Text: Cornelia Saxe
Christa Romroth war zu dieser Zeit medizinisch-technische Assistentin im Krankenhaus Neukölln. Am Sonntag, den 13. August 1961, leistete sie sich ein besonderes Vergnügen. Mit Freunden besuchte sie die Trabrennbahn in Mariendorf. Durch die Lautsprecher wurde bekanntgegeben, dass die Führung unter Walter Ulbricht eine Mauer durch Berlin bauen wollte.
Sie fuhren sofort nach Hause: „Wir sind dann gucken gegangen und dann steckte hier im Kuhgraben ein Auto aus dem Osten, das noch schnell in den Westen wollte. Der ist dann versunken in dem Graben. Es war eine Totenstille in der Stadt, weil keiner wusste, wie es weitergeht. Haften blieb diese riesige Unsicherheit und Angst, dass wir einverleibt werden. Berlin lag ja im Prinzip mitten im östlichen Gebiet, in der DDR.“
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Das, was die heute 83-Jährige den Kuhgraben nennt, heißt offiziell Heidekampgraben. Hier, wo heute der Berliner Mauerweg entlangführt, treffen wir uns zu einem Spaziergang zwischen Köllnischer Heide (ehemals West) und Baumschulenweg (ehemals Ost), um Erinnerungssplitter an die Zeit vor 55 Jahren zu sammeln. Die Seniorin wohnte schon als Kind in der Märchensiedlung in der Köllnischen Heide.
„Da vorn war der Kuhgraben, das war die natürliche Grenze. Und da stand ein großes Schild. Und da stand dann drauf: Amerikanischer Sektor. Und dann fuhr hier immer ein Jeep lang und da haben wir Kinder dann auch die ersten Schwarzen gesehen, daher wussten wir auch, dass das der amerikanische Sektor war.“
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Auf dem Spaziergang treffen wir viele Bekannte von Christa Romroth, die sie in unser Gespräch einbezieht. Eine Nachbarin ergänzt, dass sie sich als Teenager am liebsten so kleiden wollte wie die jungen Frauen der Amerikaner. Dazu toupierte man sich die Haare auf, band ein buntes Kopftuch um und steckte die Zipfel aufreizend ins Dekolleté. Dafür hätte sie eine Ohrfeige von ihrer Mutter bekommen, denn sie sollte nicht so aussehen wie die „Ami-Nutten“.
Große Rollen von Stacheldraht-Zäunen
Erstes sichtbares Zeichen für den Mauerbau waren große Rollen von Stacheldraht-Zäunen, die am Heidekampgraben auftauchten. Es gab erst lange einen Zaun, bevor die Mauer aus Stein gebaut wurde. Die Fenster der Häuser, die am Kuhgraben in Richtung Westen zeigten, sollen laut Christa Romroth zugemauert worden sein.
Während der Teilung hielt sie, die bis heute in der evangelischen Tabea-Gemeinde am Schulenburg-Park aktiv ist, Kontakt zu der evangelischen Gemeinde in Baumschulenweg. Regelmäßig fuhr man mit einer Gruppe in den östlichen Nachbarbezirk: „Wir hatten immer die Verbindung zur Vaterhausgemeinde in Baumschulenweg gehalten. Immer! Wir fragten dann: Was braucht Ihr am meisten? Wir brachten Kugelschreiber und Stifte und Malkreiden. Knete war unheimlich beliebt. Da haben sich zwei kennengelernt und festgestellt, sie wohnen in derselben Straße. Die Hänselstraße wird geteilt durch den Kuhgraben. Auf der einen Seite war der Osten, auf der anderen Seite war der Westen. Die beiden Jugendlichen waren fassungslos, dass sie in einer Straße wohnten.“
Nach der Maueröffnung: Das war toll!
Eine Bekannte von Frau Romroth, der wir begegnen, hat unmittelbar nach der Maueröffnung am 9. November 1989 in der Sparkasse gearbeitet, die schräg gegenüber vom heutigen Neuköllner Jobcenter an der Sonnenallee lag. „Wir hatten die 50.000-DM-Bündel unter dem Tresen und verteilten die 100 DM Begrüßungsgeld an jeden, der sie haben wollte. Wir mussten das im Ausweis auf der letzten Seite mit einem Datumsstempel quittieren. Manche haben die Seite einfach rausgerissen und kamen mehrmals.“ (lacht)
Christa Romroth stand vor der Sparkasse mit ihren Helfern von der Gemeinde und verteilte Tee an die Menschen, die dort in einer langen Schlange anstanden: „Es war eine Grabeskälte. Die sind einfach losgestürzt – ohne sich auch nur einen Handschuh anzuziehen. Wir haben als Erstes heißen Tee ausgeschenkt. Auch unsere türkischen Nachbarn brachten einen großen Kessel heißen Tee und warme Sachen.“
Die mit Stacheldraht, Selbstschussanlagen und DDR-Grenzsoldaten bewachte Berliner Mauer umfasste rund 170 Kilometer. Mehr als Hundert Menschen fanden zwischen 1961 und 1989 bei einem Fluchtversuch den Tod. Zwischen Neukölln und Treptow starben mindestens 15 Menschen. Zwei von ihnen waren Kinder. An sie erinnert das Mauerdenkmal in der Kiefholzstraße.
Eine Auswahl interessanter Links zur Berliner Mauergeschichte:
Museum Neukölln
Chronik der Mauer
Berliner-Mauer-Gedenkstätte
Luftbilder der Mauer von 1989
Berliner Grenzkinos
Kommentare:
Die Bildunterschrift beim Bild der Mauer Wildenbruch/ Heidelberger Straße entspricht nicht den Tatsachen, denn an dieser Stelle der Mauer gab es keinen Grenzübergang. Jedenfalls nach meiner Kenntnis nicht zwischen 1963 bis 1989.
Ich habe meine Jugend an dieser Straßenkreuzung verbracht und ich habe auch von den dort schon vorher wohnenden Mitbürgern nicht gehört das sich dort ein Grenzübergang befunden hat.
Hallo Herr Gerburg! Sie haben völlig recht, richtigerweise muss es „Mauerabschnitt“ heißen statt „Grenzübergang“. Ich habe es sofort verbessert. Vielen Dank für den Hinweis. Liebe Grüße!