Gescheiterte Zielvorgabe

Neun von elf QMs in Neukölln publizieren ihre eigene Kiezzeitung. Sie sollen den Kiezbewohnern eine Stimme geben. Doch so recht mag das noch nicht klappen. Zu viele Interessen prallen aufeinander. Eine kommentierte Analyse.

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Donnerstag, 25. Juli 2013

Sie heißen Richard, Walter oder Reuter und sollen ihre Bewohner über aktuelle Entwicklungen im Kiez und die Aktivitäten des jeweiligen Quartiersmanagements informieren: die Kiez- oder Quartierszeitungen in Neukölln.

Neun verschiedene Publikationen sind derzeit im Umlauf und werden in den verschiedenen Kiezen regelmäßig  ausgelegt oder flattern direkt in den Briefkasten: Rollberginfo, Ganghofer, Körnerpost, Donauwelle, Flughafenzeitung, Promenadenmischung und die drei bereits erwähnten. Von den elf in Neukölln ausgewiesenen Gebieten für Quartiersmanagements (QM) werden also mit Ausnahme der beiden QM-Gebiete „High-Deck-Siedlung / Sonnenallee“ und „Weiße Siedlung Dammweg“ (die beiden haben einen Flyer) alle Quartiere mit einer eigenen Zeitung auf den aktuellen Stand der Kiezentwicklung gebracht und bis auf den Walter für das Gebiet „Lipschitzallee / Gropiusstadt“ erscheinen alle in Nord-Neukölln.

Die Kiezblätter sind überwiegend zwischen acht und zwölf Seiten stark und haben eine Auflage zwischen 2.000 (Rollberginfo) und 9.000 Stück (Promenadenmischung). Sie erscheinen zwischen vier- und zehnmal im Jahr und sind für eine Leserschaft von 5.277 (Rollbergsiedlung, Stand 31.12.2010, Quelle: QM Berlin) bis 23.930 Einwohnern (Gropiusstadt, Stand 31.12.2010, Quelle: QM Berlin) ausgelegt.

Ein fundamentales Problem des Systems Kiezzeitung

Das eine große Ziel der Zeitungen ist es, die Bewohnerschaft der jeweiligen Kieze zusammenzubringen, zu vernetzen und die Arbeit der QMs publik zu machen. Daneben soll den verschiedenen (und oft von den QMs geförderten) Initiativen und Projekten eine öffentliche Plattform zur Verfügung gestellt werden, die ihnen ermöglicht, über ihre Aktionen und Angebote zu informieren. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden. Dass mit den Projekten im Allgemeinen der Zusammenhalt im Kiez verbessert wird, lässt sich nicht bestreiten. Sie schaffen Möglichkeiten zum Austausch der Nachbarschaft und unterstützen vor allem die Hilfebedürftigen – vereinzelte schwarze Schafe und seien es nur naive Projektideen lassen sich bei der Masse der Förderungen nicht vermeiden.

Das andere hehre Ziel der Zeitungen allerdings besteht darin, eine ehrenamtliche Beteiligung der Bewohner zu erreichen. In einer aktuellen Projektmittelausschreibung für die kommenden zwei Jahre der Körnerpost liest sich das wie folgt: „Darüber hinaus sollen auch die Bewohner/innen des Stadtteils die Möglichkeit erhalten, ihre Ideen, Vorschläge und Sichtweisen öffentlich zu machen. Diese Ziele sollen durch die Erstellung einer regelmäßig erscheinenden Quartierszeitung ermöglicht werden, die von einem Leserstammtisch inhaltlich unterstützt wird.“ (Quelle: QM Berlin)

Das klingt zwar erst einmal gut, stellt sich in der Praxis allerdings als Utopie heraus. Das hat man offenbar auch von Seiten der QMs erkannt, wurde bei früheren Ausschreibung sogar noch weiter gegriffen und der „Aufbau einer ehrenamtlichen Kiezredaktion“ als Ziel festgeschrieben. Das Scheitern dieser Zielvorgabe offenbart ein fundamentales Problem des Systems Kiezzeitung. Ich spreche da aus eigener Erfahrung, da ich mit meinen beiden Kollegen Agnes Ludwig und Michael Zambrano die Schillerkiezzeitung Promenadenmischung seit 2012 übernommen habe und wir im Austausch mit den anderen Kiezredaktionen stehen.

Der fade Beigeschmack der mangelnden Objektivität lässt sich so nicht vermeiden

Was sich die QMs zu Recht wünschen, ist eine ehrenamtliche Mitarbeit der Bewohner. Das Problem dabei ist nicht das mangelnde Engagement der Bevölkerung, die ließe sich mit viel Ansprache und Betreuung schon erreichen. Der eigentliche Knackpunkt aber ist die mangelnde Unabhängigkeit der Berichterstattung. Wer möchte schon ehrenamtlich für eine Zeitung schreiben, bei der er Gefahr läuft, seine eigentliche Meinung letztendlich doch nicht offen äußern zu können?

Der Vorwurf die Zeitungen seien reines „Propagandainstrument“, wie er seitens QM-Kritiker geäußert wird, greift meiner Erfahrung nach zu weit. Doch ein gewisses Mitspracherecht behalten sich – manche mehr, manche weniger – die meisten Quartiersmanagements vor oder sind womöglich von Seiten der Senatsverwaltung dazu verpflichtet. Und selbst wenn einem dabei nahezu freie Hand gelassen wird (fairer- und ehrlicherweise und um falsche Vermutungen zu vermeiden: unser QM-Team gesteht uns das glücklicherweise zu), lässt sich der fade Beigeschmack der mangelnden Objektivität nach außen hin nicht vermeiden.

Eine ehrenamtliche und eigenständige Weiterführung der Kiezzeitungen über eine Förderung hinaus wird damit obsolet. Sie ist zwar stets gewünscht wird und essenzieller Kern einer nachhaltigen Förderpolitik, nur werden die Voraussetzungen dafür nicht geschaffen. Wer ehrenamtliche Kiezreporter möchte, muss auch Kritik aushalten können. Eine unabhängige Berichterstattung wäre im Gegenteil wahrscheinlich sogar förderlich für das Ansehen der QMs in den Kiezen, das sie im Allgemeinen auch verdienen. Bei der Verteilung von öffentlichen Mitteln in einem solch kleinen Rahmen entstehen zwangsweise Meinungsverschiedenheiten und dafür ist eine unabhängige und vermittelnde Instanz hilfreich.

Aufgabe der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wäre es, für eine geeignete Struktur zu sorgen

Die Frage der nachhaltigen Förderung stellt sich auch im Hinblick auf die Kleinteiligkeit der Gebiete. Braucht es neun verschiedene Zeitungen in Nordneukölln, die auf ihre jeweiligen Quartiersgrenzen thematisch begrenzt sind? Diese Grenzen mögen für die infrastrukturellen und sozialen Maßnahmen der QMs Sinn ergeben. Der journalistischen zu bearbeitenden Lebensrealität werden sie nicht gerecht. Kein Bewohner Nordneuköllns hält sich ausschließlich im Rollbergviertel oder im Gebiet der Donaustraße-Nord auf. Neun Redaktionsteams, neun verschiedene Layouts und vor allem neun verschiedene Druckauflagen, die vor allem hohe Grundkosten verursachen, in der Masse der jeweiligen Auflage aber nicht mehr wirklich teurer wird. 20.000 Stück kosten kaum mehr wie 2.000 Stück.

Dieser Kritikpunkt richtet sich allerdings nicht an die einzelnen QMs, die in ihrem rechtlichen Rahmen gar nicht in der Lage wären, über das ihnen zugeteilte Gebiet zu agieren. Aufgabe der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wäre es, für eine geeignete Struktur zu sorgen, die Mittel vernünftig zu bündeln und den Kiezzeitungen ihre Unabhängigkeit zuzugestehen. Fragt sich nur, ob das überhaupt gewollt ist.


Statt zu lamentieren haben die Kiezzeitungen selbst die Initiative ergriffen und für den Sommer ein gemeinsames Thema gesucht und gefunden, das jeden Neuköllner – unabhängig seines Kiezes – interessiert: Essen.

Mit freundlicher Genehmigung der verschiedenen Autoren werden wir die Texte auf neukoellner.net noch einmal in einer kleinen Sommerreihe publizieren und möchten auf die bunte Vielfältigkeit der verschiedenen Kiezzeitungen aufmerksam machen, die Neukölln so gut zu Gesicht steht.

Kommentare:

  • Ungethüm sagt:

    Gescheiterte Zielvorgabe?

    Ein paar Dinge möchte ich gern dazu anmerken: Die Nachhaltigkeit der Kiezzeitungen liegt keineswegs nur in ihrer ehrenamtlichen Weiterführung nach der Förderung. Eines der Hauptziele der Kiezzeitung ist, die Bewohner zu informieren, sie über soziale Projekte zu informieren und Ihnen eine positive Identifikation mit Ihrem Stadtteil zu ermöglichen. Am Beispiel des walter haben wir z.B. eine Dokumentation der Stadtteilgeschichte geschaffen, die nachhaltig erhalten und zugänglich bleibt (Internet-Archiv, Museum Neukölln). Ich arbeite immer wieder mit Schülern als Kiezreportern (sicherlich nicht dauernd!), einer davon will jetzt Journalist werden und hat ein Stipendium für die USA bekommen – wenn das nicht nachhaltig ist!! Außerdem bilden wir Bewohner ab – auch das wirkt nachhaltig auf Identifikation und Nachbarschaft: Gerade Menschen mit Migrationshintergrund fühlen sich oft nicht wahrgenommen und wertgeschätzt von unserer Gesellschaft und das manifestiert sich auch darin, das sie sich in der großen Hauptstadtpresse nicht wiederfinden können. Sie abzubilden und von ihnen zu berichten hat eine Form der Nachhaltigkeit zur Folge, die sich in den Menschen selbst ereignet und meines Erachtens wichtiger ist, als das Ziel, dass eine Kiezzeitung auch ohne Förderung überleben soll.

    Eine weitere Ebene ist auch die Einzigartigkeit der Stadtteile und ihre Vielfältigkeit. Ich bin nicht der Meinung, dass die vielen kleinen Zeitungen überflüssig sind. Jedes Quartier ist einzigartig wie seine Bewohner. Und die Zeitungen sollen ja gerade die Vielfältigkeit der Projekte und Maßnahmen, der Möglichkeiten und Aktivitäten in dem kleinen Rahmen dokumentieren, in dem die Bewohner sagen: „Unser Kiez/Viertel“. Und auch die Tatsache, dass es eine Zeitung für „unsere Gropiusstadt“, „unseren Körnerkiez“, etc. gibt, lässt die Menschen sehen: Hier wird etwas für sie getan. Vor der Tür, zugänglich, persönlich, niedrigschwellig. QM-Ziel eben. Eine große Zeitung für alle Gebiete wäre vielleicht insgesamt billiger – ich befürchte aber, dass sie weniger Menschen erreicht und weniger Quartiersmanagement-Zielen dient. „Normale“ Zeitungen gibt es doch schon genug, oder? (Übrigens gibt es nicht neun Redaktionsteams, die meisten Kiezzeitungen werden von einem/einer einzigen Redakteur/Redakteurin gemacht!)

    Zur Beteiligung der Bewohner möchte ich noch anmerken, dass sie sicherlich größer wäre, könnten wir jede Kritik veröffentlichen. Da aber niemand eine Zeitung lesen möchte, die nur aus Kritik besteht (und das wäre ja auch wiederum eine gescheiterte Zielvorgabe!!), muss es immer jemanden geben, der festlegt, was veröffentlicht werden darf und was nicht. Ich denke eigentlich auch, dass das die verantwortlichen Redakteure entscheiden sollten und sonst niemand. Aber andererseits: Wären die dann nicht noch mehr von der Angst geprägt, das nächste Jahr den Zuschlag nicht mehr zu bekommen, wenn der Fördergeber unzufrieden mit der Zeitung ist. Zwischen den Redakteuren und den Fördermitteln stehen eben immer QM-Träger, Bezirk, Senatsverwaltung. Die Auftraggeber, ohne die es die Kiezzeitungen nicht gäbe.
    Insofern ist es doch gut, wenn Redakteure und QM gemeinsam entscheiden. Entscheidungen über Inhalte ausschließlich vom QM-Team sind sicherlich kontraproduktiv, weil sie manchmal eben doch mit zu ängstlichem Blick auf die Brötchengeber getroffen werden. Ich denke, Absprachen sind notwendig, gemeinsam die Verantwortung übernehmen sinnvoll. Öffentlichkeit ist kein Pappenstiel. Dafür können die Zeitungen – da sie gefördert werden, auch werbefrei und nicht kommerziell bleiben und somit dem sozialen Auftrag gerecht werden – der Haupt-Zielvorgabe!

    Ist eben alles eine Gratwanderung – und um die mühen wir uns ja alle (und ziemlich redlich) seit Jahren!

    Undine Ungethüm, Redakteurin Stadtteilzeitung walter, Gropiusstadt