Interview geführt von Hannah Frühauf
neukoellner.net: Hallo Mirko, um was genau geht es bei eurem Projekt DeathLab?
Mirko Winkel: DeathLab ist eine siebenteilige Gesprächsreihe zur Sterbekultur in Deutschland. Wir, das heißt Karen Winzer, Lydia Hamann und ich, haben verschiedene Bildende Künstler gebeten eine Urne zu entwerfen. Über die Ergebnisse tauschen sich die Künstler nun mit Menschen, die sich jeden Tag beruflich mit dem Tod beschäftigen – also mit Bestattern, Theologen oder Ethnologen – öffentlich aus.
Die Gespräche finden an Orten statt, die eng mit dem Thema Tod verbunden sind: in einem Krematorium, einer Friedhofs-Gärtnerei oder einem Bestattungs-Fuhrunternehmen. Zum Abschluss jeder Veranstaltung gibt es einen musikalischen Beitrag, eine unkonventionelle Trauermusik in Form von Elektro-Pop, einer Metal Band oder dem Berliner Alphornorchester. Insgesamt geht es uns darum, alternative Bestattungskonzepte und Rituale auszuprobieren.
Wie seid ihr auf diese Idee gekommen euch mit Sterbekultur auseinanderzusetzen?
Die Idee beruht ursprünglich auf einer persönlichen Erfahrung mit dem Thema. Schnell haben wir gemerkt, dass es zwar einen Trend zur Beschäftigung mit dem Tod gibt, aber das Thema noch immer weitestgehend ein Tabu ist darstellt. Das Sterben spielt sich in Deutschland im Verborgenen ab und ist nicht Teil unserer Realität – solange wir nicht persönlich betroffen sind.
Den Tod verhandelbar und zugänglicher machen
Über die Kunst – also das Gestalten der Urnen, die Vorträge und die Musik – sehen wir eine Chance, das Thema Tod verhandelbar und zugänglich zu machen. Im Sinne von: Wenn wir über Tod und Sterben im künstlerischen Kontext reden, können wir den Blick auf das Thema verändern und ihm erst einmal die Schwere nehmen.
Was meinst du mit „einem Trend zur Beschäftigung mit dem Tod“?
Die Menschen in Deutschland werden immer älter, was den Tod gefühlt in immer weitere Ferne rücken lässt. So fällt es uns umso schwerer damit umzugehen, wenn jemand stirbt. Gleichzeitig leben wir zunehmend säkularisiert und die Kirche hat längst kein Monopol mehr auf den Umgang mit Tod und Trauer, während der Staat sich bei diesem Thema ganz raus hält.
Dieses Vakuum wird zunehmend wahrgenommen und durch neue Protagonisten gefüllt. Zum Beispiel gibt seit einigen Jahren offiziell den Beruf der Sterbeamme. Das ist eine Person, die Menschen professionell in den Tod begleitet. Auch, dass der Senat unser Projekt gefördert hat, werte ich als einen Versuch, sich neu mit dem Thema Sterben auseinander zu setzen. Viele Akteure reagieren positiv darauf, dass wir als unabhängige Künstler und junge Menschen auf das Thema aufmerksam machen möchten – vor allem mit unserem Ziel, in einen Dialog mit allen Interessierten zu treten.
Hatten die Künstler, die ihr gefragt habt direkt Lust mitzumachen?
Wir haben für das Projekt Bildende Künstler angesprochen, die wir schätzen. Die meisten waren sofort Feuer und Flamme für das Thema und haben Entwürfe gemacht. Dabei sollten alle Urnen auch den gesetzlichen Normen entsprechen und tatsächlich benutzbar sein. Es war uns wichtig, dass die Künstler die Realität der Bestatter ernst nehmen: Dass sie sich zum Beispiel. erkundigen, welche Maße und Umweltauflagen eingehalten werden müssen, damit die Urne tatsächlich in die Erde gelassen werden kann.
Asche in einer Gehwegplatte
In Deutschland gibt es dabei so viele Regeln zu beachten. Der Künstler Axel Loytved hat genau hier eingehakt und eine Gesetzesänderung in Bremen zum Anlass genommen, eine recht provokante Urne zu produzieren. Seine Urne ist eine Gehwegplatte, wobei die Asche dem Beton beigemischt ist. Das Modell hätte bisher vermutlich nur in Bremen eine Chance. Dort ist, im Gegensatz zu Berlin, ein freierer Umgang mit Asche erlaubt. Diese rechtlichen Grenzen zu thematisieren und daraus neue Ideen abzuleiten, interessiert uns eben auch.
Wie haben die Betreiber aus der Bestatterbranche auf eure Anfragen reagiert?
Bei der Auswahl der Orte hat uns die Tatsache in die Hände gespielt, dass Berlin keinen Zentralfriedhof hat und somit fast in jedem Kiez ein Friedhof und entsprechende Institutionen zu finden sind. Somit konnten wir verschiedene sehr viele unterschiedliche innerstädtische Locations finden, die mit dem Thema Tod verbunden sind.
Bei einigen Institutionen, wie dem Krematorium Baumschulenweg oder dem Glashaus-Café Strauß in der Bergmannstraße, war es wichtig, genauer zu erklären, was unsere Motivation ist. Die Betreiber des Krematoriums suchen nicht unbedingt die Öffentlichkeit. Bei dem Café am Friedhof hieß es zunächst, wenn eine Doom Metal Band spiele, könne das Glas des Cafés durch den Lärm zerspringen. Dann waren es die Nachbarn, denen die Musik sicherlich zu laut sei. Dann sah man die Totenruhe in Gefahr und hatte Angst unser Vorhaben könnte als pietätlos empfunden werden. Aber für uns ist es pietätlos, den Tod unsichtbar zu machen. Am Ende haben sich glücklicherweise alle Beteiligten auf unser Vorhaben eingelassen und uns durch wertvolle Ratschläge tatkräftig unterstützt.
Was hast du persönlich über die deutsche Sterbekultur gelernt?
In Deutschland gibt es etliche strenge Regeln und Vorschriften, was eine Bestattung betrifft. Diese werden langsam gelockert und alternative Bestattungsrituale – wie das Bemalen von Särgen und Urnen oder Begräbnisse in Bestattungswäldern – gewinnen zunehmend an Wichtigkeit. Dennoch habe ich das Gefühl, hierzulande steht die professionelle Abwicklung des Todes im Vordergrund.
Zu viele Regeln in Deutschland
Wir haben zum Beispiel das Krematorium besucht und gesehen, dass die Einäscherung ein höchst automatisierter Vorgang ist. Der Sarg wird von Robotern gescannt, in den Ofen geschoben und später kommt die Asche heraus, ohne dass Mitarbeiter, geschweige denn Angehörige, damit in Berührung kommen. Die Asche eines Angehörigen darf ohnehin nicht mitgenommen werden. In den USA dagegen können Hinterbliebene mit der Asche im Prinzip machen, was sie möchten. In manchen Kulturräumen gehört der Rauch sogar zum Ritual der Bestattung. Deshalb lassen in Deutschland immer wieder Angehörige ihre Verstorbenen im Ausland einäschern.
Gab es etwas, das dich geschockt hat in der Auseinandersetzung mit der Sterbekultur?
Am meisten geschockt hat mich die Tatsache, dass in Berlin das Hauptkriterium bei einer Beerdigung der Kostenfaktor zu sein scheint. Etwa 80 Prozent der Bestattungen in Berlin sind Urnenbestattungen. Nicht nur weil die Menschen sich das wünschen, sondern weil sie schlichtweg nicht bereit oder in der Lage sind, in eine andere Form der Beisetzung zu investieren. Viele ältere Menschen schließen eine spezielle Versicherung ab, um ihren Angehörigen durch ihren Tod nicht zur Last zu fallen. Der Staat übernimmt hier kaum mehr Kosten. Ich würde mir wünschen, dass Bestattungen – trotz begrenzter finanzieller Möglichkeiten – zu einem Fest werden, das dem Verstorbenen entspricht.
Zwei der Gespräche finden in Neukölln statt. Warum habt ihr euch für diese beiden Locations entschieden?
Die beiden Veranstaltungsorte die wir uns in Neukölln herausgesucht haben, gehören beide zu Traditionsunternehmen. Das hat uns gut gefallen. Eine der Veranstaltung findet am 13. Oktober 2016 bei Blumen Weyer in der Sonnenallee statt. Der Blumenladen macht natürlich auch schon lange Trauerfloristik. Die Veranstaltung heißt „Unter Bäumen“ und wie der Titel erahnen lässt, diskutieren wir, unter anderem mit der Künstlerin Stefanie Bühler, über Bestattungswälder und naturnahe Gräber. Hier wird das Berliner Alphornorchester alternative Funeralmusik spielen, darauf bin ich besonders gespannt.
Die zweite Location in Neukölln ist das Fuhrunternehmen Schöne, das auch im Bestattungsfuhrwesen tätig ist. Die Firma ist direkt am Richardplatz ansässig, hier wird sich das Gespräch am 15. Dezember 2016 um Tattoos, Tod und Urnen drehen, unter anderem mit dem Kulturwissenschaftler Thomas Macho.
Kommentare:
Hallo und vielen Dank für den interessanten Artikel zum Thema Bestatter. Seine Urne selbst zu Lebzeiten zu bemahlen hat es beruhigendes, wenn es heißt Abschied zu nehmen. Ich bereite mich auch lieber auf das Sterben vor und erkenne so auch jeden Tag wie schön das Leben ist.
Eine Bekannt lässt ihren Vater der Feuerbestattung übergeben. Die Asche in einer Gehwegplatte ist auf den ersten Blick etwas seltsames. Wenn man aber bedenkt, dass sie einem Halt gibt, sieht es schon wieder anders aus.
Die Frage nach der Sterbekultur ist eine recht sensible. Die Leute reden nicht gern darüber, darum hat man als Hinterbliebener wenig Gesprächspartner. Meine Tante muss eine Erdbestattung für ihren Mann vorbereiten. Allerdings haben wir keine Ahnung, was es vorzubereiten gilt.
Es ist in der Tat schön, wenn der Verstorbene auf nette Weise verabschiedet werden kann. Ich finde es gut, dass Sie versuchen das Bestattungs-Vakuum zu füllen. Eine große Initiative von Ihnen. Viel Glück!
Wenn man aber nicht daran gedacht hat, ist die Urnenbestattung wohl das Beste. Die Mutter eines Freundes ist mit 40 gestorben. Sie hatte noch keine Sterbeversicherung.
Danke für den schönen Beitrag zu Bestattungen. Die Sterbekultur in Deutschland hat ein lange Tradition. Ältere werden vermutlich immer einen Teil der Kultur anwenden, die sie selbst kennengelernt haben. Nur langsam modernisiert sich der Umgang mit dem Tod, wobei man doch vom eigenen Ende so viel über Werte im Leben lernen kann.
Neulich las ich von einer Bestattung, bei der die Asche des Ehemannes zu einem Diamanten gepresst wurde. Dass ist sicher auch eine individuelle Form der Bestattung. Ob das in unseren Breiten erlaubt ist weiß ich allerdings auch nicht.
Interessantes Projekt zum Thema Perspektiven auf den Tod. Eine Freundin von mir an der Universität ist auch mit diesem Thema beschäftigt. Sie habe die Friedhöfe in Berlin besucht und habe fiktives Interview gemacht. Ich habe ihr gesagt, dass sie ein Mal mit Seebestattung arbeiten soll. Vielleicht kann man von Seebestattung andere neue Perspektive bekommen.
Mein Großvater ist mit 80 verstorben und das war wirklich ein wenig überraschend. Er war immer so Fit und wir hätten Wetten können, dass er uns alle noch überleben würde. Das war der erst Todesfall in meiner Familie, den ich mitbekommen habe. Ich stimme also zu, dass der Tod mehr und mehr in die Ferne rückt und befremdlicher wird. Wir hatten eine Feuerbestattung für ihn und wenn es in Berlin erlaubt wäre, hätten wir die Urne bei uns Zuhause oder als Gehwegplatte auch nicht schlecht.
Toller Beitrag zur Sterbekultur. Ich stelle auch fest, dass jede Kultur einen anderen Zugang zu diesem Thema hat. Ich selbst möchte kremiert werden.
Lieber Mirko,
ich hoffe, es geht dir gut … weiß nicht, ob dich diese Mail zeitnah erreicht! ich habe mal für solo performance an der udk auf deine Einladung im botanischen garten einen workshop gemacht. jetzt suche ich dein – und doreen uhligs – manifest über performance art. Leider eilt es sehr, da ich es unterrichten will und den Studierenden vorab schicken muss. Geht das? Und kannst du auch einen Kontakt zu doreen wiederherstellen? das würde mich sehr freuen. Entschuldige bitte die Umstände! Herzlich, Mirjam