Eine herausfordernde Melange

QM-Teamleiter Gunnar Zerowsky, Foto: Quique del Bianco

Seit 13 Jahren wohnt er im Schillerkiez und hat im Januar 2013 die Teamleitung des QM Schillerpromenade übernommen. Gunnar Zerowsky über die Entwicklung im Kiez und die Arbeit des QM.

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Text:

Mittwoch, 20. März 2013

neukoellner.net: Du bist vor 13 Jahren als Student in den Schillerkiez gezogen. Warum bist du damals hergekommen und wie hast du den Kiez in Erinnerung?
Gunnar Zerowsky: Ich komme ursprünglich aus der Gropiusstadt im Süden Neuköllns. Nach meiner Schulzeit hat es mich für drei Jahre nach Friedrichshain verschlagen. Da habe ich Ende der 90er schon festgestellt, das ist jetzt nicht mehr so meins, da fing die Innenstadtwerdung von Friedrichshain an. Ich wollte in eine große WG, Freunde wohnten schon hier und Nordneukölln war günstig zu dem Zeitpunkt, als Student nicht unwichtig. Wir haben schnell in der Herrfurthstraße eine ziemlich schicke und sehr günstige Wohnung gefunden. Damals haben wir für die Renovierung noch 3 Monate mietfrei bekommen, das waren noch andere Zeiten.

Inwiefern?
Als wir im Jahr 2000 hier ankamen zogen eigentlich mehr Leute weg als her. Wenn man mal von den Eckkneipen absieht, gab es im ganzen Kiez genau eine Kneipe, wo wir regelmäßig hingegangen sind. Ansonsten hat sich das Studentenleben nicht so sehr in Neukölln abgespielt, sondern man ist hier eher zum Schlafen hergekommen. Als damals das Schillerpalais auf der Schillerpromenade aufmachte, dachten wir uns “woah, was passiert denn hier?”. Das war völlig aus der Welt gefallen, eine Ausstellungseröffnung im Schillerkiez zu haben. Insofern hat da schon eine deutliche Entwicklung in den letzten Jahren stattgefunden, die ich auch als durchaus positiv wahrnehmen würde. Die Leute wohnen, denke ich, zum größten Teil gerne im Schillerkiez. Man muss natürlich darauf achten, dass jetzt nicht diejenigen wegziehen müssen, die schon lange im Kiez wohnen.

Das Quartiersmanagement (QM) Schillerpromenade ist immer wieder Ziel von Anfeindungen und Farbanschlägen – was denkst du, woran liegt das? Kann man was dagegen tun?
Ich glaube, das liegt häufig an einem Unwissen darüber, was das QM tatsächlich macht. Es rufen z.B. viele an und fragen, ob wir nicht eine Wohnung vermitteln können, weil sie denken, das QM sei so eine Art Immobilienunternehmen. Das sind wir überhaupt nicht. Wir versuchen immer wieder deutlich zu machen, dass wir weder Häuser kaufen, noch welche besitzen, diese auch nicht sanieren und auch keine größeren Mittel verwalten, ohne dass die die Anwohner Einfluss auf deren Verwendung haben. Wir sind auch nicht die Bezirks- oder Senatsverwaltung. Wir arbeiten in ihrem Auftrag mit den Mitteln und in dem Rahmen, der uns dafür zu Verfügung gestellt wird. Wir sind auch nicht diejenigen, die von außen auf den Kiez und dessen Entwicklung Einfluss nehmen können.

Was wir können ist das Image, das nachbarschaftliche Miteinander und den Umgang miteinander zu beeinflussen, und wir können sicherlich auch etwas zur Verbesserung der Bildungschancen bei Kindern und Jugendlichen beitragen. Aber eben kaum Sachen, die mit dem Arbeitsmarkt oder der Mietentwicklung zu tun haben. Wir sind hier vor Ort um zu “managen”, um verschiedene Meinungen einzuholen, verschiedene Möglichkeiten und Ebenen zusammenzubringen und in einer Auseinandersetzung vor Ort zusammenzuführen und zu unterstützen.

Was reizt dich an der Arbeit im QM?
Ich bin Sozialwissenschaftler und habe zum Programm Soziale Stadt einen Schwerpunkt in meinem Studium gehabt. Was mich an der Arbeit reizt, sind die vielen Möglichkeiten, die man hat, und dass man viele verschiedene Ebenen bearbeiten kann. Dass die Landesebene über die Senatsverwaltung dabei ist, die Bezirksebene über das Bezirksamt, mit denen man regelmäßig in Steuerungsrunden die Kiezentwicklung bespricht. Dazu natürlich die Arbeit vor Ort, mit Akteuren und Anwohnern. Insgesamt gibt es ein ziemlich großes Betätigungsfeld: Die Finanzverantwortung für die Projekte, die durchgeführt und abgerechnet werden, und auch deren direkte Betreuung. Dann die regelmäßigen Sitzungen des Quartiersrats und die Arbeit von ehrenamtlich engagierten Anwohnern. Und man hat eben auch immer eine politische Auseinandersetzung: Wie geht es mit dem Kiez weiter? Was passiert in den angrenzenden Gebieten? Was passiert auf Tempelhof? Das ist eine Melange, die vielfältig, nicht immer einfach und herausfordernd ist.

Was würdest du gerne mit der Arbeit des QM erreichen? Wo sind eure Schwerpunkte?
Das QM in der Schillerpromenade gibt es seit 14 Jahren, insofern ist da schon sehr viel passiert. Es wurde viel gebaut und viel erneuert, es gibt keinen Spielplatz und keine Schule, die nicht über das QM für verschiedenste Projekte Mittel bekommen haben. Auch im Jugendbereich ist sehr viel passiert, so dass wir auf der Infrastrukturebene nur noch eingeschränkt was machen müssen. Da verändert sich der Fokus ein bisschen, von der planerischen Verbesserung und Umsetzung her, in den nachbarschaftlichen Bereich, das Miteinander im Kiez. Da haben wir zwei Schwerpunkte: einmal das Bürgerzentrum, bei dem wir versuchen, zwei den Kiez vernetzende Einrichtungen für den Norden und den Süden zu schaffen. Zum anderen wollen wir uns in Zukunft verstärkt in den Bereich der Bildungsverbünde einbringen, also die Vernetzung von Schulen, KiTas, Oberschulen und Jugendeinrichtungen, um damit einen besseren Bildungsweg für die Kinder aus dem Kiez zu schaffen.

Wie würdest du die Hauptaufgaben des QM beschreiben?
Wir organisieren die zielgerichtete Verwendung von EU-, Bundes- und Landesmitteln direkt vor Ort in einem Verfahren der Zusammenarbeit von Senat, Bezirk, QM und Anwohnern. Es geht viel um Bürgerbeteiligung: die Anwohner sind die Experten dafür, was in ihrem Kiez passiert, wo größere Schwierigkeiten bestehen. Und dann entscheiden sie im Quartiersrat und der Vergabejury über die Vergabe von finanziellen Mitteln für Projekte im Kiez. Darauf versuchen wir einzugehen und uns auf der anderen Seite natürlich auch über die langfristigen Perspektiven für den Kiez Gedanken zu machen.

Es ist also immer eine Kombination aus dem, was gerade ganz aktuell für die Anwohner vor Ort wichtig ist, und dem, was auch langfristig notwendig für das Funktionieren des Kiezes ist. Dabei sollen die finanziellen Mittel möglichst nach Bewohnerinteressen vergeben werden. Über konkrete Projekte, die mehr als 1000 Euro benötigen, entscheidet immer auch der Quartiersrat, dessen Mehrheit aus Anwohnern besteht, so dass diese in einem europaweit einmaligen Modell (2012 mit dem Regiostar Award der EU- Kommission ausgezeichnet) selber entscheiden können, wie die  Gelder des Programms „Soziale Stadt“ in ihrem Kiez verwendet werden.

Was würdest du dir von Anwohnern und Akteuren im Kiez für die Arbeit des QM wünschen?
In erster Linie einfach eine vorurteilsfreie Zusammenarbeit. Ich weiß, es ist schwierig: Ehrenamt, freie Träger, Institutionen und dann noch QM-Mitarbeiter – das sind ganz unterschiedliche Arbeitsebenen und auch Zeiträume, die abgedeckt werden müssen. Das geht nicht immer ganz einfach zusammen. Aber ich würde mir eine gewisse Offenheit für die Zusammenarbeit wünschen, um auch eingefahrene Strukturen der letzten 14 Jahre einmal zu evaluieren. Um festzustellen zu können: Was davon ist tatsächlich schwierig, was davon ist total super, und wie kann man hier eine gute Zusammenarbeit hinkriegen.

Was gefällt dir besonders am Schillerkiez?
Was mir als Hochhaussiedlungskind wirklich gefällt, ist der Altbaubestand – ich mag einfach hohe Decken. Der Schillerkiez ist von der Bausubstanz schön. Es gibt viele nette, kleinere, ruhige Straßen, direkt neben der großen lauten Hermannstraße. Und seit der Öffnung des Flughafens direkt neben einer riesigen Grünfläche zu wohnen, das ist natürlich sehr schick. Ich finde es nett, dass man – egal zu welcher Uhrzeit man auf der Straße ist – immer Leute trifft. Hier werden keine Bürgersteige hochgeklappt, sondern es ist immer was los! Mir gefällt die Mischung an Leuten hier. Es gibt hier keine großen Bereiche, die vollständig von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder nur von jungen oder nur alten Menschen bewohnt wird.

Und was nervt?
Die Schillerpromenade im Winter (lacht). Weil sie einfach furchtbar hässlich aussieht, wenn unter den Bäumen überhaupt kein Gras mehr wächst und alles braun und schlammig aussieht, wenn kein Schnee liegt. Wenn Schnee liegt, dann sieht auch die Schillerpromenade im Winter toll aus. Aber so richtig nerven tut mich hier im Kiez eigentlich nichts. Sonst würde ich hier auch nicht wohnen.

Der Kiez in zehn Jahren: welche Entwicklung müsste er genommen haben, damit du zufrieden bist?
Möglichst eine Entwicklung, welche die Menschen, die jetzt hier sind, dageblieben sein lässt. Die ihnen die Möglichkeit gibt, in den allgemeinen Wirtschafts- und Arbeitsprozess so einzusteigen, dass sie hier, unabhängig von Finanztransfers und ähnlichem, im Kiez zusammen leben können. Dadurch würde das Zusammenleben vereinfacht und eine gewisse Lockerheit viel eher zustande kommen, als das jetzt der Fall ist, wenn man sich die ganze Zeit darüber Gedanken machen muss, wie man die nächsten drei Tage bis zum Monatsende übersteht.

Leider ist das eben ein Bereich, auf den wir nur eingeschränkt Einfluss haben. Insofern ist das mehr eine Überlegung, wie das soziale Miteinander aussehen kann, als wie der Schillerkiez an sich in der Entwicklung aussehen wird. Ich glaube, die Toleranz im Kiez ist ziemlich groß für die verschiedenen Lebensentwürfe, die es hier gibt, auch für die verschiedenen neuen Leute, die hierherziehen. Ich kenne wenige, die das nicht schick finden, dass es hier plötzlich viel Leben gibt, viele junge Leute, viele verschiedene Varianten, den öffentlichen Raum auch zu nutzen. Wir sind im Schillerkiez an einem Punkt, wo es mehr auf die sozialgesellschaftliche Entwicklung ankommt, als auf die tatsächliche Infrastruktur und Verbesserungen an der Bausubstanz. Wir haben hier ein Level erreicht, wo eine Abwärtsentwicklung gestoppt ist und die Aussicht auf eine bessere Zukunft greifbar ist.


Dieser Text ist in gekürzter Fassung in der Februar-/Märzausgabe der Schillerkiezzeitung Promenadenmischung zum Thema “Glück” erschienen.