„Schwarze Welt“

Flughafenstrasse_TitelDie goldenen Zeiten von „Trödel Erna“ sind längst vorbei. Heute steht die Flughafenstraße vor allem für Abzocke, Gewalt und soziale Probleme. Zugezogene und Touristen fühlen sich trotzdem wohl. (mehr …)

Mittwoch, 20. November 2013

Wind fegt durch die Straßen Neuköllns. An einem Dönerladen hetzen schnellen Schrittes drei verhüllte Gestalten vorbei. Ihre wehenden Burkas ziehen die Blicke einiger Passanten auf sich. Ein älterer Herr sucht im Abfall nach Pfandflaschen. Er sieht kurz auf, als er den aufheulenden Motor der zwölfzylindrigen Luxuskarre hört, welche gerade über die Kreuzung donnert. Vor einem Fahrradladen läuft eine junge Frau in Röhrenjeans und mit großen Kopfhörern an ein paar rauchenden Jungs vorbei.

Die bunte Fassade der Gentrifiezierung

Bunte Fassade, dunkler Kern?

„Ich persönlich würde hier nicht wohnen wollen. Britz ja, da geht’s noch“, sagt die türkische Besitzerin des Trödelladens. „Aber da drüben“, die Dame deutet auf die bunte Hochhäuserzeile auf der anderen Straßenseite. „Da passiert so viel Mist.“ Seit zwölf Jahren betreibt sie einen Trödelladen in der Flughafenstraße. Der Standort sei zwar günstig, aber über die Verhältnisse könne sie sich aufregen. „Hier ist es schlechter geworden.“ Mit schlechter meint sie die Drogen, die Gewalt und die verdeckte Prostitution. Es ist der harsche Abgesang auf eine Straße der Gegensätze.

Kuckucksuhren bei Trödel Erna

Unisono kommen Berliner und Touristen gerne in die Flughafenstraße. Sie gilt nach wie vor als bekanntester Trödelkiez der Hauptstadt. Begonnen hatte es in den 70er Jahren mit dem legendären „Trödel Erna“, alias Jannick Ouderhardt, ein Mann von stattlichen zwei Metern Körpergröße und 150 Kilogramm Gewicht. Berlinweit nannte man ihn nur den „König der Hinterhöfe“. Trödel Erna war der erste Laden in der Antiquitätenmeile Flughafenstraße und ihm folgten ganze Heerscharen von Trödlern in den Kiez. Zu Mauerzeiten boomte das Geschäft. Die in der Nähe stationierten US-Soldaten kauften gerne – und mit Vorliebe Kuckucksuhren.

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Clara von der „Stube“ fühlt sich wohl im Kiez.

Und heute? 15 Trödelläden existieren noch im Flughafenkiez. Glaubt man einigen Besitzern, dann sind die goldenen Zeiten aber vorbei. Zuviel billige China-Ware, steigende Mieten und sinkende Nachfrage, weil das Gros der Anwohner weniger Geld in der Tasche hat. Clara ist Mitte Zwanzig und arbeitet für die „Stube“, ein Antikhandel, der erst vor zwei Jahren eröffnet hat. Sie findet die Straße spannend, spricht von „gemischten sozialen Schichten“ und „toleranter Stimmung“. Hat sie Angst nachts auf die Straße zu gehen? Nein, sie fühle sich wohl und sicher.

„Überall werden Leute abgezockt“

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Mariola sieht die Zustände eher gelassen.

Die Kollegin von „Firma Hesse“ ist da anderer Meinung: „Früher war jeder zweite Laden hier ein Trödler, heute sind überall elendige Spielhallen.“ Trotzdem finden in den Sommermonaten immer mehr junge Touristen den Weg in den Kiez. Dadurch könne so mancher Trödler neben seiner Kasse auch sein Schulenglisch aufbessern. Mariola, die Pächterin von „Trödel Klaus“ hat sich an das Klima gewöhnt: „Klar gibt es Probleme, aber die habe ich zuhause auch. Das ist eben Neukölln.“ Drastischere Worte findet hingegen Necdet, der bis 2007 einen Trödel-Handel besessen hat und nun im Handy-Shop seines Sohnes arbeitet. Aus eigener, leidvoller Erfahrung weiß er: „Überall werden hier Leute abgezockt.“

Der Handy Typ

„Die Spielautomaten müssen weg“, sagt Necdet.

Sie polarisiert eben, die Neuköllner Flughafenstraße. Vielleicht liegt es an den Parallelwelten die nur selten miteinander kollidieren. Hier die Zugezogenen, jung und aus bürgerlichem Milieu, die den Kiez als alternative Spielwiese verstehen und es als angenehm empfinden, sich in einem „Multikulti-Umfeld“ zu bewegen. Dort die Alteingesessenen, die den Wandel erlebt haben, das soziale Elend rund um Hartz-IV. Und dazu Arbeitslose und Migranten, die in den Cafés Karten spielen oder vor Spielautomaten sitzen, ihre Zeit totschlagen und das Wenige verspielen, was ihnen zum Leben bleibt.

Nach Doppelmord wiedereröffnet

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Leben und leben lassen, lautet Cherons Devise.

Berührungspunkte gibt es selten. Nur auf der Straße vermischen sich die Schichten, ehe jeder in seinen Laden, in sein soziales Milieu flüchtet. Seit ein paar Jahren beherrschen Cafés, Spätis, Wettbüros, Handyläden und Shops die Szenerie. Doch auch deren Besitzer sehen ihre Straße mit gemischten Gefühlen. Cheron betreibt einen kleinen Rasta-Laden. Über die Flughafenstraße sagt er: „Das ist eine der gefährlichsten Straßen Berlins.“ Obwohl er selbst nur kleinere Diebstähle zu beklagen hat und noch nie bedroht wurde, kriegt er viel mit von der „Scheiße“, wie er sagt.

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Tatort: Im Vorgänger der Kiez-Bäckerei verloren zwei Frauen ihr Leben.

Gegenüber von Cherons Shop wurden im Januar zwei Frauen erschossen. Die Beziehungstat machte bundesweit Schlagzeilen. Lange stand die Bäckerei leer, wurde zum Mahnmal für Angehörige und Nachbarn, die Blumenkränze niederlegten und Kerzen anzündeten. Acht Monate später traute sich schließlich jemand den Laden wiederzueröffnen. Viele Leute wären anfangs skeptisch gewesen, sagt die neue Besitzerin der Kiez-Bäckerei. Man erinnere sich eben an die Tat. Ihre Straße sieht sie kritisch: „Ich würde meine Kinder nachts nicht alleine rumlaufen lassen. Das ist eine schwarze Welt da draußen.“

Zivilfahnder beim Versicherungsmakler

Einer, der von jener „schwarzen Welt“ berichten kann, ist Versicherungsmakler Hartmut Stoppel. Seit über 15 Jahren ist er in der Flughafenstraße ansässig. Bei ihm standen sie schon alle im Laden: Streifenpolizisten, Kripo und sonstige Ordnungshüter. Zu Straftaten, die in seinem Umfeld passieren, wird er häufig befragt. Oftmals kämen auch Zivilfahnder herein, welche die gegenüberliegende Moschee und ihre Besucher beobachten möchten. Das sei schon sehr skurril. Ob die Verhältnisse seiner Meinung nach wirklich so schlimm seien? Über die Antwort muss er nicht lange nachdenken: „Das verkommt hier alles, ein kompletter Werteverfall.“

Zuletzt kamen Spekulanten in sein Büro und wollten das Haus kaufen. Einfach so. „Die schmissen mit Beträgen um sich, ehe ich erklären konnte, dass ich gar nicht der Besitzer des Hauses bin“, meint Stoppel. Eine ähnliche Geschichte kann auch sein Nachbar im Balkan-Shop erzählen. Ihn kriege man aber nur mit den Füßen voraus aus dem Laden, wie er trotzig sagt. Es ist der altbekannte Prozess von sozialem Wandel und anschließender Aufwertung. Junge Leute kommen in den Kiez und beleben sowohl die Umsätze, als auch die Mietpreise. Die erhöhte Nachfrage befeuert dann die Phantasie der Makler. Trotz des rauen Umfeldes ist die Flughafenstraße ein „Hotspot“ für Spekulanten.

Und während der nächste Böller auf der Flughafenstraße explodiert, die Rollkoffer der Touristen an den Kaffeehäusern vorbeiziehen und die Studenten zu ihren Kneipen und Partys ziehen, wird dem Betrachter eines klar: Hier liegt alles eng beisammen. Top-Lage und Gosse, Gewalt und Hilfsbereitschaft, Gewinn und Verlust, schlichtweg die Freiheit, das zu tun, worauf man gerade Lust hat. Die junge Bedienung des Restaurants „Lava“ bringt es auf den Punkt: „Es ist irgendwie eine komische Straße. Aber wir fühlen uns wohl.“ Kommt eben immer darauf an, woher gerade der Wind weht.

KoopbalkenDie Fotos des Artikels wurden mit der Nikon P 7800 erstellt,
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