„Die Stimmen gehören mir!“

Eine fremde Stimme im Kopf, die ständig etwas flüstert – für viele eine Horrorvorstellung. Dass Stimmen auch positiv sein können, erfuhren wir auf einem Kongress im Neuköllner Rathaus.

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Montag, 24. Oktober 2011

„Die Stimmen in meinem Kopf gehören mir!“, lässt die Dame am Rednerpult in Anlehnung an den bekannten Ausruf der Abtreibungsbefürworter in den siebziger Jahren zur Begrüßung verlauten. Ich bin irritiert. Warum diese Kampfansage? Und was soll das überhaupt bedeuten – wer wünscht sich schon, Stimmen zu hören und wer sollte sie denjenigen wegnehmen bzw. darüber verfügen wollen? Ich sitze auf einem Stuhl an der Wand des BVV-Saales im Rathaus Neukölln. Zum achten Mal findet hier der Trialogische Stimmenhörerkongress statt – und ich bin jetzt erst einmal sehr skeptisch. Meine Skepsis wird weiter genährt als ich im Programmflyer des Kongresses lese, dass Stimmenhören als „weit verbreitetes Phänomen mit durchaus vernünftigen Botschaften“ beschrieben wird.

Aus der gesamten Republik und dem deutschsprachigen Ausland sind die Teilnehmer angereist. Der Kongress beginnt nach der offiziellen Begrüßung mit einer Podiumsdiskussion der „Experten durch Erfahrung“, also Betroffenen des Stimmenhörens. Das sind Menschen beinahe jeden Alters, deren Alltag davon geprägt ist, dass sie permanent oder zumindest über lange Phasen hinweg eine oder mehrere Stimmen hören, die nur in ihrem Kopf existieren. Sie alle sprechen mit überwältigender Offenheit über ihre Erlebnisse und den Inhalt der auditiven Halluzinationen. In den nächsten Stunden beginne ich zu verstehen, welche Bedeutung der eingangs zitierte Satz für die Menschen hier hat.

Gute und böse Stimmen kämpfen nachts um Vorherrschaft

Da ist zum Beispiel Karin Römer – eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die schüchtern vor das Mikrofon tritt. Ihre Geschichte hat sie zuvor ausformuliert. Halb lesend, halb erzählend erklärt sie dem Publikum, dass sie seit Mitte der neunziger Jahre Stimmen höre und schon beim ersten Zusammenkommen Betroffener 1997 in Hamburg dabei gewesen sei. Aber von alleine habe sie sich das nicht getraut, sagt sie, viel zu schüchtern sei sie dazu gewesen. Ihre Mutter habe sie zu der Teilnahme an dem Treffen vor vierzehn Jahren überredet, wofür sie ihr heute dankbar sei. Mit einem verlegenen Lächeln geht sie zurück zu ihrem Platz direkt neben mir.

Nach ihr spricht Rolf Fahrenkrog-Petersen, Schüchternheit kennt der 49-jährige nicht. Er ist Schauspieler, er liebt das Publikum. Lässig an das Rednerpult gelehnt, erzählt er in leidenschaftlichen Worten von guten und bösen Stimmen, die in seinem Kopf nachts um die Vorherrschaft gekämpft hätten. Die Bösen haben gewonnen und „soufflierten“ ihm nun permanent ins Ohr . So wie er das erzählt – mit viel Gestik und Theatralik – bekommt man das Gefühl, er spiele dort vorne Faust oder Hamlet. Der Vortrag erntet Applaus. Aus dem Publikum kommt die Frage, ob er jemals Psychopharmaka genommen habe. Fahrenkrog-Petersen erzählt von Aufenthalten in der Psychatrie bei denen er mit „allem was der Markt hergab, vollgedröhnt“ wurde und dass er nun in Einverständnis mit seiner Therapeutin darauf verzichtet: „DIE Nebenwirkungen will wirklich keiner.“

Dr. Monika Hoffmann, Vorstand von Netzwerk Stimmenhören e.V.

Dr. Monika Hoffmann, Vorstand von Netzwerk Stimmenhören e.V

Die Worte Krankheit, Behandlung und Medikation in Zusammenhang mit auditiven Halluzinationen hört Dr. Monika Hoffmann nicht gerne. Sie ist Vorstandsvorsitzende des in Neukölln ansässigen Vereins Netzwerk Stimmenhören. In ihrer Einführungsrede betont sie, dass Studien zufolge, die Mehrheit der Betroffenen das Stimmenhören nicht als belastend empfinde und sogar nur ungern auf sie verzichten würde. Alle anderen seien nicht krank, sondern haben lediglich ein „Problem“, das es zu lösen gilt. Die Lösung liegt für Hoffmann nicht in der Behandlung mit Psychopharmaka, sondern im richtigen Umgang des Betroffenen mit seinen Stimmen. Er solle nicht versuchen, sie loszuwerden, sondern sie in den Alltag integrieren, ihnen zuhören und ihre Botschaften verstehen lernen. Denn das Auftreten der Stimmen und dessen, was sie berichten stehe in Verbindung mit der Lebenssituation der Betroffenen und liefere wichtige Informationen über ihn.

Ein durchaus unterstützenswerter Ansatz, der sicherlich etliche Betroffene vor der Stigmatisierung als „Verrückte“ bewahrt, aber er stößt dort an seine Grenzen, wo die Stimmen den Betroffenen demütigen oder ihn sogar zur Fremd- bzw. Selbstverletzung auffordern. Eine der Anwesenden berichtet von einer Frau, deren Stimme ihr befohlen habe, Kinder auf dem nahe gelegenen Spielplatz umzubringen. Glücklicherweise habe die Frau die Stimme als Halluzination erkannt und sich selbst in die Psychatrie eingewiesen. Doch alleine zu erkennen, ob eine Stimme nur im eigenen Kopf existiert oder ganz real ist, fällt den meisten Betroffenen schwer und es braucht lange Zeit, bis sie diese als „fiktiv“ erkennen können. Bis dahin glauben viele, sie würden ihre Nachbarn reden hören oder Vorbeigehende würden ihnen etwas zuflüstern.

Woher kommen die Stimmen?

Aber woher kommen diese Stimmen überhaupt? Welche Ursachen gibt es? Auf diese Fragen gibt es keine allgemeingültige Antwort. Fakt ist jedoch, dass es unter den Stimmenhörern einen überproportional hohen Anteil von Menschen gibt, die Opfer sexuellen Missbrauchs wurden oder unerwartet einen geliebten Menschen verloren haben. Zweite hören dann häufig die Stimme des Verstorbenen, wohingegen Missbrauchsopfer oftmals die drohende Stimme des Täters hören. Somit können die Stimmen je nach Fall als belastend aber auch als helfend wahrgenommen werden.

Der Broschüre Das Nest stellt sich vor, die ich mir am Eingang einstecke, entnehme ich, dass drei bis fünf Prozent aller Menschen Stimmen hören und unter anderem berühmte Persönlichkeiten wie Robert Schumann, Virginia Woolf, Lessing, Hildegard von Bingen, Jesus, Jeanne d’Arc und Andy Warhol Stimmenhörer waren. Der Name Jesus Christus klingt dabei allerdings nicht gerade nach fundierter Wissenschaft.

Im Vorraum gibt es einen Stand des Antipsychatrieverlages. „Bei uns finden Sie, was Ihnen andernorts vorenthalten wird“, heißt es auf der Homepage des Verlags. Die öffentliche Diskussion von Psychosen jeglicher Art sei bis in die achtziger Jahre hinein völlig von den Meinungen und Ansichten der Psychologen und Therapeuten dominiert worden, beklagt Dr. Monika Hoffmann. Das NeSt arbeitet nun kräftig daran, dass die Betroffenen mehr Beachtung finden. Der Kongress, der ihnen die Möglichkeit zu Expertendiskussionen auf Augenhöhe bietet, zeigt wie fruchtbar diese Arbeit bisher war und wie sehr sie zu einem selbstbestimmten Leben mit den Stimmen beiträgt, die man zwar akzeptieren, aber von denen man sich nicht beherrschen lassen muss.

 

NeSt e.V.
Uthmannstraße 5
12043 Berlin
Tel.: 030 78 71 80 68
e-mail: stimmenhoeren@gmx.de

Kommentare:

  • SS sagt:

    Ich höre auch Stimmen, meistens beim Sex, aber auch schon beim Küssen sind sie da. Sie sind nicht aufdringlich, aber doch irgendwie vereinahmend. Wenn ich die Augen schließe kann ich mich ihnen manchmal auch völlig hingeben. Kurz, aber es geht. Irgendwie ist das schön, aber auch ein bisschen beängstigend. Denn wenn ich sie verdrängen will, werden sie eigentlich nur noch stärker. Das beste Mittel dagegen ist mich in Ekstase zu vögeln, dann ist da nur noch das Gefühl das einst gewesen ist, aber die Stimmen verstummen langsam.

    In Memory…

    SS

  • bernd sagt:

    Ein Interessanter Bericht über die Stimmenhörer, obgleich etwas ein-dimensional, denn es scheint wohl nicht in Betracht gezogen zu werden, dass Telepathie wohl auch eine Form des Stimmenhörens ist.
    Besonders in einem computer-technisiertem Zeitalter, in dem über elektro-magnetische Frequenzen so einiges machbar geworden ist und subliminale Wahrnehmungen mehr und mehr erforscht und garantiert auch an Nicht-Wissenden ausgetestet wird, um gewisse Test-Ergebnisse nicht zu verfälschen.
    In vielen Fällen darf man wohl in Schlaflaboren und auch an der BTU nachhaken in wie weit Stimmenhörer psychisch angeknackst sind und was es mit den Stimmen tatsächlich auf sich hat.
    Betroffene berichten häufig von Gemeinsamkeiten in ihren gedanklichen Dialogen mit den Stimmen, z.B. dass die „Stimmen“ meist im Plural von sich selbst reden.
    Stimmenhörer sollten also keinesfalls die Flinte ins Korn werfen und versuchen sich mit den lästigen Stimmen zu arrangieren, sondern weiterhin versuchen dem auf den Grund zu gehen, auf die Spur zu kommen
    Selbsthilfegruppen können helfen sich zu verbünden und sich durch den Erfahrungs-Austausch mit anderen Stimmenhörern gemeinschaftlich daran machen die „Stimmen“ aufzuspüren und das Geheimnis aufzudecken, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich hinter den Stimmen echte Menschen aus Fleisch und Blut verbergen ist deutlich grösser, als Psychologen und Therapeuten uns glauben machen wollen.
    Wenn Sie also selbst Stimmenhörer sind, so lassen Sie sich nicht ins Boxhorn jagen, sondern schliessen Sie sich einer Selbsthilfegruppe an und konfrontieren Sie Ihre parapsychologische Fähigkeit mit „Leidensgenossen“, umso schneller wird auch die Polizei in der Lage sein dem Hokus Pokus auf die Schliche zu kommen und zu Ihren Gunsten aufzuklären.

  • gudrun sahlender-wulf sagt:

    Liebe Monika – wir kennen uns aus Ahlhorn und ich versuche gerade über Marianne Dich zu erreichen. Habe eine wichtige Frage und grüße Dich ganz herzlich. u.A.w.g.

    Lieben Gruß

    Gudrun aus Oldenburg

  • Egzon sagt:

    HALLO,

    Ich DANKE DEM ALLMÄCHTIGEN DAS ICH DAS HIER GEFUNDEN HABE!!
    Ich höre seit etwa knapp 5 jahren permament stimmen im kopf.. Ich habe gedacht nur ich kann dass .. Eure berichten zufolge habt ihr das auch, ich bin errleichtert!!
    Ich kann entlich verstehen was diese Stimme ist jedenfalls. Danke euch und pflegt die stimme im kopf anstaht sie versuchen zu erdrücken, sie gehört nur euch!! Peacceer meine lieben leser !