„Wir machen kein Theater für den Kopf“

Foto: uncle.o. / flickr

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Der „Heimathafen“, eine der engagiertesten Theaterbühnen Berlins, steht in Neukölln. Vor fünf Jahren hat eine Gruppe von Theatermacherinnen den alten Rixdorfer Ballsaal abgestaubt und selbstbewusst verkündet: „Berlin hat wieder Volkstheater“! Ein Interview zum Jubiläum. (mehr …)

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Donnerstag, 17. April 2014

Der Heimathafen wird 5 Jahre alt. Wie sah es damals aus, als ihr hier euer Theater eröffnet habt?

Stefanie Aehnelt: Den Rixdorfer Ballsaal gibt es schon seit 1876. Bevor wir hierher kamen, hatte das Kulturamt Neukölln ihn als Veranstaltungsort genutzt. Der Bezirk hat sich dann irgendwann entschieden, dass sich das ganze nicht mehr finanzieren lässt und hat den Saal ausgeschrieben. Wir waren damals schon als Theatergruppe hier in Neukölln aktiv und haben zwei Jahren lang an wechselnden Orten im Kiez gespielt.

Inka Löwendorf: In den schönen alten Saal hatte man eine Zuschauertribüne rein gebaut, mit so schwarzen Bürostühlen, die da überhaupt nicht rein passten. Nach dem Motto: Wie lässt sich ein schöner Ballsaal ästhetisch ruinieren. Man hatte zwar eine gute Sicht auf alles, aber ansonsten war das nichts, außer praktisch.

Lucia von Seldeneck: Dabei lässt sich der Saal ja ganz unterschiedlich nutzen, wie das in seiner Geschichte auch der Fall war. Da fand auf dem Parkett von Tanz, über Boxkampf bis zum klassischen Konzert alles Mögliche statt.

Wie lang hat es gedauert, bis ihr hier euer erstes Stück spielen konntet?

Inka: Kaum hatten wir unsere Unterschrift unter den Pachtvertrag gesetzt, ging’s los. Alles lief parallel und mit sehr wenig Schlaf. „Filmzauber“, unser erstes Stück, kam vier Wochen später auf die neue Bühne, die wir gerade erst frisch renoviert hatten.

Stefanie: Ja, auf einmal ging der Spielbetrieb los! Plötzlich haben wir festgestellt, dass uns noch Personal fehlt. So ein Abend braucht mehr Leute als nur uns, aber die hatten wir einfach nicht, konnten die auch nicht bezahlen und mussten dann doch alles selber machen.

Lucia: Jeder von uns hat in den fünf Jahren mal alles gemacht. Ich stand an der Bar, am Einlass…

Inka: Am Eröffnungsabend mussten die ersten Besucher noch zwischen den Trittleitern im Foyer durchgehen, weil wir noch schnell die kaputten Glühbirnen auswechseln mussten. Manche haben uns dabei sogar noch geholfen.

So etwas muss man gemeinsam durchstehen. Wie habt ihr euch kennengelernt?

Stefanie: Die meisten von uns kommen aus dem Theaterbereich. Lucia und Inka waren hier in Berlin zusammen auf der Schule. Über unterschiedliche Ecken sind wir alle alte Freundinnen. Wir hatten Sehnsucht nach Berlin und wollten auch unbedingt weg von unseren Assistentenjobs am Theater. Neukölln hatte damals kein gutes Image und die ganze Miesmacherei hat genervt. Ich fand es spannend gerade hier Theater zu machen.

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Machen großes Theater: Nicole Hasenjäger (Marketing, Events, Personal), Inka Löwendorf (künstlerische Leitung, Schauspiel), Stefanie Aehnelt (Geschäftsführerin, künstlerische Leitung), Lucia von Seldeneck (Presse und Öffentlichkeitsarbeit)

Inka: Und wir hatten von Beginn an ein super Publikum und viele Leute, die uns geholfen haben. Ich glaube anderswo ist so ein Anfang bestimmt schwieriger. In Steglitz fragt man nicht so leicht Leute auf der Straße, ob sie was helfen könnten oder in einer Bar nach ein paar Stühlen. Hier kamen wir sofort mit den Leuten ins Gespräch.

„Berlin hat wieder Volkstheater“ ist auch euer Slogan. Was heißt das für euch?

Inka: Dass wir die Geschichten erzählen, die um uns herum passieren.

Stefanie: Das hat auch etwas mit der Erzählweise zu tun. Wir machen kein intellektuelles Theater für den Kopf. Uns geht es darum, die Leute möglichst direkt und emotional zu erreichen und dieser Wunsch hat uns auch zusammengebracht.

Ist es in Neukölln schwieriger die Leute ins Theater zu bekommen als anderswo?

Nicole Hasenjäger: Das glaube ich gar nicht unbedingt. Neukölln ist ja bunt gemischt. Mit dem Heimathafen haben wir erfahren, dass sich viele dafür interessieren, was in ihrem Kiez passiert. Was das Kulturangebot angeht, haben wir hier zusammen mit der Neuköllner Oper eine Vorreiterrolle eingenommen und der Bezirk hat uns dabei sehr unterstützt. Unser Publikum kommt aber aus ganz Berlin und nicht nur aus Neukölln. Manche Produktionen wie unsere „Rixdorfer Perlen“ haben einen großen Freundeskreis. Da läuft die Werbung über Mundpropaganda.

Inka: Dass so viele Leute aus anderen Vierteln hierher kommen, hängt aber auch damit zusammen, dass Neukölln gerade einen Hype erlebt und keine Tabuzone mehr ist, wie früher. Zu uns haben Freunde am Anfang gesagt: „Karl-Marx-Straße? Da steig ich doch nicht aus!“

Aber schauen die Leute von der Karl-Marx-Straße denn wirklich bei euch vorbei?

Inka: Es geht nicht jeder ins Theater und die, die grundsätzlich nicht ins Theater gehen, kommen auch nicht in den Heimathafen. Für Theater interessiert sich generell nur ein kleiner Teil. Aber es kommt auch immer drauf an, was gespielt wird. Zu Konzerte kommen natürlich mehr Leute und gucken dann, was es hier sonst noch so gibt.

Nicole: Unsere Nachbarn, alle Döner- und Pizzaläden, haben wir natürlich gerade am Anfang intensiv mit Flyern versorgt und zu unseren Vorstellungen eingeladen. „Wir müssen arbeiten“, haben die immer gesagt. „Aber es gibt auch um 20:30 Uhr Vorstellungen!“, haben wir dann immer gesagt. Unsere Jugendtheaterprojekte kommen bei den Jugendlichen von hier besser an, aber auch da kommen deren Eltern oft nicht mal, um ihre eigenen Kinder auf der Bühne zu sehen.

Inka: Dafür sitzen dann manchmal ganz unterschiedliche Leute im Publikum. Neulich so eine resolute polnische Rentnerin, die zu motzen anfängt, weil sich ein junger Mann mit einer riesen Afro-Matte vor sie setzt. „Dit geht ja wohl gar nicht, seh ick ja nischt!“ und dann setzt er sich ganz verschämt in die letzte Reihe. Das passiert in anderen Theatern einfach nicht! So ein Publikum ist für uns ein großes Geschenk.

Mit „Arabboy“ und „ArabQueen“ habt ihr Stücke auf die Bühne gebracht, über die geschrieben wird, dass darin die Lebensrealität junger Migranten endlich eine Bühne gefunden hätte. Was wollt ihr mit euren Stücken erreichen?

Inka: Zum Volkstheater gehört, dass Menschen mit Migrationshintergrund mit ihren Geschichten genauso auf der Bühne ihren Platz haben, wie andere Leute auch. Es geht uns ja um Geschichten, die unmittelbar hier in Neukölln stattfinden, so wie in Güner Balcis Büchern „Arrabboy“ und „Arrabqueen“. Im Laufe der Produktion dieser Stücke haben wir einen Kollegen kennen gelernt, dessen Lebensgeschichte wir mit „Baba oder meine geraubtes Leben“ als dritten Teil dieser Reihe auf die Bühne bringen. Wenn diese Geschichten die Theaterarbeit so stark beeinflussen, dann fragt man sich, warum Menschen mit Migrationshintergrund im eigenen Leben so wenig vorkommen. Da trennen sich die Wege meistens schon in der Schule.

Stefanie: Statt eine politischen Antwort auf Integrationsfragen zu geben, wollen wir Geschichten erzählen und die Dinge so zeigen, wie sie nun mal sind – mit ihren guten, wie mit ihren schlechten Seiten.

Wie kommt so ein Stück auf die Bühne?

Stefanie: Das fängt meistens ein Jahr vorher an. Man überlegt sich, was man gern mal machen würde und schreibt einen Antrag, denn ohne Fördermittel können wir bis heute keine Theaterstücke produzieren. Wenn es dann Geld gibt, fangen wir an. Wir haben natürlich kein Ensemble, sondern arbeiten mit freien Schauspielern zusammen. Wir spielen auch keine fertigen Stücke, sondern entwickeln welche, zum Beispiel aus Buchvorlagen. Nach einem ersten Entwurf werden die Rollen besetzt und etwa sechs bis acht Wochen wird geprobt. Das Stück ist nicht vorher fertig, sondern verändert und entwickelt sich dann Szene für Szene im Arbeitsprozess. Das ist ein ständiges Hin und Her zwischen schreiben, ausprobieren und wieder um schmeißen.

Was wünscht ihr euch für die nächsten 5 Jahre?

Stefanie: Etwas, dass wir uns jedes Jahr wieder wünschen. Ein bisschen mehr finanzielle Sicherheit, was unsere Produktionen betrifft. Einfach mal für die nächsten zwei Jahre planen zu können, wäre nicht schlecht. Dann muss man nicht immer so Hauruck-Aktionen machen.

Inka: Ich wünsche mir weiter ein so gemischtes Publikum und mehr Mädchen mit Kopftuch, die von ihren Vätern ins Theater gelassen werden und sich die Stücke dann auch bis zum Schluss angucken dürfen. Und dass sich auch die Leute, die bisher noch skeptisch waren, nach Neukölln trauen. Es tut nicht weh!

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