Falsche Versprechen

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Das Eckhaus in der Lenaustraße 23/Hobrechtstraße 62 im Reuterkiez. (Foto: lebrecht2362ev.jimdo.com)

Eine Investoren-Gruppe kauft ein Haus im Reuterkiez und geht danach auf Tauchstation. Verunsicherte Mieter gründen daraufhin einen Verein, fordern Aufklärung und suchen das Gespräch mit der Politik. Der Baustadtrat beschwichtigt und tritt später von seinen Aussagen zurück. Ein Neuköllner Lehrstück über Verdrängung, Vernetzung und die Unfähigkeit des Bezirks, Mieter zu schützen. (mehr …)

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Mittwoch, 14. September 2016

Text: Hannah Frühauf, Foto: LeBrecht 23 64 e.V.

Die Bombe platzt im Frühjahr 2014. Damals erfahren die Mieter der Lenaustraße 23/Hobrechtstraße 62 in Neukölln, dass ihr Haus verkauft wird. Das Gebäude steht im Herzen des Reuterkiezes und war bis dahin im Besitz eines privaten Eigentümers. Zunächst ist unklar, wer der neue Besitzer ist. Die Bewohner sind verunsichert. Müssen sie ausziehen? Werden die Mieten erhöht? In Zeiten, in denen der Berliner Wohnungsmarkt hauptsächlich durch Mieterhöhungen, Luxussanierungen und Verdrängung glänzt, scheint der Verkauf jedenfalls keine gute Nachricht. Deshalb schließen sich die Mieter zusammen und gründen im November 2015 den Verein LeBrecht 23 62 e.V. Fast alle Bewohner machen mit.

Mittlerweile gehört das Haus einem Großinvestor, der Richert Group. Der Verein möchte wissen, was die Investoren mit ihrer neuen Immobilie vorhaben und bittet um ein Gespräch. Doch das wird abgelehnt. Also suchen die Mieter Unterstützung in der Politik. Der Milieuschutz, der die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verhindern kann, ist seit September 2015 für den Reuterkiez beschlossen. Allerdings ist der Beschluss Ende 2015 noch nicht in Kraft getreten. Das möchten die Mitglieder von LeBrecht 23 62 e.V. ändern und fordern das Neuköllner Bezirksamt zum Handeln auf. Ein Brief an die Bürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD), hat zunächst Erfolg.

Ein Treffen und falsche Versprechen

Am 22. Februar 2016 lädt Giffey den Verein ins Rathaus Neukölln zum Runden Tisch ein. Mit dabei sind auch Bezirksstadtrat Thomas Blesing (SPD), Clemens Mücke von der Wirtschaftsförderung und Raimar Noffke vom Rechtsamt Neukölln. „Das Gespräch haben wir zunächst als sehr konstruktiv empfunden“, erzählt Sven Theinert von LeBrecht 23 62 e.V.. Franziska Giffey verkündet stolz, der Milieuschutz werde in den nächsten Tagen offiziell für den Reuterkiez in Kraft gesetzt. Diese frohe Botschaft dürfe der Verein gerne publik machen. Zudem versicherte Bezirkstadtrat Blesing, dass für das Haus in der Lenaustraße 23/Hobrechtstraße 62 bisher keine Anträge auf Umwandlung in Eigentum vorliegen, er schließt diesen Vorgang sogar für die Zukunft aus.

Anfangs herrscht große Erleichterung bei den Mitgliedern von LeBrecht 23 62 e.V. Mit dem angekündigten Milieuschutz wird auch ein Aufstellungsbeschluss erteilt. Ab diesem Zeitpunkt kann der Richert Group – wenigstens in den nächsten zwölf Monaten – keine Umwandlungsgenehmigung erteilt werden. Und nach dieser Frist können die Investoren nur nach Kriterien, die sich mit dem Milieuschutz vertragen, umwandeln und modernisieren. Doch die Freude währt nur kurz. Beim Sichten der Grundbucheinträge fällt Bewohner Sven Theinert auf, dass am 27. Januar 2016, etwa vier Wochen vor dem Treffen im Rathaus, eine Teilung des Hauses in vier Gewerbeeinheiten und 37 Wohneinheiten vollzogen wurde. Das heißt, die Umwandlung wurde – entgegen der Aussagen von Thomas Blesing – bereits genehmigt.

Blesing: „Meine Aussagen müssen in Zweifel gezogen werden“

Wie konnte Bezirkstadtrat Blesing, im Beisein der Bürgermeisterin, eine derart falsche Einschätzung abgeben? Auf Anfrage von neukoellner.net an Franziska Giffey antwortet Blesing selbst. Er erklärt, dass das Bezirksamt im Januar 2016 noch nicht die zuständige Behörde für Umwandlungsgenehmigungen war und sagt: „Zum Zeitpunkt des Gesprächs am 22. Februar 2016 [war] davon auszugehen, dass eine Umwandlung in dem Objekt bisher nicht stattgefunden hat. Darüber hinaus hatte ich aufgrund des erfolgten Aufstellungsbeschlusses berechtigten Grund zu der Annahme, dass es nunmehr auch zu keinerlei Umwandlungen mehr kommen könnte.“ Weiter sagt er: „Meine Ausführungen an diesem Tag bezogen sich auf unseren damaligen Wissensstand, müssen aber aus heutiger Sicht unter Umständen in Zweifel gezogen werden.“

Der beschlossene Milieuschutz nutzt den Mietern der Lenaustraße 23/Hobrechtstraße 62 somit wenig. „Mit meinem jetzigen Wissen kann ich sagen, unserem Verein hätte es sehr geholfen, wäre der Milieuschutz mit seiner Ankündigung im September 2015 direkt umgesetzt worden. Die Umwandlung unseres Hauses, hätte damit im Januar so nicht genehmigt werden können“, erklärt Sven Theinert. Warum hat die SPD also so lange gewartet? Personalmangel, heißt es von Blesings Seite. Jochen Biedermann, stellv. Fraktionsvorsitzender der Grünen in Neukölln, sieht das anders: „Personal und Aufstellungsbeschluss hätten früher da sein können. Schon vor der Sommerpause der BVV war klar, dass die Untersuchungen zum Milieuschutz beginnen.“

Die Mieter müssen es ausbaden

Erst Anfang 2016 werden die Personalstellen schließlich ausgeschrieben. Genug Zeit also für Investoren, zwischen der öffentlichen Ankündigung und der tatsächlichen Umsetzung des Milieuschutzes, noch umzuwandeln, was das Zeug hält. Die Mieter dagegen können wenig tun. „Ist ein Haus erst einmal an einen großen Investor verkauft, haben sie kaum noch Chancen, sich zu schützen. Vor allem, wenn sich die Bewohner nicht einmal auf den Milieuschutz berufen können. Wie eben in unserem Fall“, sagt Irene Spieler von LeBrecht 23 62 e.V. Zurzeit prüft der Verein, ob bei dem Hausverkauf und der Umwandlung alles mit rechten Dingen zuging. „Hier sind wir auf einige Ungereimtheiten gestoßen“, erklärt Theinert.

Wie können sich aber Mieter schützen? Sven Theinert fordert: „Luxussanierungen und Umwandlungen sollten für eine Legislaturperiode aussetzen. Das würde die Lage auf dem angespannten Wohnungsmarkt entschärfen.“ Der Milieuschutz müsse zudem verbindlicher werden. Zurzeit gebe es noch zu viele Grauzonen. Das sieht Jochen Biedermann (Die Grünen) ähnlich. Mit der aktuellen Umwandlungsverordnung können etwa weiterhin Umwandlungen in Milieuschutzgebieten genehmigt werden. Die Eigentümer müssen sich lediglich dazu verpflichten, sieben Jahre lang nur an die Mieter des Hauses zu veräußern. „Aus meiner Sicht ist es unrealistisch, dass die Mieter sich einen solchen Kauf leisten können“, erklärt Biedermann. Der Austausch der Mieterschaft würde damit nur verzögert, aber nicht verhindert.

Prüfung, Vernetzung und Austausch

Wichtig sei eine Sensibilisierung aller Mieter für das Thema. Denn, wer in einem Milieuschutzgebiet lebt, habe immer die Möglichkeit Modernisierungen von einer Mieterberatung oder vom Bezirksamt auf Zulässigkeit prüfen zu lassen. Das Bezirksamt könne dann einen Baustopp erwirken, erklärt Biedermann. Zurzeit würden die Mitarbeiter des Bezirksamts die Regularien meist bewohnerfreundlich auslegen. Darüber hinaus rät er allen betroffenen Mietern, „sich zu vernetzen und sich auszutauschen“.

Häufig seien Menschen betroffen, die nicht gut mit dem Rechtssystem vertraut sind oder in prekären Verhältnissen leben. Viele ließen sich durch Briefe der Hausverwaltung einschüchtern oder würden von Investoren mit Geld gelockt: „Wer 200 Euro pro Quadratmeter erhält, wenn er in den nächsten sechs Monaten auszieht, ist mitunter schneller bereit das Feld zu räumen.“ Hier könne ein nachbarschaftlicher Austausch, übereilte Entscheidungen auffangen.

Sven Theinert und seine Mitstreiter von LeBrecht 23 62 e.V. empfehlen schnelles Handeln: „Die Bewohner müssen frühzeitig aktiv werden.“ Eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Vereine und Initiativen, die sich aus ähnlichen Motiven gegründet haben, wünscht sich auch Irene Spieler: „Gemeinsam können wir einfach mehr erreichen.“

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Kommentare:

  • Heike Haissling sagt:

    Zitat Architekten:

    „Das vorhandene Vordergebäude wird im rückwärtigen Bereich um einen Seitenflügel erweitert.“

    Wo ist nun das Problem? Oder ist es doch nur der Unmut, dass neue Mieter hinzukommen werden?