Ein Ufo im Rollbergkiez

12053_Rollberg_01Auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei im Rollbergkiez sollen knapp 120 Eigentumswohnungen entstehen. Die Autorin war als Kaufinteressentin bei einem Beratungsgespräch vor Ort und fragt sich: Luxusbauprojekt oder sinnvolle Nutzung einer Brache?
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Montag, 20. Januar 2014

12053: die Postleitzahl für den Rollbergkiez in Neukölln. Und jetzt neu: der Name eines Neubauprojekts auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei an der Werbellinstraße 50, die Mitte der 1920-er Jahre erbaut und 2005 dicht gemacht wurde. Seitdem liegt die Fläche brach. Hin und wieder finden Kulturveranstaltungen in dem ehemaligen Sudhaus statt, das Schwuz zog es hierher, andere Clubs werden folgen. Bereits diesen Monat sollen über die Schotterfläche, nur einen Steinwurf vom großen Supermarkt und einem medizinischen Zentrum entfernt, die ersten Bagger rollen. Auf dem Areal zieht der Berliner Projektentwickler Casada bis 2016 einen Neubau hoch – zwei L-förmige Häuser mit 119 Eigentumswohnungen sollen entstehen.

Die Immobilienfirma Ziegert, die zu den Big Playern auf dem Berliner Immobilienmarkt gehört, will die rund 120 Wohnungen an den Mann bringen. Potentielle Kunden haben die Wahl zwischen Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen oder sogar einem Penthouse. Fußbodenheizung, bodentiefe Fenster, Fahrstühle, Balkone und Terrassen mit angrenzendem kleinem Garten gehören ebenfalls dazu. Auf den Grünflächen können Kräuter und Gemüse angebaut werden, „es darf allerdings nicht in eine klein-bäuerliche Nutzung ausarten“, betont der bebrillte Makler in grünem Lacoste-Pullover und reicht Kaffee zum Beratungsgespräch. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis für die Neubauwohnungen beträgt 3.300 Euro. Das entspricht etwa dem durchschnittlichen Quadratmeterpreis in Kreuzberg. Für den Bezirk Neukölln liegt er  bei 2.147,71 Euro –  die Wohnungen auf dem Kindl-Gelände liegen damit rund 50 Prozent über dem Durchschnittspreis für Eigentumswohnungen im Bezirk.

Wohnungen mit Familienrabatt

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Prospekt und Grundriss einer Wohnung auf dem Kindl-Areal

Im alten Bewirtungsbereich der Brauerei verteilt der Makler Exposés. Unter einem Plexiglas-Kasten auf einem Sockel das Modellhaus, darunter grüner Kunstrasen. Das Projekt soll insbesondere Familien mit Kindern ansprechen. Laut Prospekt sind Wohnungen für Familien günstiger, da auf die Marklercourtage von zehn Prozent verzichtet und der Kaufpreis um fünf Prozent gesenkt wird. Ob das eine Auflage des Bezirks ist oder ein freiwilliges Entgegenkommen der Immobilienfirma, um Sensibilität für das vieldiskutierte Gentrifizierungsphänomen zu zeigen, bleibt offen – eine entsprechende Anfrage beim Bezirksamt ist bisher unbeantwortet. Eine Vier-Zimmer-Wohnung im ersten Obergeschoss mit einer Fläche von 98,49 Quadratmetern kommt so jedenfalls auf einen stattlichen Kaufpreis von knapp 300.000 Euro.

Das Ziel sei es, das Neubauprojekt in ein sozial-freundliches Konzept einzubetten. Man will alles richtig machen, so scheint es. Vor allem auch von Seiten des Bezirks, der eng mit dem Projektentwickler zusammenarbeitet. „Das Projekt soll als Bereicherung gesehen werden und zwar für alle in Neukölln, und nicht nur für solche, die jetzt im Kiez wohnen“, sagt der Makler.

Aufwertung zwischen Trinkern & Jobcenter

Vor den Gebäuden soll künftig auch ein begrünter öffentlicher Platz entstehen, an dem nicht nur die Bewohner verweilen können – auf expliziten Wunsch des Bezirks. In unmittelbarer Nähe liegt das Jobcenter. Grund genug, für einige Kunden, Bedenken zu äußern. „Ich wurde beispielsweise gefragt, ob die Arbeitslosen dann hier vorbeilaufen und ihre Pulle Bier trinken“, erinnert sich der Makler und räumt ein, „dass das sein kann. Das kann niemand verhindern“. Der Bezirk wollte nämlich nicht, dass ein Tor aufgestellt und der Anschein suggeriert werde, dass es sich bei dem gesamten Areal um „Privatbesitz. Betreten verboten!“ handele.

„Die Leute, die hier kaufen, sind ja vernünftig. Allgemein kann man sagen, dass sich das Quartier völlig verändern wird. Nicht letztlich durch Kunstausstellungen und Performances, die im ehemaligen Sudhaus geplant sind“, erklärt der Makler.

Wer kein Verständnis für die „unterschiedlichen sozialen Schichten in Neukölln hat“, sollte sich nach Ansicht des Mannes auch keine Eigentumswohnung im Rollbergkiez anschaffen: „Wir können hier ja nicht wie ein Ufo landen und uns mit Stacheldraht abschotten.“

Dass sich die umliegende Nachbarschaft durch das Bauprojekt ändert, ist wahrscheinlich. Der Rollbergkiez gehört zu den Problemkiezen im Bezirk Neukölln – Arbeitslosigkeit, Gewalt, Drogen. „Wohnen, wo niemand wohnen will“ – titelte 2011 die Zeit über das „Berliner Sozialbaughetto“, wie es im Text heißt. Jetzt steht auch hier eine Aufwertung bevor, die Mieten werden steigen, die Bewohnerstruktur durch die höherwertigen Neubauten heterogener.

Verdrängung durch Luxusbau?

Die Fläche, auf der die Eigentumswohnungen entstehen, liegt brach. Sie ist ungenutzt. Das heißt, es handelt sich nicht um ein Objekt, das bereits besteht, kernsaniert wird und Mieter ausziehen müssen, die die anschließende Mieterhöhung nicht verkraften können. Bleibt die Frage, ob es sich bei den Wohnungen nun um Luxusbauten handelt. In Pankow gilt bereits die Ausstattung einer Wohnung mit Fußbodenheizung als Luxussanierung – dank Milieuschutz ist das seit Beginn diesen Jahres verboten. Für das Bezirksamt Neukölln ist diese Form des Heizens (bisher) kein No-Go. Die knapp 120 Wohnungen auf dem ehemaligen Kindl-Gelände werden nicht als Luxusbuden angepriesen und können auch nicht mit Appartements oder Wohnungen in Wilmersdorf oder Mitte Stand halten. Da Wohnraum in Berlin knapp wird und sofern sich das Vorhaben der Immobilienfirma – die Besonderheiten des Kiezes zu berücksichtigen und nicht wie ein Ufo zu landen – nicht als Lippenbekenntnis erweist, kann das Projekt eine sinnvolle Nutzung der brach liegenden Kindl-Areals darstellen.

Kommentare:

  • Zeno Gantner sagt:

    Ich kann den Durchschnittspreis von 2.147,71 Euro pro Quadratmetern für Wohnungen in Neukölln auf der verlinkten Seite zwar nicht finden, aber die dortigen Werte sind zumindest ähnlich.

    Trotzdem sind die Zahlen insgesamt nicht vergleichbar — die Preise für Neubauwohnungen sind in der Regel höher als die durchschnittlichen Preise.

  • Der Kiez ändert sich ohnehin, einen zusätzlichen Brandbeschleuniger braucht es nicht. Wichtig wäre es vielmehr, die Brache von Stadt und Land für mehr günstigen Mietraum bebauen zu lassen, um den rasant steigenden Mieten zwischen Karl-Marx-Straße und dem Tempelhofer Feld entgegen zu treten. Es ist nicht gut für eine Stadt, wenn weniger betuchte Bürger mittelfristig jenseits des S-Bahn-Rings verdrängt werden. Soziale Vielfalt bedeutet auch sozialen Frieden und bereichert in vielerlei Hinsicht. Ich wünsche mir jedenfalls keine Ghettos für Arme als Stadtrand.

  • brach sagt:

    So richtig brach lag die Fläche in meinen Augen nicht: War es nicht auch Trödelmarktgelände? Oder ist der Markt „nur“ dem Nierenzentrum zum Opfer gefallen?