Über einen meerblauen Zaun, hinter großen Fenstern, sieht man die Köchin Kathi herumwirbeln. „ Ich sing lala la, i bin halt a‘ Köchin aus besserem Haus und such mir die besten Stücken raus, lala la.“ Mit lässiger Pluderhose, rasiertem Kopf und einer orangefarbenen Küchenschürze erscheint sie mit wirschem Schritt als bayerische Küchenmama Kathi. Mit einer Kollegin singt die Dreißigjährige ein Geburtstagsduett, zu dem sie ein Pianist begleitet. Der Regisseur gibt mit leidenschaftlichem Engagement Anweisungen. Es sind die Proben zum Opern-Musik Projekt „Das Feuerwerk“ von Paul Burkhardt. Am Nachmittag folgen Workshops in Schauspiel, Pantomime, Bewegung und musikalischer Gestaltung.
Die Köchin Kathi heißt Heike Pulver und lebt mit ihrem zweieinhalbjährigem Sohn Miro in Neukölln. Sie war auf der Schauspielschule in Mainz und trat danach als Pantomimin auf, meist bei Straßenfesten. „Ich würde sagen, ich bin nie tief in das Berufsleben eingestiegen, weil ich immer auf der Suche war und gern noch eine Ausbildung machen wollte.“ In Berlin fängt sie eine Zirkusschule an, wechselt bald in eine Schule nach Lille. Als sie schwanger wird, muss sie die Ausbildung abbrechen. „Mein Schwerpunkt war die Luftakrobatik. Das ging dann nicht mehr. Mein Lehrer in Frankreich hat mir sofort verboten weiter zu machen, als er erfahren hat, dass ich schwanger bin.“ Seit Januar 2011 ist Heike wieder in ihrem Beruf tätig. Über das Jobcenter kam sie an die Opernwerkstatt Berlin, um in der musikalischen Komödie „Das Feuerwerk“ mitzuspielen. Heike sitzt in der Ecke des Raumes und wartet auf ihren Einsatz. Nach und nach trudeln immer mehr Schauspieler ein. Eine Opernsängerin kommt gerade zu Tür herein. „Oh, der hat ja heute wieder großartige Laune“, sagt sie ironisch, weil der Leiter des Projekts sich laut über eine Szene echauffiert.
Viel anstrengender als gedacht
Heike ist von Anfang an mit Miro alleine. Den Vater hat sie in Frankreich kennengelernt, er wollte kein Kind. Zweieinhalb Jahre nach der Geburt sagt sie rückblickend: „Es war oft viel anstrengender, als ich zuvor dachte.“ In der Schwangerschaft ging sie zurück nach Berlin, obwohl sie hier keine Familie hat und kaum jemanden kannte. „Nach drei Jahren in Berlin bin ich immer noch dabei mir ein Netzwerk aufzubauen.“ Die Eltern wohnen in Mainz. Trotzdem wollte Heike nach Berlin, weil es hier mehr Möglichkeiten und Angebote in ihrem Bereich gibt, meint sie.
Dem statistischen Bundesamt zur Folge sind es 2,2 Millionen Mütter, die ihre Kinder ohne Partner aufziehen Demnach besteht jede fünfte Familie mit Kindern aus nur einem Elternteil, zu 87% Frauen. Die Tendenz ist steigend, laut einem Artikel in der Welt. Alleinerziehende sind in der Arbeitsmarktintegration stark benachteiligt, wie das Bundesministerium für Familie schreibt. Die Konkurrenz der Kinderlosen ist groß und viele Arbeitgeber haben Vorurteile Alleinerziehenden gegenüber. Sie sind weniger flexibel und fallen öfter aus, wenn das Kind krank ist.
Nachmittags um halb fünf wird Miro im Kinderladen Puck in Neukölln abgeholt. Heike kommt von den Proben und Workshops, die sie früher verlassen muss, weil die Kita dann schließt. Außerdem wird es sonst zu lange für den kleinen Miro, findet sie. Das Anziehen wird ein Kampf. Heike wirkt gestresst und ungeduldig. Miro ist trotzig und will nicht mitmachen. Draußen auf dem Spielplatz ist er wieder guter Dinge, lacht und plappert in der Schaukel vor sich hin. Seit dem Herbst 2012 geht Miro in den Kinderladen. Ab diesem Zeitpunkt konnte Heike überhaupt erst wieder so richtig über ihren beruflichen Wiedereinstieg nachdenken. „Das war eine große Frage für mich, wie es weitergeht.“ Anfangs hatte sie sich als Testphase für ein paar feste Jobs beworben, um zu schauen wie es so läuft mit Kind und Job. „Für mich war immer klar, dass ich freiberuflich arbeiten will, deswegen dachte ich, dass ich vielleicht noch ein zusätzliches Einkommen brauche.“
Höheres Armutsrisiko
„Alleinerziehende sind in Deutschland doppelt so häufig von Armut betroffen wie der Durchschnitt aller Haushalte. Unterbrochene Erwerbsbiografien, mangelnde Angebote für die Kinderbetreuung und die hohe psycho-soziale Belastung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfordern komplexe Handlungskonzepte zur Berufsintegration“, schreibt das Institut für Arbeitsmarktforschung der Bundesagentur für Arbeit. „Das Problem in den meisten Fällen sind die ausbleibenden Unterhaltszahlungen. Nur jedes zweite Kind bekommt Unterhalt“, so eine Sprecherin vom Verband für Alleinerziehende in Berlin. Viele gehen arbeiten, bleiben aber trotzdem abhängig vom Jobcenter. Für sie alleine reicht das Geld, aber nicht zusätzlich für ein Kind, sagt sie.
Heike überlegte auch, zurück an die Zirkusschule zu gehen. Sie fing wieder an zu trainieren, aber merkte schnell, dass es zu anstrengend ist. Im Januar ergab sich dann das Opernprojekt als Weiterbildungsmaßnahme. „Die Opernwerkstatt war ein guter Anfang für mich, um zu merken, dass ich professionell mit dem umgehen kann, was ich gelernt habe“, sagt sie. Bei der Aufführung des Stückes und für die Hauptproben in Bad Freienwalde war Miro die ganze Zeit mit dabei. Es war sonst niemand da, der auf ihn aufgepasst hätte. Das war eine anstrengende Zeit für beide, aber es hat alles gut geklappt. „Bei den Proben hat Miro eine Woche lang zugeschaut und gar nicht gestört. Er liebt Musik und kann mittlerweile einige Stellen aus dem Stück nachsprechen und fragt mich jetzt immer: ‚Mama, wann musst Du die Torte fallen lassen? ‘, “ erzählt Heike belustigt. Während der Aufführung haben Freunde von ihr mit Miro im Theater gesessen. „Ich hatte außerdem das Glück das es eine Doppelbesetzung gab, sonst wäre das alles gar nicht gegangen. Auf ihrem Küchentisch liegt schon der nächste Antrag einer Weiterbildung. Heike ist von dem neuen Vorhaben begeistert: „Das wäre super für mich, ich lerne, wie ich ein Projekt im Rahmen der kulturellen Bildung mit Kindern und Jugendlichen plane und durchführe. Damit wäre ich flexibel genug, da ich die Kinder nicht abends unterrichten würde“ sagt sie. Trotz allem Stress wirkt Heike gerade ganz zufrieden. „Bei allen Anforderungen, die das Leben so an einen stellt, sollte man versuchen, immer wieder zu sich und dem Kind zu kommen und sich auch mal zu verlangsamen“, stellt sie fest.