Wer marschiert hier eigentlich wofür?

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“Flüchtlingsheimbefürworter” in Marzahn. Foto: PM Cheung.

Wenn Bezirk A Bezirk B die Manieren beibringt: Seit Wochen demonstrieren in Marzahn-Hellersdorf mehrere hundert Menschen gegen eine Flüchtlingsunterkunft. Und fast genauso lang rüsten auch viele NeuköllnerInnen zur Gegendemo. Doch wem nützt das? (mehr …)

Donnerstag, 18. Dezember 2014

Text: Torben Lehning; Fotos: PM Cheung

Immer wieder montags marschieren sie. Zuletzt 1500 Demonstranten. 800 „Flüchtlingsheimgegner“, 600 Gegendemonstranten, begleitet von 600 Polizisten. Auf der einen Seite die „Bürgerbewegung Marzahn“ und ihre Anhänger: die „besorgten AnwohnerInnen“, NPD-Politiker, „stadtbekannte Nazis“. Sie protestieren gegen die vom Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) geplante Flüchtlingsunterkunft, die in Marzahn-Hellersdorf entstehen soll. Auf der anderen Seite „Flüchtlingsheimbefürworter“: Bürgerinitiativen, Antifa und AnwohnerInnen – aus Solidarität für die Flüchtlinge, für eine „menschliche Flüchtlingspolitik“, zur Demonstration von „Willkommenskultur“ – gegen die Anderen.

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Die andere Seite. Die Rufe dazu: „Wir sind das Volk“. Foto: PM Cheung.

Wenn Bezirk A Bezirk B die Manieren beibringt

Was auffällt: Die Demo der „Flüchtlingsheimbefürworter“ setzt sich zum großen Teil nicht aus Marzahnern oder Hellersdorfern zusammen, sondern speist sich vor allem aus den Berliner Innenbezirken. Vorneweg auch viele NeuköllnerInnen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, auf den Rassismus in Marzahn aufmerksam zu machen, und: ihn zu bekämpfen.

Doch genau das ist ein Problem, und auch innerhalb und zwischen den verschiedenen Akteuren vor Ort streitet man derweil um die Frage: Was soll hier eigentlich erreicht werden?

Was bringt es, wenn Antifaschisten aus X-Berg, F-hain und Neukölln allwöchentlich mit antirassistischen Parolen durch Marzahn-Hellersdorf ziehen, wenn sich die Menschen vor Ort durch „Wer mit der NPD marschiert ist ein Nazi“-Rufe mehr ans Bein gepisst denn ernst genommen fühlen? Was hilft der Gegenprotest, wenn die einzige dialogorientierte Maßnahme ein seltener „Liebe Anwohner, reiht euch doch bitte in die Demo ein und demonstriert mit uns gegen die Nazis“-Ruf aus den Lautsprechern des Demowagens ist?

 

Da nützen auch die gut gemeinten Infostände der Parteien jenseits von NPD und AfD herzlich wenig. So haben die AnwohnerInnen für die linke Demo denn auch überwiegend abfällige Kommentare übrig, und: Feuerwerkskörper, wie sie auf einer der Montagsdemos gen linke Demonstranten flogen.

Event-Demonstranten „Nein, danke“?

Für manch enttäuschte DemonstrantInnen scheint das Grund genug zu sein, die Demo generell in Frage zu stellen. Wenn nicht gegen die Flüchtlingspolitik der etablierten Parteien demonstriert wird, wenn nicht dialogorientierter gearbeitet wird und tatsächlich der Schulterschluss mit den Anwohnern gesucht wird: dann ist diese Demonstration mehr Event- Demonstrantentum, Nazitourismus und Montagsausflug von Kreuzbergern und Neuköllnern denn der ernsthafte Versuch, sich der Antiflüchtlingsbewegung in Marzahn-Hellersdorf entgegenzustellen.

 

Auf der anderen Seite: Wem nützt dieser Streit etwas? Wohl kaum den Anwohnern, in deren Bezirk rechtsgesinnte Nachbarn gemeinsam mit Neonazis und der NPD jede Woche aufs Neue die Ankunft der Flüchtlinge verhindern wollen. Der Konflikt nützt auch den vielen Bündnissen nichts, die sich gegen die Mobilmachung der Rechten in Marzahn erwehren. Eine von ihnen ist Luisa Seydel, Politikwissenschaftsstudentin und Gründungsmitglied der Willkommensinitiative „Hellersdorf hilft e.V.“. Sie hält nicht viel von der Lagerspaltung im linken Sektor:

„Als lokale Gruppe sind wir froh über die Unterstützung aus den anderen Bezirken. Ein Großteil der Demonstranten kommt aus der Innenstadt. Das ist gut und wichtig. Natürlich muss man auch darauf aufpassen, dass die Demonstration keinen belehrenden Charakter bekommt. „Es ist sehr wichtig, dass man sich mit den AnwohnerInnen auseinandersetzt und sie nicht von vorneherein allesamt als Nazis stigmatisiert.“

Prävention vs. Selbstauflösung: Berlin sucht einen Plan

Während in Marzahn-Hellersdorf das Rassismus- und Fremdenfeindlichkeitsproblem unübersehbar groß geworden ist, steht man auch in Neukölln wieder vor der Frage: Wie kommunizieren Bezirksamt und Flüchtlingsinitiativen den Wohnheimbau an der Karl-Marx Straße, Ecke Grenzalle? Wie kann man eine Mobilisierung gegen Flüchtlinge verhindern? Was muss getan werden, damit es gar nicht erst soweit kommt wie in Marzahn?

Der Neuköllner Bezirksstadtrat für Soziales, Bernd Szczepanski (B 90/DIE GRÜNEN), erklärt, dass es darauf ankomme, möglichst früh eine große Öffentlichkeit zu erzeugen: „Es bedarf einer breiten Mobilisierung aller relevanten Gruppen, eine früh einsetzende Kommunikation zwischen Schulen, Kirchen, Bürgerinitiativen.“ Szczepanski verweist auf die erfolgreiche Kommunikation beim Bau des Flüchtlingswohnheims in der Haarlemer Straße, wo es bisher mit den Anwohnern recht gut läuft. Mit einer Politik der absoluten Transparenz und des Austausches will der Stadtrat rassistische Ressentiments und fremdenfeindliche Bürgerinitiativen zivilgesellschaftlich bekämpfen.

Dieser Eindruck scheint sich jedoch noch nicht in der Berliner Landespolitik festgesetzt zu haben. Im Interview mit neukoellner.net erklärt die Pressesprecherin des Berliner Sozialsenators Mario Czaja (CDU) Constance Frey:

„Eine Willkommenskultur kann erst dann richtig gelebt werden, wenn ein Wohnheim eröffnet und die Flüchtlinge dort ankommen. Wir wissen aus Erfahrung, dass sich die überwiegenden Sorgen und Ängste durch Information und Transparenz, vor allem aber nach der Eröffnung der Unterkünfte auflösen.“

Angesichts der Proteste in Marzahn muss man fragen, woher der Berliner Senat diese Ruhe nimmt. Die Berliner Regierungskoalition macht den Eindruck, als ob man aufgrund der bisherigen, anscheinend ausreichend positiven Erfahrungen, davon ausginge, der Protest würde sich schon legen, kein Grund zur Sorge.

Rassismus wird von den zuständigen Landespolitikern weder beim Namen genannt, noch bekämpft. „Dadurch, dass Politiker sich scheuen, ihrem Bezirk oder ihrer Stadt ein Rasissmusproblem zu attestieren, wird das Thema heruntergespielt und die rechte Initiative wächst unter dem Deckmantel der „besorgten bürgerlichen Anwohner“, sagt Seydel.

Was bleibt? Protestieren!

Es bleibt die Gewissheit, dass die Demonstrationen gegen Flüchtlingswohnheime nicht als partielle Proteste, sondern als Rassismus- und Fremdenfeindlichkeitsproblem unserer Gesellschaft zu verstehen sind. Den rechten Bürgerinitiativen ist nur mit zivilgesellschaftlichem Engagement, dialogorientiertem Handeln und großer frühzeitiger Transparenz seitens der Politik entgegenzutreten. Willkommenskultur beginnt nicht beim Bau eines Flüchtlingswohnheims, sie muss jeden Tag gelebt werden. Ansonsten bleibt nur Verwunderung über angeblich völlig überraschende Anti-Flüchtlingsproteste.

Doch das Klima, das sich da grade in unserer Nachbarschaft, in Dresden, und andernorts Bahn bricht, das schwelt schon lange. Wenn es dann zu eben jenen Montagsdemos aus dem rechten Lager kommt, soll es herzlich egal sein, woher die Demonstranten kommen, die sich den Rechten entgegenstellen. Ob aus Marzahn oder Neukölln.

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