„Ich habe schon einmal mit der Presse gesprochen. Da wurde mir ein einziger Satz zum Verhängnis.“ Das ist das allererste, was Sven sagt. Er sagt es ohne Vorwurf, ohne Trotz, aber mit Kalkül. Hier steht einer, der sich nicht verarschen lässt. Und einer, der nicht viel preisgeben will.
Sven ist seit drei Jahren Bademeister im Sommerbad Neukölln. 29 Jahre alt, groß, aufrechter Gang. Einer vom weißen Volk, wie die Kollegen die Bademeister hier nennen. Sich nicht verarschen lassen gehört zu seinem Job. Am liebsten dreht er seine Runden um die Schwimmbecken. Nah an den Leuten sein, ein bisschen quatschen. So wie jetzt. Eine Gruppe türkischer Jungs begrüßt ihn lautstark. Was so gehe, ob er jetzt berühmt werde und ob die Begleitung seine Freundin sei, witzeln sie. Sven witzelt zurück. Er kennt die Jungs gut, sie sind hier jeden Tag. „Ich muss Autorität ausstrahlen, aber zu viel davon ist in diesem Schwimmbad total falsch. Man muss locker bleiben, respektvoll mit den Leuten reden, dann gibt es auch weniger Stress.“
„So schlimm ist das alles gar nicht!“
Weniger Stress ist essenziell in einem Schwimmbad, das in den letzten Jahren immer wieder negative Schlagzeilen gemacht hat: Massenschlägereien, Messerstechereien, Drogenhandel. An heißen Spitzentagen prallen 7.000 Gäste mit unterschiedlichen Kulturen und Sprachen aufeinander. Von einem Deutschen lässt sich hier nicht jeder was sagen.
Sven winkt ab: „Die Kritiken in der Presse sind viel zu schlecht. So schlimm ist das alles gar nicht!“ Der Presse wird er an diesem Nachmittag noch öfter die Schuld geben. Die Schuld am schlechten Ruf des Bads, dafür, dass kaum Frauen hier arbeiten wollen und dafür, dass seinem eigenen Job ein zweifelhaftes Klischee anhängt. Undankbar nennt er das. Deshalb wird hier viel an der Außendarstellung gearbeitet: Sicherheitskräfte und Polizisten unterstützen die Bademeiser, die Sicherheitskette bei Notfällen läuft laut Sven einwandfrei. Bald macht ein Gastronom auf, der zu einem nobleren Image verhelfen soll, der nicht mehr nur Pommes-Rot-Weiß, sondern auch Crêpes verkaufen will. Seit wenigen Wochen dürfen muslimische Frauen im Burkini baden, ein synthetischer, locker sitzender Ganzkörperanzug mit Kopfbedeckung. „Es ist ein echt schönes Schwimmbad und wir öffnen uns für die unterschiedlichen Kulturen“, schwärmt Sven.
Angepöbelt und angespuckt
Sven war vorher Berufssoldat. Das ist sein eigentlicher Traumjob. Nach dem letzten Auslandseinsatz begann er dann eine Ausbildung zum Bäderfachangestellten. Die Gründe für den Wechsel will er nicht nennen. Parallelen zwischen den Berufen gäbe es nur wenige. „Man passt sowohl als Soldat als auch als Bademeister auf die Leute auf“, erzählt er. „Aber in so einem Schwimmbad lässt man sich Sachen gefallen, die man sich als Soldat nicht gefallen lassen muss. Ich wurde angepöbelt, angespuckt, es gab auch schon Handgreiflichkeiten. Aber ich hatte Glück, im Gegensatz zu anderen Kollegen habe ich noch nie einen Schlag abbekommen.“
Mehr wolle er dazu nicht sagen. Deshalb folgen auf Fragen oft Allgemeinplätze: Andere Bäder hätten auch Probleme. Es seien ja alle nur Menschen. Wenn einer gebildet ist, sei Integration gar nicht nötig. Sven ist vorsichtig mit dem was er sagt. Er muss stets die Kontrolle behalten. „Keine Antwort ist auch ‘ne Antwort, hmm?“, grinst er einem wissend entgegen.
Vor dem großen Aussichtsturm hinter einer Absperrung sammelt sich das weiße Volk. Hier hat Sven einen guten Überblick auf die Schwimmbecken. Er unterhält sich mit den Jungs von vorher, die vor der Absperrung aufschlagen. Zwei türkische Mädchen erzählen: „Sven ist voll cool. Wir kennen ihn schon voll lange, der erzählt uns alles.“ Ganz so sei das natürlich nicht. „Ich bin hier irgendetwas zwischen Freund und Sozialarbeiter“, erzählt Sven. „Aber ich muss mir auch Distanz bewahren, draußen bin ich nicht mehr Bademeister Sven.“ Deshalb verrät er den Gästen etwa nicht seinen Nachnamen, die versuchen ihn nämlich schon seit langem auf Facebook zu finden.
Sven fühlt sich sichtlich wohl, hier unter Leuten und an der frischen Luft. Und obwohl er ständig verneint, dass das Sommerbad Neukölln nicht gefährlich sei, sagt er dann doch ein wenig stolz: „Natürlich sind die Situationen hier manchmal brenzliger als in anderen Bädern, aber andere Bäder sind auch langweiliger.“
Sommerbad Neukölln
Columbiadamm 160, BerlinNeukölln
Bis 1. September: Mo – So 8 – 20 Uhr
Kommentare:
Die „türkischen Jungen“ und „türkischen Mädchen“ sind, vermute ich, gar nicht türkisch. Die mögen auch türkisch sprechen, aber ich finde es blöd, von Mehrsprachigkeit auf Nationalität oder ethnische Zugehörigkeit zu schließen, so 2014 in Berlin. Wäre es nicht angemessen, diesen Nichtzusammenhang auch in diesem Medium zu berücksichtigen?
Konservative Redakteure mögen jetzt das Übliche einwenden: „Lieschen Müller aus Britz versteht das aber so besser“ oder „das ist kürzer, also besser.“ Es ist aber faktisch trotzdem nicht richtig. Und auch für Lieschen Müller sollte man so schreiben, dass sie versteht, wie die Welt um sie herum ist.