Das schauspielerische Gesicht von Buchholz ist facettenreich. Als Hochstapler Felix Krull, jugendlicher Halbstarker, ungarischer Zeichner in Paris, „engagierter“ Kommunist im vom Kalten Krieg geschüttelten Berlin, heißsporniger Revolverheld Chico, zwielichtiger Geschäftsmann oder KZ-Lagerarzt Dr. Lessing verkörperte er äußerst unterschiedliche Persönlichkeiten. Eines wird darin auch deutlich: die Widersprüchlichkeit seiner eigenen Gesichter.
Seine Heimatstadt Berlin war für viele seiner Rollen die Kulisse. Alles beginnt mit der ersten Inszenierung am Theater in Erich Kästners Kriminalgeschichte „Emil und die Detektive“. Später sind das Metropol- sowie das Schiller-Theater für ihn wichtige Arbeitsorte. Auch in Billy Wilders „Eins, zwei, drei“ oder Wim Wenders „In weiter Ferne, so nah!“ zeigt sich Horst Buchholz vor dem Brandenburger Tor, dem Westhafen oder in den Katakomben des Flughafen Tempelhof, als dieser noch als Start- und Landeplatz in Betrieb war.
Der „Berliner Junge“, der in Neukölln geboren wurde und dann bis zu seinem vierten Lebensjahr dort wohnte, zog später nach Prenzlauer Berg in die Sodtkestraße, um im damaligen „Ostsektor“ auf die Karl-Friedrich-Schinkel-Oberschule zu gehen. Denn seine leibliche Mutter holte ihn wieder zu sich und ihr neuer Mann – ein Schuhmacher – nahm ihn als Sohn auf. Mit 18 Jahren zieht Buchholz zurück zu seinen Pflegeeltern nach Neukölln. Von dort aus fährt er täglich mit dem Bus zur Bundesallee und absolviert dort eine Schauspielausbildung. Der Film „Die Halbstarken“ bildet in seinem Leben unter anderem den Beginn seiner medialen Stilisierung zum deutschen James Dean. „Tach“ sagte der 22-jährige 1956 laut der „Zeit“ bei der Vorstellung des Filmprojektes im Kreuzberger Kino Palladium in der Baerwaldstraße. Provokation im Hinblick auf die Erwachsenengeneration wird im Zuge dieses Filmes zu seinem Kennzeichen.
Im Stadtbad Wedding beginnt die Geschichte des 19-jährigen Freddy Borchert und dessen Jugendbande. Neben einem neuen beruflichen Erfahrungsfeld war diese Rolle für Horst Buchholz vielleicht auch eine Möglichkeit, Kindheitserfahrungen aus dem Krieg und der Nachkriegszeit zu thematisieren und zu kanalisieren. Durch diese persönliche Verbindung mit dem Thema des Films waren ihm wahrscheinlich die Wahrnehmungen und Vorstellungen der Jugendlichen und damit die Sprache der sogenannten Halbstarken, also jener aufsässigen Jugendlichen vornehmlich aus der Arbeiterklasse, die mit Rock`n Roll, Motorrad, Lederjacke und vor allem Rowdytum assoziiert wurden, sehr vertraut. „Damals, als es nichts zu fressen gab, da fuhren wir los, auf dem Trittbrett der Eisenbahn. Wir klauten und kungelten und ernährten damit die Familie. Wir waren neun und zehn Jahre alt, und die Familie war stolz auf uns. Wir schoben auf dem Schwarzen Markt, und keiner fand was dabei.“ So zitiert Günther Dahl Horst Buchholz und erklärt dessen biographischen Kontext zum Thema des Films. Lebensmittel und Geld auftreiben und damit die Familie versorgen – kurz und gut große Verantwortung übernehmen, in einem sehr jungem Alter – das sind prägende Faktoren dieser Teenager gewesen. Mit seiner saloppen Begrüßung bei der Präsentation verband er sich scheinbar sofort mit dem jugendlichen Berliner Publikum.
Das sich Berlin in Buchholz‘ Leben manifestierte, offenbarte sich nicht allein in den wiederkehrenden Besuchen des abwechselnd in Los Angeles, Paris und im schweizerischen Lenzerheide ansässigen Schauspielers und seiner oft zitierten mentalen Verbundenheit. Vor allem das zur Ikone gewordene Bild mit Schiebermütze aus der Rolle des Otto Piffl in Billy Wilders auf die Spitze getriebenen Berlinkomödie „Eins, zwei, drei“ – eines Partei-Proletariers, der von dem Coca-Cola Chef der West-Berliner Filiale umerzogen wird, um den gutbürgerlichen Schwiegereltern seiner kurz vorher angetrauten Frau zu genügen – zeigt ihn als „Berliner Jungen“ im Zentrum der Stadt. Auch viele Bilder des kurz vor seinem Tod gedrehten Familiendokumentarfilmes „Horst Buchholz… Mein Papa“ und den Grabstein des Künstlers auf dem Waldfriedhof an der Heerstraße im Berliner Westend zeichnet dieses Bild. Sein Berliner Spitzname „Hotte“ war ein weiteres Symbol dieses Heimatgefühls. Er selbst sagt in dem Dokumentarfilm seines Sohnes Christopher, dass viele Berliner ihn immer liebevoll so nannten, obwohl ihm im späteren Alter dieser Beiname eher etwas schräg anmutete und er ihn vielmehr dem jugendlichen Horst Buchholz zusprach.
Sein Berufsweg führte ihn auch nach Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und in die USA. Er spielt mit Romy Schneider in „Monpti“, in „Die glorreichen Sieben“ mit Steve McQueen, neben Yul Brunner und Charles Bronson den jungen Revolverhelden Chico oder in Roberto Benignis „Das Leben ist schön“, seiner letzten großen Kinoarbeit, den SS-Lagerarzt Dr. Lessing, der stets mit Rätseln jongliert. Die Zeit des Nationalsozialismus, in die er 1933 hineingeboren wird, spielt dabei die zentrale Rolle. Damit wird er in eine Epoche zurückversetzt, die ihn sehr stark prägte. Dieses Thema und die politischen Geschehnisse, die dazu führten, zeigten sich in seiner schauspielerischen Arbeit häufig. Interessanterweise wurde er trotz (oder möglicherweise gerade wegen) seines biographischen Kontextes „Exportschlager“ des Wiederaufbaus Deutschlands in den USA.
„Zuflucht fand er in den letzten Jahren, so scheint mir, weder in der Abgeschiedenheit der Schweizer Berge noch im eleganten Paris, sondern nur in seinem zerrissenen, rotzfrechen und vertrauten Berlin. In der Welt Zuhause, heimisch in Berlin“, erklärt Marcus Adrian, der frühere Assistent, im August 2004 in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung . Seine letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 2003 wohnte Horst Buchholz in Berlin. 2016 wäre der 83. Geburtstag des Schauspielers, dessen Lebensmotto das der Figur des Hochstaplers Felix Krull aus Thomas Manns gleichnamigen Romanfragments war: Liebe die Welt und die Welt wird dich lieben.