Text: Irina Marjell, Collage: Katrin Friedmann & Vanessa Janeta
Weihnachten
Vor gut sieben Jahren begann meine Oma davon zu sprechen, dass sie das nächste Weihnachten nicht mehr erleben werde. Diese Behauptung nahm sie zum Anlass, sich vorab von einigen Habseligkeiten zu trennen, für die es sogleich neue Besitzer zu bestimmen galt. Keks-Ausstechförmchen, kitschiger Weihnachtsschmuck und weiterer Nippes, den ich mich nicht abzulehnen getraut habe, wechselten so in meinen Besitz über. Darunter auch ihre berühmten, selbstverzierten Tannenzapfen.
Für diese hatte man als Kind, beispielsweise nach dem Verzehr eines Schokoladen-Weihnachtsmannes, das bunte Silberpapier an meine Oma zu übergeben. Die formte zunächst kleine Kügelchen aus Zeitungspapier, die sie dann mit dem Silberpapier ummantelte. Die fertigen Kugeln wurden dann in die Aussparungen des Tannenzapfens geklebt. Alles in allem eine eher mühevolle Arbeit, die jedoch eine wirklich ansehnliche Weihnachtsdekoration zum Resultat hatte. Ich empfehle Jedem, der einmal zu viel Zeit hat, die Nachahmung.
Trotz zahlreicher Gebrechen wird meine Oma nun dieses Jahr bereits 95 und steht seit sieben Jahren an Weihnachten nahezu ohne jegliche Utensilien da, was sie jedoch nicht besonders zu stören scheint. Vielleicht freut sie sich insgeheim, dass sie den Krempel endlich los ist.
Kleidung aus vergangenen Zeiten
Im Internet erwerbe ich gerne für wenige Euro schöne Kleidung aus vergangenen Zeiten. Einige dieser neuen alten Kleider lassen meine Oma in eine Art Glückszustand verfallen. Eifrig prüft sie dann den Stoff zwischen den Fingern, stellt Überlegungen zur Materialzusammensetzung an und schenkt meinem Kleidungsstück für eine Weile mehr Aufmerksamkeit als mir selbst. Der Grund für ihre Freude: Die gute Qualität der Kleidung.
Meine Oma trägt fast ausschließlich Selbstgemachtes, neudeutsch: Do-it-yourself-Mode. Ihre Röcke sind selbstgenäht, die Pullover aus farbenfroher Wolle selbst gestrickt. Früher suchte sie dafür öfter die Stoff- und Kurzwarenabteilung von Karstadt am Hermannplatz auf. In ihrer Sparsamkeit entschied sie sich auch für Stoffe, die wegen ihrer wenig dem Mainstream entsprechenden Farbgebung wohl als schwer verkäuflich galten und daher schnell reduziert wurden. Und so nähte sich meine Oma einmal einen Rock, dessen Farbe sie selbst sehr treffend als „kackbraun“ bezeichnete. Meine Oma störte sich selbstverständlich nie daran. Den Rock besitzt sie noch heute, Jahrzehnte später. Er ist eben von jener Qualität, die Oma-Herzen höher schlagen lässt. Ich finde das schön.
Der dritte Teil in unserer Reihe Geschichten über Oma ist am 13. Dezember 2014 erstmals auf neukoellner.net erschienen.