaro Foro e.V. ist ein Jugendverband von Roma und Nicht-Roma mit dem Ziel, jungen Menschen durch Empowerment, Mobilisierung, Selbstorganisation und Partizipation Raum zu schaffen, um aktive Bürger_innen zu werden.