Straße der Verlierer?

FLU-1: Wird dem Leben von Selbstmördern nach ihrem Tod weniger Respekt entgegengebracht? Die „Straße der Verlierer“ spielt mit einer gewagten These.

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Sonntag, 17. Juni 2012

Die Straße der Verlierer auf dem Bürgersteig vor dem evangelischen Friedhof St. Jacobi soll ein Gegenentwurf zu Hollywoods „Walk of Fame“ oder dem Berliner „Boulevard der Stars“ sein. Die Kernfrage: Zollen wir den Stars, Prominenten und Siegern mehr Respekt als anderen?

Mittels Schrifttafeln auf dem Asphalt wird an der Hermannstraße an Menschen erinnert, die ihre irdische Existenz eigenhändig beendet haben. Etwa Kirsten Heisig, die Neuköllner Jugendrichterin, die jahrelang gegen die steigende Jugendkriminalität gekämpft hatte, oder Kurt Tucholsky, der ebenfalls den Freitod wählte und einer der einflussreichsten Publizisten der Weimarer Republik gewesen war. Sind Heisig und Tucholsky als Verlierer zu sehen, nur weil sie freiwillig dem Leben entsagt haben?

Endstation Suizid, Endstation Paradies?

Eine kontroverse und gewagte These. Vor allem hakt hier die Definition des „Verlierers“. Nur weil ein Mensch den Freitod wählt, heißt es noch lange nicht, dass ihm die Nachwelt weniger Respekt entgegenbringt, als einem ehrlich aus dem Leben geschiedenen Sternchen. Kurt Cobain, Robert Enke oder Heath Ledger: Bei diesen zugegebenermaßen prominenten Selbstmördern gab es nach ihrem Tod keine Ausgrenzung. Auch unzählige andere Beispiele von unbekannten Selbstmördern zeigen, dass deren Leben unabhängig von ihrer Todesursache eine positive Bewertung fand.

Projekte, die sensibilisierend auf das Thema Selbstmord hinweisen und provozierende Fragen aufwerfen, sind mit Sicherheit zu begrüßen. Und doch sollten sie mit verallgemeinernden Thesen vorsichtig sein, denn jeder Freitod steht zunächst einmal für sich selbst. Vielmehr sind die Hintergründe einer Tat entscheidend, ob eine gesellschaftliche Ausgrenzung stattfindet. Denn ein Amokläufer, der sich selbst richtet, kann auf wenig Verständnis hoffen. Ganz im Gegensatz zu einer Jugendrichterin, die vielleicht mehr an ihrem Job und den Grabenkämpfen mit Institutionen, denn an sich selbst gescheitert ist.

FLU-1: Straße der Verlierer, Herrmannstraße 254-233