Die Ironie als solche wird dieser Tage ja gerne überstrapaziert. Kaum ein Statement, ein Kleidungsstück, eine Frisur oder eine Freizeitbeschäftigung, die nicht irgendwie ironisch gemeint ist. Ja, sogar politische Demonstrationen sind vor ihr nicht sicher. Fast wünscht man sich ein Instrument zur Deckelung dieser Inflation des vorgetäuschten Gegenteils. Eine Quote vielleicht? Haltung zu Dingen und Themen zu entwickeln, ist ein kompliziertes Unterfangen und da scheint es, bedient man sich der unklaren Haltung, sodass man sich im Notfall herausreden kann. Das ist ziemlich kümmerlich.
In diesem Klima der gelebten Uneindeutigkeit passiert nun eine Geschichte, der man durchaus eine gewisse ironische Note nicht abstreiten kann – und das gerade weil die beteiligten Akteure völlig unironisch aneinander rangetreten sind. Doch von vorn: Michel Braun, der Besitzer der Bar „Helmut Kohl“ in der Emser Straße bekommt vor einiger Zeit Besuch von einem Korrespondenten der Nachrichtenagentur dpa. Dieser arbeitet an einem Artikel über Bars in Berlin mit ungewöhnlichen Namen und da die mit dem Altkanzler ihm wohl gut gefällt, räumte er ihr viel Platz ein. Den Medien gefällt es ebenfalls und so ist die Geschichte bald von Focus bis Welt in ziemlich vielen Publikationen zu lesen. So weit, so erfreulich für den Barmann.
Anwälte, die nun Briefe schreiben
Mit Popularität geht aber leider Popularität einher, und wo die ist, sind Anwälte nicht weit. Hier nun in Form einer Kanzlei, die die Belange des Altkanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Kohl, vertritt. Ein Brief flattert in die Bar, in dem Braun gebeten wird, sich zur Namenswahl seiner Bar zu äußern. Viel mehr, er muss einen Brief an den Altkanzler persönlich schreiben.
Immer wieder hatte Braun Gäste, die dachten der Name der Bar sei ironisch gemeint – vermutlich im Taumel der eigenen, alles umwabernden Ironie. Andere Leute hingegen wurden wütend bei dem Namen – radikale Linke, die es nicht ertragen konnten, eine Bar in ihrer Gegend zu sehen, die diesem Fiesemöpp aus der Pfalz huldigt. Michel Braun hatte sich bei der Namensnennung weder das eine, noch das andere gedacht. Für ihn zählte wie für jeden Geschäftsmann der Klang des Namens und – da es nicht irgendein Name ist – eine gewisse Nostalgie, da sich Braun als Mitglied der „Generation Kohl“ sieht. Genau das schreibt Braun dem Altkanzler und der antwortet recht bald mit einem freundlichen: Danke, aber – äh – nein.
Es kommen Vorschläge
Man gibt sich aber kulant, da Braun sich ja in aller Höflichkeit erklärt hat, verzichtet auf Unterlassungsklagen und bittet um eine Umbenennung bis August. Nun hat Braun ein Problem. Sein Laden läuft gut unter diesem Namen. Denn der Name ist offenbar gut. Und dass jetzt diese Geschichte passiert ist, macht ihn nur noch wertvoller. Und gerade jetzt muss der Name weg. Im Hintergrund singt Alanis Morissette: „It’s like raaiiiiinnnnn…..“
Natürlich sind schon Vorschläge gekommen. Oh ja, auch sie sind ironischer Natur. „Maggie Thatcher“ etwa. Höhö. Michel Braun weiß, dass das alles nichts bringt. Er überlegt, überhaupt keinen Namen zu haben, verwirft den Gedanken aber gleich wieder. Weil erstens schlecht für Facebook und zweitens gibt es kaum etwas, was mehr für angestrengtes Pseudounderstatement steht, als in Neukölln in diesen Tagen eine Bar ohne Namen zu eröffnen.
Als die Band „Verve“ sich Mitte der 1990er umbenennen musste, weil die Deutsche Grammophon aufgrund von Namensrechten Stress machte, setzten sie einfach ein „The“ davor. Kurze Zeit später schrieben sie das Album „Urban Hymns“ und machten damit vielen Menschen eine Freude. Für Michel Braun ist so ein kleiner frecher Schlenker keine Option. Er hat den Anwälten versprochen, sie nochmal zu kontaktieren, wenn er befürchtet, dass der neue Name dem alten zu sehr ähnelt. Und da er nicht schlecht behandelt wurde, will er jetzt auch nicht provozieren. Er kann den Altkanzler auch gut verstehen. Auch wenn er es schade findet. Völlig ironiefrei.