Sprache macht Schule

Landespresse

Robert Himberg, kommissarischer Schulleiter der Grundschule am Teltowkanal (Foto: Max Büch)

Knapp 300 Kinder besuchen die Grundschule am Teltowkanal in Britz. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler nicht-deutscher Herkunftssprache ist hier besonders hoch: Er liegt bei 81 Prozent. Deshalb möchte die Schule die Kinder jetzt mit einer „Lernwerkstatt“ für die deutsche Sprache begeistern. Die Mittel für das Projekt kommen aus dem Bonus-Programm, mit dem Berlin seit 2014 Schulen mit einer schwierigen Sozialstruktur finanziell unterstützt.

Was genau dahinter steckt und womit Neuköllner Schulen derzeit zu kämpfen haben, hat uns der kommissarische Schulleiter Robert Himberg erklärt. (mehr …)

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Dienstag, 24. Februar 2015

Interview: Marina Strauß, Fotos: Max Büch

Was ist die Idee hinter der „Lernwerkstatt Sprache“?
Robert Himberg:
Wir haben bemerkt, dass die meisten unserer Schülerinnen und Schüler riesige Probleme im Bereich Wortschatz und Grammatik haben. Das liegt am Migrationshintergrund vieler Kinder oder auch daran, dass sie in einem Umfeld aufwachsen, in dem die sprachliche Entwicklung nicht genug gefördert wird. Deshalb haben wir Anfang des Jahres die Lernwerkstatt ins Leben gerufen. Finanzieren können wir das Projekt mit 50.000 Euro, die wir über das Bonus-Programm erhalten haben. In Neukölln ist unsere Lernwerkstatt die erste mit sprachlicher Ausrichtung.

Wie läuft das Ganze genau ab?
Die jeweiligen Klassen dürfen ungefähr einen Monat am Stück eine oder zwei Doppelstunden die Woche in die Lernwerkstatt. Im Moment sind die Jüngsten, also die jahrgangsübergreifenden Gruppen aus Erst- und Zweitklässlern an der Reihe.

Zurzeit behandeln wir das Thema Sinne. Am Anfang leitet die Lehrerin mit einer kurzen Geschichte, zum Beispiel über ein blindes Mädchen, die Stunde ein. Danach dreht sich in verschiedenen freiwilligen und Pflichtaufgaben alles um Sinnesorgane, wobei Sprache immer im Mittelpunkt steht. Das kann die Reflexion darüber sein, Hörspaziergänge, das Schreiben von kleinen Auswertungssätzen oder auch ein mündlicher Bericht.

Der Sinn ist es, die Schülerinnen und Schüler mit ganz unterschiedlichen Aufgaben zu motivieren und neue Zugänge zu schaffen. Schön ist außerdem, dass die Lernwerkstatt und unsere Schulbibliothek sich einen Raum teilen. Die Kinder können sich dort Bücher ausleihen und mit nach Hause nehmen.

Wo sehen Sie noch Probleme in Ihrer Schule?
Wir haben hier immer wieder Schwierigkeiten mit dem respektvollen Umgang untereinander, sowohl zwischen den Kindern als auch gegenüber den Erwachsenen. Gelegentlich gibt es Gewaltvorfälle, keine gravierenden, aber doch viele Beleidigungen. Außerdem kommen immer mehr Schülerinnen und Schüler, denen ganz grundlegende Fähigkeiten fehlen, die nicht richtig ausschneiden oder auf einem Bein hüpfen können. Dinge also, die man eigentlich im Kindergarten oder in der Vorschule lernt.

Wie gehen Sie diese Herausforderungen an?
Im März führen wir ein zehntägiges Projekt zum Thema Gewaltprävention durch. Die Kinder trainieren dann, wie sie mit Konfliktsituationen umgehen können, zum Beispiel leicht abwehrende Gesten und auch Verteidigungsbewegungen. Um das Ganze abzurunden, wird es auch zusätzlich Lehrerfortbildungen und bewegungsorientierte Elternabende geben. Die Mütter und Väter machen die gleichen Übungen wie ihre Kinder und können so die Idee hinter dem Projekt besser nachvollziehen. Zudem haben wir gemeinsam mit dem Träger unserer Schule FIPP e.V. das AG-Angebot ausgeweitet. Die Schülerinnen und Schüler lernen jetzt am Nachmittag kochen, oder wie man ein Fahrrad repariert, singen im Pop-Chor oder engagieren sich in der Kreativ-AG.

Erst- und Zweitklässler besuchen die Lernwerkstatt in der Schulbibliothek.

Was muss oder kann eine Schule in Neukölln leisten?
Die Probleme, von denen ich gesprochen habe, sind symptomatisch für Nordneuköllner Schulen. Wir haben hier drei Willkommensklassen für Kinder, die neu in Deutschland sind. Das ist nicht immer einfach. Deshalb arbeiten wir gegen Vorurteilsstrukturen, die in den Köpfen unserer Schülerinnen und Schüler sind. Es gibt beispielsweise arabischstämmige Kinder, die Vorurteile gegenüber rumänischstämmigen Kindern haben.

Das ist alles keine Friede, Freude, Eierkuchen-Situation, sondern wir sehen auch, dass Konflikte in der Welt, auch religiöse Konflikte, plötzlich Auswirkungen auf unseren Schulalltag haben. Wir haben ab und zu mit homophoben und antisemitischen Äußerungen zu tun, die natürlich nicht richtig durchdacht sind. An der Schule bemühen wir uns, Vorurteile über Aufklärung, Information und Kommunikation zu bekämpfen.

2006 haben Lehrer der Rütli-Schule mit einem Brandbrief den Blick der Öffentlichkeit auf Neukölln gelenkt. Inzwischen gilt Rütli als Vorzeigeschule. Was hat sich seitdem an den Schulen im Bezirk getan?
Man kann nicht generell sagen, dass die Situation an den Neuköllner Schulen sich grundlegend verändert hat. An der Rütli-Schule sicher, aber natürlich auch nur deshalb, weil sie zur Modellschule gemacht wurde. Ich finde, dass das Bonus-Programm mit der Unterstützung von Schulen mit einem erhöhten Anteil an Kindern aus sozial schwachen Familien einen größeren Effekt hat und mehreren Schulen zugutekommt, als der Aufbau einer solchen Modellschule. Wobei ich natürlich nicht sagen will, dass das, was an der Rütli-Schule passiert, unterzubewerten ist.

Was muss in der Zukunft noch passieren?
Die Lernwerkstatt ist bis Ende des Schuljahres 2015/16 finanziert, und wenn es keine politische Entscheidung gegen das Bonus-Programm gibt – und danach sieht es im Moment ja nicht aus – dann werden wir auch weiterhin dafür Geld bekommen. Im nächsten Schuljahr wird sich die Summe sogar noch erhöhen, weil der Anteil der Kinder, deren Eltern auf staatliche Hilfen angewiesen sind, bei uns an der Schule auf über 75 Prozent gestiegen ist.

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