Die Fast-Food-Verschiebung

„Die Pannierstraße entwickelt sich definitiv zur Fressmeile.“ Mathias Hühn von der Kiezzeitung Reuter hat die Veränderungen beim Schnell-Essen im Reuterkiez räumlich und kulinarisch unter die Lupe genommen. Mit dem Text aus dem Reuter startet unsere kleine Sommerserie der Neuköllner Kiezzeitungen über „Essen in Neukölln“. (mehr …)

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Montag, 29. Juli 2013

Text: Mathias Hühn / Foto: Felipe Tofani

Es gab bereits schnelles Essen rund um den Reuterkiez, da war die Ecke noch weit davon entfernt Berlins „heißeste Partyzone“ zu sein. Am Kottbusser Damm entstanden die ersten Berliner Dönerläden, und auf der anderen Seite der Brücke verkaufte der „Sindbad“ seinen unvergessenen „Kreuzburger“, der so schwer im Magen lag wie ein fettiges U-Boot. Die Dönerläden am Kotti wirken heutzutage fast schon altmodisch, gefragt sind jetzt Einrichtungen wie die „Brezel Company“ in der Lenaustraße mit ihren „Ciabattas de luxe“ oder die in jeder Hinsicht kosmopolitische „Pizza e Pezzi“ am Reuterplatz.

Bedingt durch das tiefe Eindringen der Partygesellschaft  in den Kiez hat sich der Fast-Food-Sektor verlagert, räumlich und kulinarisch. „Die Pannierstraße entwickelt sich definitiv zur Fressmeile“, prophezeit Thimo, einer der drei Inhaber des BBI (Berlin Burger International) in der Pannierstraße. Das BBI steht beispielhaft für den Trend auch im Fast-Food-Bereich qualitativ hochwertige Nahrungsmittel anzubieten. „Wir sind eigentlich kein Fast-Food-Restaurant“ sagt er und verweist auf die verhältnismäßig langen Wartezeiten von bis zu 20 Minuten. Im BBI wird alles selbst zubereitet, das Hühnchen ist in hausgemachter Marinade eingelegt, das frische Hackfleisch stammt vom Fleischer um die Ecke. „Unser Hauptziel ist es, gute Burger zu produzieren“, so Thimo. Das solide Selbstverständnis erstreckt sich über das gesamte Geschäft, die Inneneinrichtung wurde überwiegend aus gebrauchten Materialien hergestellt und Kredite sind für die Inhaber tabu. Investiert wird nur Geld, das im Laden erwirtschaftet wurde. Seit sechs Jahren gibt es das BBI und der Wandel des Kiezes hat zu einer mehr als befriedigenden Geschäftsentwicklung geführt. Ein paar Meter weiter auf der anderen Straßenseite eröffnen die drei BBI-Betreiber demnächst die Bar „BER“. „Die Namen BBI und BER kamen zustande, weil wir auch ein paar Eröffnungstermine verstreichen lassen mussten“, so Thimo.

„Uns gibt es es schon seit 19 Jahren“

Direkt neben dem BER befindet sich die „Croissanterie“, ebenfalls auf schnelles Essen spezialisiert und zu Stoßzeiten brechend voll. Wie das BBI findet sich die Croissanterie in den üblichen Berlin-Reiseführern wieder, das Geschäft profitiert vom Hype um den Reuterkiez. Wenngleich Christian Sachse, der Inhaber und Ur-Neuköllner aus der Gropiusstadt, aus guten Gründen darauf verweist, kein Trendsetter zu sein: „Uns gibt es es schon seit 19 Jahren, wir sind ein richtiger Kiezladen“. Alleinstellungsmerkmal damals wie heute ist das unglaublich große Angebot an Belagen und Aufstrichen für Croissants und Brezeln. Die wenigsten Zutaten stammen aus dem Großhandel: „Die Salami importieren wir direkt aus Italien und die Trockentomaten sind tatsächlich am Strauch getrocknet“, erzählt Christian. Neben der Qualität ist ihm auch die Freundlichkeit des Personals wichtig: „Das macht die Hälfte des Geschäftes aus.“

Während die Pannierstraße Teil des hippen Reuterkiezes ist, verschwindet das Trendgefühl schlagartig, sobald man auf die Sonnenallee biegt. Hier dominieren Spielhallen und selbst klassische Dönerläden sucht man vergebens. Dafür findet man einen selbst für Berlin einzigartigen Imbiss: das „Fisch Kebab Haus“ von Servet Kalayci. Es gibt weder Hammel- noch Kalbfleisch, die Speisekarte kennt nur maritime und vegetarische Gerichte. Servet Kalayci geht es in erster Linie um die Gesundheit: „Fisch ist gut für das Gehirn, er enthält Eiweiß ohne Fett und beugt Demenz vor.“

Soweit es geht, verzichtet Kalayci auf die Fritteuse, der Fisch wird gegrillt und schonend gegart. Ein „Fisch Döner“, gegrillter Fisch mit Salat im Fladen-Brot, kostet 2,50 €, die „Dorade Royal“ auf dem Teller mit Kartoffelscheiben und Salat kostet 10 €. Die Einrichtung des Ladens entbehrt jeder Hippness, dafür kann man das „alte“ Neukölln erleben, indem man sich draußen in die Sonne setzt und das Leben auf Neuköllns bekanntester Straße vorbeirauschen lässt.

 

Für die Sommerausgabe haben alle Neuköllner Kiezzeitungen einige ihrer Seiten dem gemeinsamen Thema „Essen in Neukölln“ gewidmet – wir haben für neukoellner.net daraus ein kleine Sommerserie gemacht.

Kommentare:

  • Neuköllner sagt:

    … und der Italiener, schräg gegenüber, der ist verschwunden, obwohl der recht gut war und viele Angebote ebenfalls aus Italien kamen. Weggentrifiziert, von den „hippen“ Läden.

  • klumpatsch sagt:

    ..der Italiener von schräg gegenüber befindet sich jetzt in der Weichselstr. und ist viel besser als zu seinen Endzeiten in der Pannierstr. . Da war das Tarantella nämlich nur ein mittelmäßiger Trash-Italiener. In der Weichselstr. ist der Laden jetzt viel kleiner und wieder absolut empfehlenswert.

    Die Croissanterie sollte man lieber nicht allzu sehr loben…schlechte hygienische Zustände, ein Psycho-Chef und schlimme Arbeitsbedingungen. Ein Wunder, dass das schon 19 Jahre so geht.

  • klumpatsch sagt:

    ach ja, und ALLE Zutaten in der Croissanterie stammen aus dem Großhandel. Das ist schlicht und einfach gelogen.

  • marcellv sagt:

    La Tarantella hat sich innerhalb kurzer Zeit zu einem kleinen Nachbarschaftslokal entwickelt, in dem man sich trifft und kennt. Und die Pizze in der Zeit von „besser als Lieferservice“ zu „2-3 mal die Woche zu Gianni“!