"Ich will die nächsten Jahre noch was auf die Beine stellen"

Thomas Sevecke in seinem ApartmentThomas Sevecke ist mit Unterbrechung 17 Jahre heroinabhängig gewesen. Seit einem Jahr lebt er in Neukölln, aber gerne hält er sich hier nicht auf. Zu Gefährlich. Ein Gespräch über Mietpreise, Drogen und Zukunftspläne. (mehr …)

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Dienstag, 20. März 2012

Überraschungsbesuch. Der Motz- und Streetmag-Verkäufer Thomas Sevecke scheint etwas überrumpelt, aber ohne Telefonnummer und E-Mail-Adresse, bleibt nichts anderes übrig als bei ihm auf gut Glück in der betreuten HKS-Wohnanlage aufzutauchen. An das Gespräch vor einigen Wochen, spät nachts, kurz vor Ladenschluss des U-Bahnhofs Schönleinstraße, erinnert er sich gleich, und nach kurzem Zögern ertönt das erhoffte Surren an der vergitterten Eingangspforte. Im Fernsehen spielt Schalke und Sevecke beschwert sich über den Umgang der Medien mit Christian Wulff – der Große Zapfenstreich ist gerade eben über die Bühne gegangen. Den Protest vor dem Schloss Bellevue findet er übertrieben und hämisch.

neukoellner.net: Wie hat das mit dem Heroin bei Dir angefangen?
Thomas Sevecke: Ein Stück weit würde ich sagen, dass Haschisch schon eine Einstiegsdroge ist. Irgendwann war mir Hasch zu wenig und dann hatte ich eine Freundin und Bekannte und irgendwann war die erste Line Schore (Heroin) da. Das hat sich irgendwann wiederholt. Da war ich 21.

Wie lang warst Du abhängig?
Wenn ich das so rechne, mit Unterbrechung 17 Jahre. Hat auch Spaß gemacht, klar, manche Zeiten haben auch Spaß gemacht. Dann hab ich insgesamt viereinhalb Jahre in Etappen, mal acht Monate, mal vier Monate, in Haft gesessen.

Hier in Berlin?
Ja, ja.

Wo warst Du da?
In Moabit in Untersuchungshaft, dann war ich auch in Tegel. Tegel ist ziemlich groß, hat zweitausend Gefangene. Ist schon ein bisschen rauer der Ton dort, aber wenn du dich ein bisschen vernünftig verhältst, nicht aneckst und keine Schulden machst, dann kannst du da auch durchkommen.

Seit wann wohnst Du in Neukölln?
Ich wohne jetzt hier seit einem Jahr.

Aber Du bist hier kaum unterwegs?
Nicht so im tiefen Neukölln. Neukölln ist mir einfach zu finster. Ich würde nie in Neukölln wohnen wollen. Nicht weil ich so ein ängstlicher Typ bin, aber Neukölln ist einer der kriminellsten Bezirke. Ich hab keinen Bock, jeden Tag mit dem Gasspray durch die Stadt zu laufen. Ich meine, ich weiß mich zu wehren, klar, aber das muss ich nicht haben.

„Die Motz ist inhaltlich sehr gut.“

Wie bist Du hier hergekommen?
Nach der Haft hatte ich Paragraph 35, das heißt Therapie statt Strafe, die Auflage von betreutem Wohnen. Ich werde jetzt noch substituiert und habe eine psychosoziale Betreuung. Das endet im Mai. Im Endeffekt habe ich für zehn Mal Schwarzfahren vier Monate gekriegt. Und statt dieser vier Monate dreieinhalb Jahre mit dem betreuten Wohnen und Bewährungshelfer verbüßt, also dreieinhalb Jahre Bewährungszeit eigentlich. In dieser Zeit bin ich mehr als fünf Mal beim Schwarzfahren erwischt worden und die haben mich dann zu einer Geldstrafe verurteilt. Das sind heute noch 1300 Euro – ich zahl bis 2014 jeden Monat 30 Euro. Ich habe dem Gericht geschrieben und um Milde gebeten, aber da sind sie nicht drauf eingegangen.

Und das wegen Schwarzfahren?
Ja, find ich auch heftig, das ist echt ein stolzer Preis.

Jetzt bist Du Straßenfeger-Verkäufer?
Motz.

Entschuldige.
Motz und Streetmag.

Was findest Du besser?
Die Motz ist inhaltlich sehr gut.

Verkaufst Du in der U-Bahn?
Nein, in Straßencafés. Ich hab keinen Bock, mich da in die U-Bahn zu stellen und meinen Text runterzuleiern: Ich heiße so und so. Ich mach auch keine 60 Euro am Tag. Wenn ich 20 Euro oder mal auch nur 15 Euro in zwei, drei Stunden mache, reicht das auch zum Leben.

Wenn es Dir hier nicht so gefällt, wo würdest Du dann lieber wohnen?
Meine Bezirke wären Kreuzberg, irgendwo in der Reichenberger, im dritten oder vierten Stock in einer sanierten Altbauwohnung oder auch gerne wieder nach Charlottenburg, Richard-Wagner-Platz oder Mierendorffplatz. Also ich geh mal davon aus, dass ich mich soweit im Griff habe, dass ich es schaffe, wieder eine eigene Wohnung zu finden. Als Hartz-IV-Empfänger kannst Du ja nicht alle zwei Jahre umziehen. In der Wohnung, die ich in der nächsten Zeit finde, muss ich wenigstens acht Jahre wohnen bleiben. Und dieser Fünfer, diese Erhöhung von Hartz-IV ist ja nun voll der Witz. Wohngeld sind jetzt 380 plus 10 Prozent, da kommst Du auf 410 Euro und da musst Du schon wirklich suchen, um für 410 Euro eine Wohnung zu finden. Den Fünfer hätten sie sich schenken können, sollen sie lieber den Mietpreis um 30 Euro anheben. Für  430, 440 Euro finde ich auf jeden Fall eine Ein-Zimmer-Wohnung. Schätz mal, was dieses Zimmer im Monat kostet?

Keine Ahnung.
Guck Dir mal die Möbel an, gut ich hab Kochplatten und bevor wir jetzt rätseln: Das kostet 750 Euro. Und dafür könnten sie hier auch einfache Ikea-Möbel reinstellen. Wie bei STOP zum Beispiel, dem betreuten Wohnen. Da hast du eine Drei-Zimmer-Wohnung, jeder hat ein eigenes Zimmer, aber du hast normale Ikea-Möbel, Standardkiefer. Und hier ist das Sperrmüll. Klar, die haben unten einen Pförtner sitzen,  haben einen Elektriker und die haben ihre Unkosten, aber trotzdem sind es 750 Euro. Das zahlt letztlich der Steuerzahler. Ich meine, ich hab nicht so viel Steuern gezahlt, aber meine PSB (psychosoziale Betreuung) regt sich da völlig auf. Für 750 Euro kannst Du eine Zwei-Zimmer-Wohnung finden (…) und jetzt überleg dir das mal. Ich kenn hier Leute, die wohnen hier mitunter sechs, sieben Jahre. Jetzt rechne Dir das mal aus, das sind 8000 Euro im Jahr mal sieben, das ist fast eine Eigentumswohnung. Heftig, wa?

Sind die Betreuungskosten so hoch?
Du hast hier unten einen Sozialarbeiter, da musst du an die Scheibe klopfen, wenn du was willst. Zum Beispiel ein Telefonat, oder der stellt dir eine Bescheinigung aus, dass du mietschuldenfrei bist, aber viel mehr kommt von denen auch nicht.

Mehr schafft der alleine vielleicht auch nicht. Wie viele Leute wohnen hier? Pi mal Daumen, 40 mindestens. Zwischen 40 und 60 Leuten.

„Ich bin über 40 und ich hab eine Gitarre im Schrank.“

Hängst Du mit denen auch mal abends ab, zum Fußballschauen zum Beispiel?
Ja, klar. Aber die meisten sind so drauf wie ich, auch gerne einen Saufen oder was nehmen.

Und dann ist die Verführung groß…
Klar, viele Leute sind hier drogen- oder alkoholabhängig. Ich will ja jetzt nicht aus dem Nähkästchen plaudern, aber hier haben schon so 80 Prozent ein Suchtproblem.

Wie sehen Deine Pläne für die Zukunft aus?
Ich habe schon Zukunftspläne. Ich bin über 40 und ich habe eine Gitarre im Schrank. Ich würde zwar nicht sagen, dass ich Profi bin, aber ich bin auch kein Anfänger. Erst einmal könnte ich mir  Straßenmusik vorstellen. Ich hab schon mit der Musik ein bisschen Pläne und Literatur hat mich auch immer interessiert. Ich hab mich auch damit befasst, mal ein Buch zu schreiben. Ich will halt die nächsten zehn oder fünfzehn Jahre noch was auf die Beine stellen. Mit 50 Jahren will ich mir kein Heroin mehr kaufen müssen. Aber leider gelingt es mir noch nicht, zu wenig Wille. Ich nasche schon ab und zu. Wenn ich am ersten des Monats das Hartz-IV kriege, dann hol ich mir ab und zu eine Kugel.

Kugel?
Dieses minderwertige Heroin, was es früher nie gegeben hätte. Also zwischendurch mal am Monatsanfang hol ich mir was, aber das will ich mir auch abgewöhnen.

Und woher bekommst Du Deine Ersatzstoffe?
Kennst du den DND? Den Drogennotdienst? Die hängen auch mit dem AID zusammen, dort wo ich substituiert werde. AID heißt ambulante integrierte Drogenhilfe. Es gibt mittlerweile drei Praxen und nur Heroinabhängige werden da substituiert, aber nur noch in Tablettenform. Das ist schon sehr gut organisiert. Da kannst Du zu Ärzten gehen und substituiert werden und außerdem haben die noch einen Flur mit sagen wir mal zehn Büros mit psychosozialer Betreuung. Meistens sind das Diplom-Sozialarbeiter, Psychologen sind es wenige und da kannst du dann auch deinen Kram erledigen, kannst Faxe abschicken. Meine PSB – ich hab eine geile PSB, die Ute – die schreibt mir halt auch Briefe, wenn ich zum Beispiel wegen Schwarzfahren Probleme habe oder wegen Ratenzahlungen, kann die mir ein Fax schicken oder schreibt mir einen Brief und das ist schon eine Hilfe. Für Leute wie mich – naja, ich will mich ja irgendwann davon abseilen. Für Leute, die Probleme haben, ist sowas wirklich eine große Stütze.

Und wie geht es konkret weiter?
Mein Plan war halt, dass ich hier rauskomme und bis Juni, Juli eine Wohnung zu haben oder in betreutes Wohnen zu gehen. Oder vielleicht auch noch eine Therapie zu machen, weil ich jetzt 17 Jahre Drogen genommen habe und wenn ich Geld in der Tasche habe, dann bin ich Lebemann. Dann nehme ich auch was. Sei froh, dass Deine Familie in Ordnung war und Du nicht zu viel genascht hast. Ich wäre gern nochmal 25.