Von Sebastian Danz
Einige wenige Leute wollten, dass Martina Weber aus dem Pfarrhaus auszieht. Weil die Kinder sonst denken, das wäre normal. Eine Frau ist aus der Kirche ausgetreten. Eine andere hat sich umgemeinden lassen. Und alles nur, weil die Pfarrerin eine Frau geheiratet hat.
Martina Weber war neun Jahre Pfarrerin im dörflichen Süden Berlins. Als sie und ihre Lebensgefährtin sich im Jahr 2008 das Jawort gaben, erhielten sie neben Glückwunschkarten auch böse Briefe mit Bibelzitaten. „Es gab eine sehr fromme Dame, die Leiterin eines Bibelkreises. Die hat lange meine Gottesdienste boykottiert und nicht mit mir gesprochen“, erzählt die 40-Jährige über die Zeit nach ihrer Hochzeit. Erst nach einem Jahr habe sich die Frau ihr wieder angenähert. „Dann hat sie festgestellt, dass sie davon keine grünen Pickel kriegt.“
Der überwiegende Teil der Menschen in Webers ehemaliger Gemeinde habe sich aber gefreut, dass die Kirche endlich im 21. Jahrhundert angekommen sei, betont sie. 2015 zog sie in den Reuterkiez nach Nord-Neukölln. Hier ist sie seitdem Pfarrerin in der Nikodemuskirche. Ihre Ehe mit einer Frau war in ihrer neuen Gemeinde nie Thema.
Die Pfarrerin kümmert sich
Martina Weber strahlt Mütterlichkeit aus. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie eines ihrer vielen Patenkinder an sich drückt. Sie verströmt Ruhe, mit ihrem dunklen, weichen Wollpullover, dem halblangen, grau melierten Haar und der sanften, tiefen Stimme. Obwohl sie gerade Urlaub hat und nicht in ihrer Kirche sein müsste, sucht sie das Gespräch mit den Menschen im Kirchencafé und lobt den Kuchen, den eine Gemeindemitarbeiterin gebacken hat. Sie ist eine Kümmerin.
Die Nikodemuskirche steht in der Nansenstraße, unweit des Reuterplatzes. Eine Bar reiht sich an die nächste, auf den Gehwegen sind Graffitis mit Slogans wie „Feminism + Anarchism“ gesprüht. Für Neuköllner Verhältnisse liegt hier auffallend wenig Müll und Hundekot. Es scheint, als würden die Anwohner sich um ihren Kiez kümmern. Es wirkt fast ein wenig kleinstädtisch hier, wären da nicht die vielen kopfbetuchten Frauengruppen mit ihren Handwagen und die lässig dahinschlendernden Hipsterkatalog-Models.
Der Turm der Nikodemuskirche ist nur von weitem zu sehen. Im Vorbeigehen verschwindet er über den Bäumen. Die hellgelbe Fassade der Kirche reiht sich zwischen den grauen und staubroten Wohnhäusern ein. Ein Jesus-Mosaikporträt über dem Eingang und zwei Steinstatuen der Apostel Petrus und Paulus links und rechts davon verraten dem aufmerksamen Spaziergänger, dass er vor einem Gotteshaus steht. Nachdem im Jahr 1908 die Pläne für eine monumentale Kirche direkt auf dem Reuterplatz aus finanziellen Gründen verworfen wurden, wich die Gemeinde auf dieses bescheidene 25 mal 35 Meter großes Grundstück in unmittelbarer Nähe aus.
„Ich finde Sonntag zehn Uhr grenzwertig“
Die Zahl der Menschen, die regelmäßig zu Gottesdiensten kommen, ist überschaubar. 20 bis 30 Menschen jeden Alters finden am Sonntagmorgen im Schnitt den Weg in die Nikodemuskirche. „Ich finde das nicht schlimm. Ich finde Sonntag zehn Uhr sowieso grenzwertig, vor allem für junge Menschen“, sagt Weber mit einem Augenzwinkern.
Deshalb hat die Pfarrerin den Zeitklang ins Leben gerufen, einen Abendgottesdienst mit viel Musik und ohne klassische Liturgie, der einmal im Monat Sonntagabend stattfindet. „Wir definieren uns nicht nur über den Gottesdienst“, sagt Weber. Sie sieht die Nikodemuskirche als eine Kulturkirche. Zu den regelmäßig stattfindenden Jazz-, Klassik- und Weltmusikkonzerten ist das Haus immer gut gefüllt. Internationale und lokale Künstler stellen in wechselnden Ausstellungen ihre Werke in der Kirche aus.
Kunst an weißen Wänden
Gerade hängt Tomasz Perlicjan, ein Künstler aus Polen, seine Werke an die Wände des Kirchenschiffs. Der Innenraum der Nikodemuskirche ist schmucklos, fast schon karg. Bei einem Luftangriff der Alliierten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs brannte das Gebäude fast vollständig aus. Von der originalen Jugendstilarchitektur ist nicht mehr viel übrig. Die Gemeinde macht sich die vielen weißen Wände zunutze und behängt sie mit Kunst.
Auf den Bildern des polnischen Künstlers Perlicjan sind vor allem grellbunte Menschen mit Riesenaugen zu sehen. Die Ausstellung wird in zwei Tagen eröffnet. Dem Künstler fällt es schwer, über seine Kunst auf Englisch zu sprechen. Er erzählt, dass er seine Farben selber mischt und dass er in sein Atelier kein Tageslicht hereinlässt. „Electric light is better“, sagt er wissend mit halbgeschlossenen Augen. Die Pfarrerin nickt anerkennend: „Your art is like an explosion of colours.“
Weber liebt den Austausch mit den Künstlerinnen und Künstlern, die in der Nikodemuskirche ausstellen. Auch zu ihren Gemeindemitgliedern sucht sie jederzeit Kontakt. „Wenn ich die Leute hier im Kiez treffen will, brauche ich nur auf die zu Straße gehen“, sagt sie. In ihrer letzten Gemeinde sei das anders gewesen. „Da hat jeder seine Tür zugemacht. Viele hatten einen eigenen Garten oder eine Terrasse. Hier am Reuterplatz findet ab dem ersten Sonnenstrahl das Leben draußen statt.“ Im Sommer stellt sich Weber in die Schlange an der Eisdiele oder läuft mit ihrer Frau über den Markt. „Meine Frau sagt dann manchmal: ,Das nächste Mal gehe ich alleine. Das dauert mir zu lange mit dir.‘ Aber sie meint es nicht böse“, erzählt Weber und lacht.
„Diese Gemeinde ist ein Begegnungsort der Religionen“
Kontakt entsteht im Reuterkiez nicht nur zwischen den Menschen aus der Nikodemus-Gemeinde und ihrer Pfarrerin. „Diese Gemeinde ist ein Begegnungsort der Religionen“, erklärt Weber. So gäbe es manchmal Frauen mit Kopftuch, die in ihre Gottesdienste kommen, weil der Ehemann Christ ist. Oder sie kommen zu Beerdigungen, weil der Verstorbene Christ war. „Ich erlebe Musliminnen und Muslime bei den Beerdigungsgottesdiensten als wesentlich versierter als Atheisten“, berichtet Weber. Sie habe keine negativen Erfahrungen gemacht. Die Musliminnen und Muslime, die sie kennt, würden wissen, wie man sich respektvoll gegenüber einer anderen Religion verhält. „Weil sie es auch umgekehrt erwarten“, sagt die Pfarrerin.
Besonders spannende Momente mit Musliminnen erlebt Martina Weber im Sommer. „Dann ziehe ich keinen Mantel über meinen Talar, bevor ich zu Beerdigungen im Friedhof am Hermannplatz laufe“, erzählt sie. Vor allem sehr verschleierte Musliminnen halten inne und schauen ihr interessiert ins Gesicht. Die unaufgeregte Begegnung zwischen Christentum und Islam wird für die Kiez-Pfarrerin so zum Alltag. „Der Talar sieht dem Gewand der muslimischen Frauen sehr ähnlich. Das schafft irgendwie ein Stück Solidarität.“
Kommentare:
Der artikel über die pfarrerin und die nikodemuskirche hat mich beglückt. Wennn ich (80) halb in schottland lebend, wieder in neukölln bin , komme ich gerne zu den gottesdiensten usw. In berlin habe ich biher keinen internetzugang.