80 Teile Weinbrand, 20 Teile Cola

Die Neuköllner Kneipenküche hat keinen Platz für Schnöseligkeit. Einfach muss sie sein und herzhaft – damit sie eine gute Grundlage für den Futschi gibt. Um dieses kulinarische Erbe zu bewahren und zu erweitern, hat die Gastwirtin Jutta Hartmann ein Kochbuch verfasst. Mit einer zentralen Schwäche.

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Mittwoch, 9. Januar 2013

Jede Region hat ihr Getränk, auf das sie richtig stolz sein kann. Das billig ist und kräftig reinhaut. Was dem Hamburger sein Korn mit Sprite ist und dem Urbayern seine Goaßmaß, ist dem Berliner sein Futschi. Bei Wikipedia liest man unter dem Eintrag Futschi, dass es sich hierbei um einen Longdrink handelt, der aus Cola und Weinbrand besteht und vorwiegend im Berliner Raum angeboten wird.

Bei Jutta Hartmann klingt die Geschichte ein wenig anders. Sie selbst habe das „Neuköllner Nationalgetränk“ im Jahr 1982 erfunden, sagt sie. Des Weiteren liege die optimale Mischung bei 80/20, wobei hier klargestellt werden muss, dass es sich um 80 Teile Weinbrand zu 20 Teilen Cola handelt.

Jutta Hartmann ist nach eigener Aussage um die 50 und seit knapp 30 Jahren Kneipenwirtin in Neukölln. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben, ein Kochbuch, das so ganz anders ist als alle anderen Kochbücher: „Futschi Deluxe – Das Beste aus Neuköllns Kneipenküchen“.

Die Partyküche der guten alten BRD

Ein Buch, das zur Hälfte dem Longdrink gewidmet ist und in dem die Autorin ansonsten ihren eigenen Dilettantismus in der Küche genüsslich zelebriert. „Ich koche ja nicht – ich mach’s gut warm“, schreibt sie. Und tatsächlich sind ihre Gerichte weit von dem entfernt, was man im klassischen Sinne als Kochen bezeichnen würde.

Vielmehr ist es eine Apotheose auf die Partyküche der guten alten Bundesrepublik. Toast Hawaii findet sich ebenso in einfacher Anleitung wie Ochsenschwanzsuppe (Dose auf, in der Mikrowelle erhitzen), Schrippe mit Hackepeter und nicht zuletzt Kartoffelsalat. Es sind einfache Gerichte, und es ist zugleich ein kulinarisches Erbe dieses Landes, das es wert ist, bewahrt zu werden. Und ergänzt, denn man will ja am Puls der Zeit bleiben. „Döner Toast“ ist eine dieser Variationen.

Britz, Rollberg, Kneipe

Das alles garniert Hartmann mit Anekdoten aus ihrem reichlich bewegten Leben, das in der behüteten Unesco-gekrönten Hufeisensiedlung in Britz begann, in einer Kommune im Rollbergkiez seinen wilden Höhepunkt hatte und mit der kleinen Kneipe „Jutta’s Inn“ in der Nogatstraße endgültig seinen eigentlichen Sinn fand. Dazwischen tauchen ein paar Türken auf, ein paar Schwule, ein paar abgestürzte Gestalten – alles also, was man ohne große Fantasie in einen Topf wirft, um bei Touristen ein Bild von Neuköllner Lokalkolorit zu erwecken.

Die Fotos sind hübsch bunt und im Stil der Siebzigerjahre gehalten. Hartmann beschreibt sich als nostalgischen Menschen, möchte mit ihrer Kneipe aber nicht verloren gehen in dem Strudel aus minimalistisch gehaltenen Szenebars in Nordneukölln. „Die alten Gäste sterben weg. Man muss schon kämpfen, um zu überleben“, erzählt sie im Interview. „Aber man kann versuchen, Kult zu werden. Wenn man das schafft, hat man noch eine Zukunft.“ Deshalb erfindet sie sich auch bei den Getränken neu, entwickelt Futschi-Variationen wie den titelgebenden „Futschi-Deluxe“, bei dem die Cola durch einen Energy-Drink ersetzt wird. Oder den „Futschi Oriental“ – Schwarzer Tee statt Cola.

Ausgerechnet in Kreuzberg

Und obwohl das Buch wie eine Huldigung auf Neukölln daherkommen mag, das Sein trübt den Schein. Die Fotos wurden in Kreuzberg gemacht, in der Kneipe „Zur gemütlichen Ecke“. Ausgerechnet in Kreuzberg. Doch Jutta Hartmann bleibt ihrer Rolle als Neuköllnerin trotzdem treu und hat eine Erklärung parat. Ihre eigene Kneipe sei zu klein dafür. Außerdem wolle man ja irgendwie noch Underground bleiben. Nicht jeder solle da rein kommen. Irgendwie müsse die Kneipe doch authentisch bleiben. Es ist das alte Problem, das die coolen Kinder von Neukölln mit ihren weitgehend Futschi-befreiten Bars auch haben: Wie schafft man es, Publikum zu ziehen und gleichzeitig nicht auf der Straße verkloppt zu werden, weil man allzu sehr Mainstream geworden ist?

Aber bei aller Freude über absurde Futschi-Kreationen mit waghalsigen Mischverhältnissen, warnt Wirtin Jutta dann doch in einem der hinteren Kapitel vor den Gefahren des Alkohols. Das wirkt so, als ob jemand einen bösen Spruch macht und beschämt über die eigene Dreistigkeit hinterherwirft: „Nee, Scherz.“

Genussvolles Trinken

Klischees, Übertreibung und Hochstapelei muss man durchziehen, doch Jutta Hartmann ist da lieber vernünftig. „Man muss das machen. Viele sind unerfahren und nehmen zu viel von dem Futschi. Und es ist angenehmer für alle Beteiligten, wenn man das mehr verteilt. Nicht immer dieses Kampftrinken. Ich plädiere für genussvolles Trinken.“ Später sagt sie noch auf die Frage, wie lange man die „Futschi Deluxe“-Diät durchhält, dass man ja durchaus mal einen vegetarischen Tag einlegen könne – oder einen alkoholfreien.

Und spätestens da merkt man, dass die Vernunft sich in alle Bereiche unserer Gesellschaft geschlichen hat, bis hin in die immer lebenslustige Neuköllner Kneipenkultur. Exzesse sind nicht mehr gern gesehen. Und das wilde Leben wird später für unsere Kinder einen ähnlichen Realitätsbezug wie ein Kassettenrekorder haben. Das ist irgendwie traurig.

 

Jutta Hartmann ist eine Rolle des Berliner Schauspielers Bob Schneider. Diese spielt er sowohl in verschiedenen Theaterproduktionen, sowie bisweilen auf der Comedybustour, die unter anderem durch Neukölln fährt. Aktuell ist er als Jutta Hartmann in Ades Zabels Produktion „Hallo 2013 – mit Edith ins neue Jahr!“ am BKA Theater in Kreuzberg zu sehen.

Der Artikel ist unter gleichem Titel am 4. Januar in der Berliner Zeitung erschienen.