Leuchtturm der Urbanität

Das erste große repräsentative Gebäude in Rixdorf markierte den Wandel vom Dorf zum Stadtraum und sorgte für ein neues Selbstbewusstsein unter den Bürgern. Eine Zeitreise in die Geschichte des Neuköllner Rathauses. (mehr …)

Mittwoch, 21. März 2012

 „Stolz und wuchtig reckt sich der Turm des neuen Rathauses gen Himmel, ein neues Wahrzeichen in der aufstrebenden Großstadt, herrlich und schön ist der innere Ausbau gegliedert, ein Spiegelbild des geistigen und künstlerischen Könnens unserer Stadt.“

Inbrünstig verlas Bürgermeister Dr. Curt Kaiser diese Worte am 3. Dezember 1908; jetzt galt man was in der Welt, oder doch zumindest in Preußen. Für die Rixdorfer Bürger sei es geradezu ein „Erweckungserlebnis“ gewesen, dass nun ein solch prächtiges, massives Gebäude ihre Gemeinde zierte, wie in der Jubiläumsschrift „Rathaus Neukölln – Rathaus Rixdorf“ zu lesen ist. Tausende Schaulustige versammelten sich zur feierlichen Eröffnung des Rathauses, nicht nur um den Bau zu bestaunen, sondern auch die prominente Gesellschaft, die sich ansonsten selten in die Siedlung vor den Toren Berlins verirrte. Den Namen Neukölln sollte die Gemeinde erst einige Jahre später erhalten, aber das ist eine andere Geschichte.

Industrialisierung bringt Urbanisierung

Chronik altes Rixdorfer Rathaus

Die Chronik des alten Rixdorfer Rathaus aus dem Archiv des Stadmuseums Neukölln

Mit der Einweihung des neuen Rathauses begriff auch der letzte Rixdorfer, dass die Zeiten der beschaulichen böhmischen Siedlung längst vorbei waren. Ende des 18. Jahrhunderts explodierten die Einwohnerzahlen binnen kürzester Zeit und die Infrastruktur geriet an ihre Grenzen.

Das alte Ratsgebäude (Ecke Erkstr. / Karl-Marx-Str.) platzte aus allen Nähten: Hier war nicht nur die Gemeindeverwaltung untergebracht, sondern auch die Wohnung des Bürgermeisters, Schlafräume der Lehrlinge, eine Druckerei, das Amtsgericht und sogar das Stadtgefängnis. 1879 eingeweiht, entsprach es ganz dem preußischen Zeitgeist. Die fein strukturierte Fassade aus gelbem Klinker mündete in einen Zinnenkranz am Dachabschluss. Zum Postkartenmotiv eignete sich das Amtshaus vor allem dank eines achteckigen Türmchens, das einen spitzen Helm mit Wetterfahnen trug und zwischen den neu entstehenden Mietskasernen Rixdorfs den Charme einer mittelalterlichen Burg verströmte.

Kiehl sticht Weigand aus

Einige kleinere Anbauten konnten das Platzproblem nicht lösen und so war eine Erweiterung des Gebäudes dringend nötig. 1903 erarbeitete der Rixdorfer Stadtbaurat Hermann Weigand einen Entwurf, der vielleicht zu sehr an gotische Backsteinkirchen erinnerte, jedenfalls wurde er aus heute unerfindlichen Gründen abgelehnt. Stattdessen gelang es einem Newcomer, die Stadtväter mit einer völlig neuen Vision zu überzeugen. Der junge Reinhold Kiehl war frisch nach Rixdorf gekommen, um den 20 Jahre älteren Weigand im Bauamt zu entlasten. Er löste Weigand nach kurzer Zeit als Stadtbaurat ab

und war neben dem Rathausbau verantwortlich für Neuköllner Schmuckstücke wie das Stadtbad oder die Passage in der Karl-Marx-Straße.

Ensemble aus Neubau (li.) und altem Amtshaus (re.), dessen markanter Eckturm 1926 rückgebaut wurde.

Ensemble aus Neubau (li.) und altem Amtshaus (re.), dessen markanter Eckturm 1926 rückgebaut wurde.

Kiehls Entwurf orientierte sich an der Rathausarchitektur des Mittelalters und der Formensprache der Renaissance, ist auch dem Charlottenburger Rathaus nicht unähnlich, bei dessen Neugestaltung Kiehl als Bauleiter mitgearbeitet hatte. Ein kühner, 68 Meter hoher Turm ohne viele Schnörkel sollte die Wohnhäuser überragen. Eine revolutionäre Neuerung war, dass der Bürotrakt vom repräsentativen Teil des Gebäudes getrennt war. Kiehl holte sich junge, talentierte Architekten an seine Seite, die später weitaus bekannter als er selbst werden würden: Ludwig Mies van der Rohe unterstützte ihn an der Vertäfelung des Plenarsaals, Max Taut übernahm Fassadenentwürfe.

Nach der Fertigstellung des ersten Flügels und des Turms 1909 folgten mehrere Erweiterungen, so dass man sich das Rathaus ab 1914 als zusammenhängendes Ensemble zwischen Karl-Marx-, Schönstedt- und Erkstraße vorstellen kann. Der Komplex überdauerte Kaiserzeit, Weimarer Republik und Naziherrschaft; doch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs sollte es dem stolzen Bau an den Kragen gehen. SS- und HJ-Einheiten verschanzten sich im Haupttrakt und leisteten den sowjetischen Truppen erbitterten Widerstand. Im Zuge des „Endkampfs um Berlin“ ließ NS-Kreisleiter Karl Wollenberg das Rathaus anzünden, wohl um nichts als verbrannte Erde zurück zu lassen.

Das neue Neukölln

So lag der ehemals stolze Bau nach dem Krieg erst einmal in Schutt und Asche. Im Zuge des Wiederaufbaus geriet der Innenausbau, bedingt durch die klamme Stadtkasse, weitaus schlichter als zuvor. Die Ruine des alten Amtshauses wich einem modernen Vorplatz inklusive Brunnen. Die Fassade mit zahlreichen allegorischen Elementen konnte restauriert werden und auch Göttin Fortuna thront seit 1950 wieder hoch über der Karl-Marx-Straße, auf der Spitze des Rathausturms. Sie ist beweglich und richtet sich immer nach dem Wind. Weniger opportunistisch, dafür eher für plakative Aussagen in der Integrationsdebatte bekannt, ist der langjährige Hausherr Heinz Buschkowsky. Seit 1973 macht der gebürtige Neuköllner im Rathaus Politik. Bereits 1991/92 war er Bürgermeister, nun wieder seit 2001.

Mehr Infos über das Rathaus und seine bewegte Geschichte findet man auf der Homepage des Bezirksamts oder in der Publikation „Rathaus Neukölln – Rathaus Rixdorf“ von Dieter Althans, herausgegeben vom Bezirksamt Neukölln 2008.

Archivmaterial © Museum Neukölln

In Zusammenarbeit mit dem Geschichtsspeicher des

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