Mehr als ein Papiertiger

Foto: Klaus-Dieter Heiser

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In anderen Bezirken wird häufig versucht, mit Milieuschutzgebieten gegen steigende Mieten vorzugehen. In Neukölln findet der Milieuschutz bisher jedoch keine Anwendung. Dies will das Bündnis bezahlbare Mieten Neukölln ändern und fordert einen flächendeckenden Milieuschutz für Neukölln innerhalb des S-Bahnrings. Nachdem in den vergangenen Monaten 3.500 Unterschriften (nötig waren 1.000) für einen Einwohnerantrag gesammelt wurden, muss sich nun die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung mit dem Thema befassen. (mehr …)

Montag, 23. Februar 2015

neukoellner.net: Frau Fuhrmann und Herr Küstner, 3.500 Unterschriften sind es bei Ihrem Einwohnerantrag letztlich geworden. Wie zufrieden sind Sie mit der Zahl?

Tom Küstner: Wir sind sehr zufrieden. Die Unterstützung war gut, vor allem auch emotional und psychologisch. Große Überredungskünste brauchten wir dabei nicht anwenden, um unsern Mitbürgern klar zu machen, dass man was gegen die steigenden Mieten tun müsste. Und wir denken, dass wir mit dem mehr als Dreifachen der notwendigen Unterschriftenanzahl auch ein deutliches Zeichen setzen.

Um den steigenden Mieten in Neukölln zu begegnen fordern Sie in Ihrem Antrag einen flächendeckenden Milieuschutz für den Neuköllner Teil innerhalb des S-Bahnrings. Wieso gerade diese Maßnahme?

Tom Küstner: Als relativ kleine Gruppe haben wir uns zunächst auf die kommunalpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten konzentriert. Da ist der Milieuschutz eines der wenigen Instrumente, die es überhaupt gibt – aber eines mit Signalwirkung. Denn für Investoren, die nur schnelle Rendite erzielen wollen, ist das eine bürokratische Maßnahme, die auf jeden Fall abschreckend wirkt. Unsere Hoffnung ist, so dazu beitragen können, dass der Ausverkauf der Wohnhäuser nicht noch schneller vonstattengeht. Gleichzeitig sollen aber auch die Bürger das Gefühl bekommen, man kann etwas tun und es ist sinnvoll sich zu wehren.

Warum hat sich das Bezirksamt Neukölln dieser Maßnahme dann bisher noch nicht bedient?

Marlis Fuhrmann: Lange Zeit war der Milieuschutz in Neukölln ein verpöntes Instrument. Nicht nur weil es hieß, er sei nicht wirksam und zu kompliziert. Da spielten von Seiten des Bezirksamtes auch noch andere Überlegungen eine Rolle. Es hieß ja immer, dass Neukölln ein Unterschichtbezirk sei mit schlechten Schlagzeilen in der Presse. Also dachte man sich, vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn Leute wegziehen und andere kommen, die finanziell etwas besser gestellt sind. Deshalb konnte sich die Opposition lange Zeit nicht mit der Forderung durchsetzen, im Bezirk die bestehende ’soziale Mischung‘ zu erhalten. Erst ganz langsam und mit viel Mühe wurde in der Neuköllner SPD ein Wechsel hin zum Milieuschutz erreicht.

Nun plant der Bezirk diesen im Reuter- und Schillerkiez einzuführen. Ist das nicht ausreichend?

Tom Küstner: Ganz und gar nicht. Dort gab es schon eine so starke Aufwertung, da hätten wir den Milieuschutz schon in den letzten fünf Jahren benötigt. Da ist eigentlich der Zug längst abgefahren. Für viele ist es jetzt völlig unmöglich, dort noch eine Wohnung zu bekommen. Zudem müssen wir damit rechnen, dass sich durch diese Maßnahme das Interesse der Investoren auf die angrenzenden Gebiete sogar noch verstärkt, womit überhaupt nichts gewonnen wäre. Außerdem wollen wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, weshalb man in den anderen Kiezen lieber zu früh als zu spät reagieren sollte.

Welche konkreten Handlungsmöglichkeiten bietet denn der Milieuschutz dem Bezirk?

Marlis Fuhrmann: Durch den Milieuschutz werden viele Bauvorhaben genehmigungspflichtig. Das Bezirksamt hat dann eine Checkliste und sagt, was geht und was nicht. Das Wichtigste ist, dass man damit Luxusmodernisierungen verhindern kann. Zudem kann man verhindern, dass Wohnungen zusammengelegt werden, denn wir brauchen ja vor allem kleine Wohnungen. Und letztlich kann der Bezirk so auch Häuser, die reine Spekulationsobjekte sind, über die städtischen Wohnungsbaugesellschaften zum Verkehrswert erwerben und dadurch vom Markt nehmen.

Welche Bedeutung hat bei all dem die gerade vom Senat beschlossene, neue Umwandlungsverordnung?

Tom Küstner: Damit erhält der Milieuschutz eine weitere wichtige Komponente, da die Verordnung, nach der Mietwohnungen nicht mehr in Eigentumswohnungen umgewandelt werden dürfen, lediglich in Milieuschutzgebieten gelten soll. Und nun ist ja gerade Nordneukölln ein Bereich, in dem Ferienwohnungen sehr beliebt sind. Für uns ist es daher ein zusätzliches Argument, um zu sagen, jetzt brauchen wir den Milieuschutz erst recht überall in Nordneukölln.

Marlis Fuhrmann: Zudem haben wir mit der Zeit festgestellt, dass die Investoren teilweise gar nicht so viel Geld haben. Deren Geschäftsmodell ist dann lediglich auf den schnellen Kauf und Verkauf als Eigentumswohnungen ausgelegt. Da besteht wirklich die große Hoffnung, dass mit Hilfe der Umwandlungsverordnung dieser Prozess zum Stillstand gebracht werden kann.

Und was ist mit dem Vorwurf, der Milieuschutz sei lediglich ein zahnloser Papiertiger?

Marlis Fuhrmann: Zusammen mit der neuen Umwandlungsverordnung ist er deutlich mehr als das. Um beides umsetzen zu können, braucht es aber natürlich auch Personal und ein Bezirksamt, das bereit ist, zweimal hinzugucken und auch Genehmigungen zu versagen.

Wird sich denn in dieser Hinsicht mit Franziska Giffeys Amtsantritt als Bezirksbürgermeisterin in Neukölln etwas ändern?

Tom Küstner: Darauf hoffen wir natürlich sehr. Und auch, dass die neue Bezirksbürgermeisterin einen anderen Kommunikationsstil pflegen wird, als dies Heinz Buschkowsky bisher getan hat. Wie hoch letztlich die Chancen sind, dass sie sich gegen die Interessen des alteingesessenen Berliner Immobilienfilzes, durchzusetzen vermag, wissen wir jedoch nicht. Aber natürlich hoffen wir, dass durch den Wechsel an der Spitze nicht nur ein anderes Gesicht, sondern auch ein anderer Politikstil Einzug erhält.

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