Fotos: Iris Gleis
Die „Problemschüler“ Samir, Lex, Gülcan, Rosa und Ali besuchen die Karl-Marx- Oberschule in Neukölln. Sie wurden zu einer „Arbeit statt Strafe“-Initiative verdonnert und müssen aus diesem Grund, Graffitis auf dem Schulgelände entfernen. Ihrer Opferrolle überdrüssig, beschließen sie, eine „Diktatur des Prekariats“ einzuführen und besetzen die Schule.
Der Sozialpädagoge Schreiber und die kommunistische Rentnerin Frau Karl, die mit ihrer Hausmeistertätigkeit an der Schule ihre Rente aufstocken muss, sind die einzigen, die ein offenes Ohr für die Probleme der Schüler haben. Die nach medialer Aufmerksamkeit lechzende Rektorin der Schule, Frau Eisner, greift derweil zu perfiden Mitteln, um einen größeren Etat für die Sanierung der Schule bewilligt zu bekommen. Und eine Klatschreporterin wittert einen gut zu vermarktenden Skandal und setzt alles daran, aus der gewaltlosen Revolte der Schüler, einen „marxistisch-salafistischen“ Terrorakt zu kreieren.
Benachteiligung der NDH-Schüler
Soweit zur Rahmenhandlung von „Klassenkampf“, dem Kammerspiel im Musical-Gewand, inszeniert von Constanze Behrends, die einige noch aus der Pro7-Comedy-Show „Switch Reloaded“ kennen dürften. Im Zentrum ihres Stücks stehen gleich mehrere Konflikte, an deren Oberfläche zwar gekratzt, deren Thematik aber viel zu komplex erscheint, um innerhalb eines zweiaktigen Stückes profund ergründet zu werden.
Es geht um Schüler nichtdeutscher Herkunft, sogenannte NDH-Schüler, die aufgrund ihres Migrationshintergrundes von Lehrern benachteiligt werden. Integrationsprobleme und Selbstisolierung ethnischer Gruppen sowie die Kriminalität an den – größtenteils maroden – Neuköllner Schulen werden ebenfalls thematisiert.
Simples Bühnenbild, modernes Kammerspiel
Die Infragestellung unseres politischen Systems, Altersarmut und Ohnmacht, angesichts der Bespitzelung durch den Staat, werden in Person der Hausmeisterin Frau Karl dargestellt. Die Presse, deren Verruf durch reißerische, meinungsmachende Medien weiter voranzuschreiten scheint, bekommt durch die Reporterin Hanna Köster ihr Fett weg. Die Bandbreite des Themenfeldes wird durch alltägliche Nebenschauplätze wie Scheidung, Liebe oder Frust ergänzt.
Das Bühnenbild im Heimathafen Neukölln ist an diesem Abend simpel gehalten – ein einstöckiges Gerüst, in dessen Mitte das Logo der Karl-Marx-Oberschule an einer Kanzel prangt, fungiert als zentrales Element in diesem modern anmutenden Kammerspiel. Mal dient es als Klassenzimmer, in manchen Szenen stellt es den Schulhof, in wiederum anderen ein Rednerpult dar. Rauchschwaden durchdringen die größtenteils schummrig gehaltene Lichtkomposition – nur bei den Musical-Passagen wird diese durch abwechselnd rote, blaue oder gelbe Elemente ergänzt.
„Du Opfer, fick das System“
Die Zusammensetzung des Publikums könnte an diesem Abend als durchaus typisch für Neukölln bezeichnet werden. Hier treffen Alt-68er auf Jugendliche, Rentner und ältere Menschen auf Kinder, Modestudentinnen auf Eckkneipenveteranen und Fußballfans auf Marktschreier. Eine interessante Mischung, die aufgrund der Vielfalt der Themen, derer sich Klassenkampf annimmt, durchaus Sinn ergibt.
Das Stück wird begleitet von zumeist treibenden Beats, denen man ruhigen Gewissens das Prädikat „Trap“ andichten kann. Düstere, progressiv nach vorne preschende Instrumentale, untermauert von Aussagen wie „Du Opfer, fick das System“ wechseln sich mit Gitarrenklängen, Tango und R’n’B Stücken ab. Die Sprache in Klassenkampf bleibt bis zuletzt hart – bei älteren Zuschauern könnte es zu Irritationen führen. Zu sehr unterscheidet sich der Straßenslang von dem, was einst als geläufig galt.
Authentische Protagonisten
Schon deshalb sind die Protagonisten authentisch. Wer in Neukölln lebt, begegnet ihnen täglich – an der Kasse bei Aldi, in düsteren Seitenstraßen entlang der Hermannstraße, beim Abholen der Kinder aus der Schule. Manch einer wird sich selbst in den Wesenszügen der Schauspieler wiedererkennen. Klassenkampf ist eine wendungsreiche Inszenierung, die den Kern der heutigen Schulproblematik im Wesentlichen trifft.
Constanze Behrends hat es geschafft, soziale Probleme auf witzige Pointen zu reduzieren. Wer sich von Klassenkampf eine Unterrichtsstunde in marxistisch-leninistischen Thesen erwartet, ist hier fehl am Platz. Wer hingegen Lust auf freche Sprüche, erstaunlich gut gesungene Passagen und ein wenig Neuköllner Ghetto-Charme hat, kann sich noch bis zum 13. Mai selbst vom Klassenkampf im Heimathafen in der, wie könnte es anders sein, Karl-Marx-Straße überzeugen.
Klassenkampf mit Constanze Behrends, Britta Steffenhagen, Walid-Al Atiyat, Florian Bamborschke, Lodi Doumit, Romina Küper, Ugur Kaya, Christiane Ziehl, Tom-Veit Weber u.a., weitere Vorstellungen: 08.04., 09.04., 19.04., 20.04., 12.05. und 13.05., jeweils ab 20 Uhr im Heimathafen Neukölln.
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