Von Verena Schneider und Sabrina Markutzyk
Was aus Deutschland zuletzt in die Ohren unserer Nachbarländer über Einreisende und vermeintlich Einreisende aus Bulgarien und Rumänien drang, sorgte nicht nur in Deutschland für polarisierende Debatten, auch für Aufregung und Missmut in Brüssel.
Wenngleich die Ströme von Zuwanderern in den meisten Teilen Deutschlands mehr Mythos denn Realität sind, so sind die mehreren tausend Zuwanderer aus Rumänien in Neukölln Anschauungsmaterial für Leben und Umstände von Roma und Sinti in Deutschland. Und so konnte sich EU-Kommissar Andor ansehen, wie es ist, wenn ein Dorf aus Rumänien nach Neukölln umsiedelt und osteuropäische Armutsflüchtlinge auf skrupellose Immobilienbesitzer treffen.
Pragmatischer Umgang hilft
Erster Zielort Andors war die Hans-Fallada-Schule. Von den 420 Schülern der Grundschule tragen 380 das Etikett Migrationshintergrund, bei ein Drittel ist der rumänisch oder bulgarisch. Als der Zuzug aus dieser Region vor etwa drei Jahren zunahm, stellte die Schule rumänisch- und bulgarischsprachige Lehrer und Sozialarbeiter ein. In Sommerklassen und Sprachkursen bereiten sie die Kinder auf den Unterricht vor.
Die Schule ist ein Vorzeigeprojekt für die Integrationsbemühungen des Bezirks und steht im Kontrast zum Bild des Umgangs mit Zuwanderern in Deutschland, das die öffentliche Debatte zuletzt zeichnete. Die Rede von der Armutszuwanderung aus Osteuropa, die mit der Angst vor vermeintlichem Sozialtourismus hantiert, war dem EU-Kommissar Andor zuletzt Anlass für deutliche Kritik:
„(…)die Freizügigkeit ist ein Grundrecht. Es gilt für jeden EU-Bürger. (…) Wenn ein Land wie Deutschland bereits ein großer Gewinner der Freizügigkeit ist, finde ich es moralisch verwerflich, wenn versucht wird, die Sozialausgaben auf Kosten von EU-Bürgern aus anderen Ländern so stark wie möglich abzusenken.“ (spon, 30.1.14)
Profiteure der Armut
Die Neuköllner Bezirksstadträtin Franziska Giffey gestand ein, dass es bei Schulbildung, Wohnsituation und Gesundheitsversorgung Fortschritte geben müsse. Krankenversichert sind wenige, und viele leben weiterhin in überfüllten Wohnungen zu horrenden Preisen.
Anschließend besuchte Andor das Arnold-Fortuin-Haus. Bis es saniert wurde, lebten hier Familien in heruntergekommenen Wohnungen, die Zustände waren schwierig.
„Als wir mit dem Projekt angefangen haben, hieß es, dass 68 Prozent der Deutschen sich keine Roma als Nachbar wünschen“, sagt Projektleiter Benjamin Marx von der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH, einem katholischen Wohnungsunternehmen. Inzwischen gebe es in der Umgebung viele Unterstützer des Projektes. „Wir waren lösungsorientiert. Es gab keine Probleme, sondern Aufgaben.“ Sein Ansatz: „Das A und O ist, den Menschen zu erklären, wie Deutschland funktioniert“, so Marx.
Es ist nicht alles gold in Neukölln. Dazu reicht ein Blick in die Polizeimeldungen oder ein Fuß vor die Tür. Gut, dass man sich anstrengt.