„Jedes Instrument hat hier schon seinen Meister gefunden“

Es gibt eine Bühne, überall stehen Instrumente und es sind fast immer Musiker da, die live spielen. Mit dem Café KussKuss hat Daniel Grabala ein Paradies für Musiker geschaffen. Ein Gastbeitrag zum Hören & Sehen des Open-Stage-Blogs give me a stage. (mehr …)

Dienstag, 6. März 2012

„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“ Daniel Grabala kommt ins Grübeln, wenn man ihn nach seinen Plänen fragt, denn er hat sehr viele. Wir sitzen in seiner Wohnung. Es sieht so aus, als wären er und seine Freundin Jennifer gerade eingezogen: Angefangene Renovierungsarbeiten und wenig Mobiliar. „Nur das Schlafzimmer ist schon fertig“, erzählt Daniel, „mehr brauchen wir nicht, wir sind sowieso den ganzen Tag im Laden und haben dort auch eine Küche.“ Der Laden ist das KussKuss. Ein junges Neuköllner Café, in dem sich alles um Musik dreht.

give me a stage: Daniel, ihr habt im KussKuss ein Paradies für Musiker geschaffen. Es gibt eine Bühne, überall stehen Instrumente und es sind fast immer Musiker da, die live spielen. Es passt einfach alles zusammen und wirkt so, als hättet ihr das lange geplant und aufgebaut. Der Laden besteht aber erst seit Oktober 2011. Wie habt ihr das geschafft?

Daniel Grabala: Der Plan, ein Musikcafé aufzumachen, brannte mir schon immer auf der Seele und es war im Endeffekt einfacher als ich gedacht hatte. Ein bisschen Glück war mit dabei und wir haben natürlich viel gearbeitet, vorbereitet und Werbung gemacht. Manchmal kamen Leute mit Gitarrenkoffern in den Laden, die habe ich gleich angesprochen. Oder es passieren so gute Sachen, wie die Story mit dem Klavier. Ich gebe jemandem Klavierunterricht und der hat sich dann selbst ein Klavier gekauft. Sein altes hatte er von einer Freundin geliehen, die wusste nicht wohin damit. Also habe ich mir einen Transporter geholt und das Klavier zu mir in den Laden geholt.

Du spielst selbst einige Instrumente. Wie bist du zur Musik gekommen?

Ich weiß gar nicht mehr wie es anfing. Mit 6 oder 7 hatte ich eine Gitarre zu Weihnachten bekommen. Das weiß ich aber nur, weil es Fotos davon gibt. Irgendwann war ich ein paar Wochen in der Musikschule. Dort wollten sie, dass ich „Old Mac Donald had a farm“ spiele. Das fand ich nicht cool, also habe ich die Gitarre in die Ecke geworfen. Anfang der 90er kamen dann die ersten Nirvana-Alben raus und die Sachen von Rage Against the Machine. Dann habe ich mir die Songbooks zu den Alben geholt, meine akustische Gitarre gegen eine elektrische getauscht und die Sachen autodidaktisch gelernt. Später habe ich auf die Art auch Keyboard gelernt. Außerdem bin ich so ein Computerkind und habe mich für Audiosoftware interessiert. Ich habe mein Schulpraktikum in einem Tonstudio gemacht und mir dann die Software angeeignet. Nach der Schule bin ich in die Staaten gegangen, um Aufnahmetechnik zu studieren. Dort habe ich auch eine Zeit lang in dem Beruf gearbeitet.

Welche Musiker hast du in den USA aufgenommen?

Ich habe in Chicago für Pigface gemastert. Pigface ist Martin Atkins, der Ex-Trommler von Ministry. Wir haben Industrial-Sachen gemacht, mit Trent Reznor [Anm: Kopf der Nine Inch Nails] und Skinny Puppy. Ich habe die Live-Shows gemastert. Ich hatte dort eine echt gute Zeit und habe viele tolle Bands kennengelernt.

Warum bist du dann wieder nach Deutschland gekommen?

Ich und meine Freundin hatten irgendwann die Nase voll von Chicago. Die Waffengesetze dort, die sozialen Strukturen und die Ungleichheiten nerven nach einer Zeit. Es passieren zwar viele gute Sachen in den Staaten und es gibt gute Leute, aber die gibt es hier auch. Viele Deutsche beschweren sich über die Regierung, aber im Vergleich zu anderen Ländern ist es hier ganz okay, gerade was die Förderung für Künstler angeht. Klar, es wird auch viel gekürzt, aber wenn du in den USA kein Geld hast, dann hast du echt Pech gehabt.

Und ihr seid dann direkt aus den Staaten nach Berlin gekommen, mit dem Plan, das Café z

u eröffnen?

Nicht direkt, nein. Ich war sehr lange nur in den Staaten. Ich hatte das Gefühl, dass ich ein bisschen Zeit mit meiner Familie verbringen sollte und ich musste auch erstmal meine Heimat wiedererkennen. Das habe ich also gemacht. Aber in meiner Heimat in Nordrhein-Westfalen hätte ich wahrscheinlich nur einen Scheißjob gefunden. Für irgendeine Firma Audiosachen produzieren. Also habe ich mich in Berlin bei Tonstudios beworben und bei Studio Wong angefangen. Ich fühle mich echt wohl in Berlin, besonders in Neukölln. Hier ist viel los, hier brennt’s, hier isses dreckig, die Leute sind happy und haben viel vor.

Genauso wie du. Der Laden verändert sich ja im Moment viel, was sind die nächsten Pläne?

Wir bauen ein Aufnahmestudio im Keller. Ab März wird es bei uns einen Plattenladen geben, mit Exklusiv-Vinyl. Das wird sich dann alles schön mischen, denn wir haben vor, die Live-Shows im KussKuss aufzuzeichnen und mit einem eigenem Label zu vertreiben. Außerdem gebe ich Musikunterricht für Kinder. In dem Zusammenhang wollen wir Peter und der Wolf aufführen. Es wird nie langweilig, eins kommt zum anderen. Wenn du die Lust an der Musik nicht verlieren willst, dann musst du immer was Neues machen. Ich lerne zum Beispiel gerade Akkordeon zu spielen. Bei mir geht es inzwischen nicht mehr nur um Grunge, sondern eben auch um Peter und der Wolf. Ich habe mich verändert, denn ich hatte das Glück, immer wieder neue Leute mit verschiedenen Interessen kennenzulernen. Zum Beispiel einen, der macht Puppentheater und arbeitet mit Kindern. Oder ein Typ, der hat eine Trommelgruppe. Ich habe auch Straßenmusiker getroffen. Viele dieser Menschen, die mich beeinflusst haben, habe ich auf Reisen kennengelernt.

„Ich muss nicht durch die Welt dödeln und Leute finden. Die kommen einfach durch die Tür herein.“

Wo bist du überall gewesen?

Vor allem in den USA, aber auch in Südamerika. Jetzt bin ich in Deutschland und kann Berlin neu entdecken. Das finde ich sehr schön. Mit dem Laden ist es noch einfacher. Ich muss nicht durch die Welt dödeln und Leute finden. Die kommen einfach durch die Tür herein. Es ist echt irre, was für Menschen hier durch die Nogatstraße kommen.

Wer denn zum Beispiel?

Letztens kamen Mädels aus Finnland und Schweden, die spielen Akkordeon. Mit denen konnte ich zusammen spielen und etwas lernen. Sowas freut mich halt. Wenn ich überrascht werde und mich dann ärgere, dass ich das selbst noch nicht so gut kann. Oder letztens kam ein Lehrer aus Fulda, der seit einer Woche einen neuen Job an einer Berliner Gesamtschule hat. Der war sehr bedröppelt, hatte wohl eine Kulturschock und hat sich seinen Frust hier am Klavier von der Seele gespielt. Bachstücke und ganze Fugen. Man weiß nie wer hier reinkommt. Jedes Instrument, das hier steht, hat schon seinen Meister gefunden.

Ihr veranstaltet eine Open-Stage am Mittwoch und Freitag Abend. Aber eigentlich ist es doch so, dass das KussKuss täglich als Open-Stage funktioniert?

Auf jeden Fall! Es gibt inzwischen ein paar Musiker, die kommen regelmäßig vorbei und machen öffentliche Proben. Open-Stages mag ich, weil sie immer so bunt gemischt sind. Es kommen Leute, die müssen sich überwinden vor Publikum zu spielen und manche haben schon dieses Selbstbewusstsein. Ich finde es super, wenn Leute sich trauen. Was ich mir aber wünschen würde ist, dass auch mal ein Dichter vorbeikommt und Geschichten liest. Im Moment ist es so, dass wir drei bis viermal pro Woche Livemusik haben. Aber es kann mehr werden. Wir sind halt recht neu und es ist ein eiskalter Winter. Im Frühling kommen sicher noch mehr Leute, dann geht es weiter. Obwohl, ich finde, es bewegt sich jetzt schon in eine sehr gute Richtung.

Der Beitrag ist zuerst erschienen auf dem Open-Stage-Blog give me a stage. Vielen Dank dafür!

KussKuss, Nogatstraße 30, 12051 Berlin: regulär Montag bis Freitag von 12 bis 20 Uhr. Open-Stage findet jeden Mittwoch und Freitag statt, Konzerte und Open-Stages beginnen um 20 Uhr, sonntags gibt es von 12 bis 16 Uhr Brunch mit Livemusik.

Kommentare:

  • Lars Crosby sagt:

    Es war wirklich eine ungemein schöne Audience bei euch und ebenso eure Gastfreundschaft sei euch hoch anzurechnen …
    nachbarschaftliche Grüße (Lars Crosby / Philip Brehse v. Performunion)