Ankommen?

„Sie werden schon noch Stress bekommen.“ – Eine neu in den Schillerkiez Zugezogene beschreibt die Dreistigkeiten des Wohnungsmarktes und die Schwierigkeit, ein Gefühl von Zuhause und Sicherheit aufzubauen.

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Mittwoch, 19. Dezember 2012

Text: Helene Süss (Name geändert), Fotos: Max Büch

Insbesondere aus familiären Gründen war ich an Berlin als geschichtsträchtiger Stadt interessiert: ein Teil meiner Familie hatte in der DDR gelebt, und alles, was ich damit verband, waren die Pakete mit Kaffee und Schokolade, die meine Großeltern regelmäßig rüber schickten. Mit Begeisterung und Neugier bin ich dann vor 12 Jahren nach Berlin gezogen und suchte mir aufgrund der Fahrraddistanz zu meiner Hochschule in Weißensee eine Wohnung am damals noch verhältnismäßig vielfältigen Prenzlauer Berg. Aufgrund der sich kontinuierlich verbreitenden Monokultur wurde die Ähnlichkeit zu der Welt, die ich bewusst zurückgelassen hatte, immer unerträglicher. Ich habe regelmäßig nach Alternativen gesucht und nichts gefunden – schlechte Lage, teuer, laut. Berliner Wohnraum war begehrt, und meine Wohnung im Vergleich inzwischen derartig günstig, dass ich blieb.

Dann sind meine Großeltern gestorben und ich war auf einmal in der Lage, eine Wohnung zu kaufen. Das hatte natürlich mehrere Seiten: Traurigkeit über den Verlust; ein Betrag, den man selbst nie verdienen könnte; und die Unerfahrenheit einer Person, die sich noch nie für Geld interessiert hat. Als Kreative habe ich an der Existenzkante rumgekrebst, von Kneipenjobs über kurzfristige Projekte war alles dabei, überwiegend schlecht bezahlt. Das Übliche eben. Nun also der Segen. Rasch gefolgt von Ernüchterung über die horrenden Preise in der Stadt und die absurden Machenschaften der profitorientierten Immobilienhaie. „Friss oder stirb“ war die Devise und das auch am Besten innerhalb von 24 Stunden, sonst gab es nichts mehr zu entscheiden. Die Horden stehen Schlange um ihr Geld loszuwerden und sie sind zu mehr bereit als man mit gesundem Menschenverstand nachvollziehen kann. Euro-Panik, Wirtschaftskrise, schnell noch die Schäfchen ins Trockene bringen.

Dreistigkeiten des Wohnungsmarktes

In Anbetracht der steigenden Preise war der Schritt für mich trotzdem plausibel, da mir in meiner alten Wohnung auch jeden Tag die Mieterhöhung hätte bevorstehen können. Der Großteil meiner Freunde lebt in Kreuzberg und Neukölln, ich habe einen Hund, der sich über große Grünflächen freut, da fiel die Wahl nicht schwer. Nur gab es wenig Angebot in Neukölln, erstaunlicherweise. Irgendwann bekam ich ein Angebot der Firma Ziegert. Es klang gut, ich reservierte ungesehen und bereits 12 Stunden später wurden die Preise angehoben. Das war nur der Anfang der Dreistigkeiten auf einem Markt, wo die Nachfrage das Angebot übersteigt.

Im Großen und Ganzen hatte ich es noch nie so schwer, ein Gefühl von Zuhause und Sicherheit aufzubauen, Foto: Max Büch

Da mir die Wohnung gut gefiel und ich nach Monaten der Suche auch endlich eine Entscheidung treffen wollte, sagte ich zu, nicht ahnend, was es mit dem Haus und dem Schillerkiez auf sich hatte. Bereits bei der Übergabe wurde ich konfrontiert: „Das hätten Sie nicht tun sollen, Sie werden schon noch Stress bekommen.“ Darauf folgten zahllose Schmierereien im Hausflur. Ich fühlte mich wie gelähmt, konnte ich doch die Angst der Leute, die hinter dieser Aggression stand, nachvollziehen. Was da stattfand seitens der Makler und Investoren war unter aller Kanone. Ich hörte Geschichten über deren Geschäftsgebahren, wie sie die Bewohner des Hauses je nach deren Wissen mit mehr, weniger oder gar keiner Abfindung abspeisten, Hauptsache sie zogen aus. Ein paar blieben und das finde ich toll, auch wenn ich deren „Feindbild“ bin.

Sich mit Offenheit begegnen und voneinander lernen

Im Großen und Ganzen hatte ich es noch nie so schwer, ein Gefühl von Zuhause und Sicherheit aufzubauen. Nicht dazu zu gehören oder Außenseiter zu sein ist eine Sache, Angst suggeriert zu bekommen eine Andere. Um aus diesem Gefühl heraustreten zu können beschloss ich, eine Initiative zu gründen. Mit Fragen wie „Was können wir tun, um gemeinsam den Wandel mitzugestalten, anstatt ihm einfach nur ausgeliefert zu sein?“, „Wer braucht was im Kiez und wer kann was anbieten?“ oder „Wie können wir uns begegnen und mit Offenheit und Interesse voneinander lernen?“ wurde SharingTheCity ins Leben gerufen. Das Schillerpalais hat uns für die bisherigen Treffen Obdach gewährt. In Zukunft würden wir gerne jedes Mal an einem anderen Ort sein, um die Vielfalt des Kiezes kennenzulernen.

Als ich Anfang November die Flyer für unser Suppentreffen verteilte, bin ich durch viele Läden, Kneipen und Initiativen spaziert und dabei durchweg auf offene, interessierte, freundliche und zugewandte Menschen getroffen. Ein wunderbarer Nachmittag, der mir viel Hoffnung für das Projekt und das menschliche Potential macht. Egal, welche Sprache man spricht, an welchen Gott man glaubt oder welche Partei man wählt – dieser Nachmittag hat mir das Gefühl gegeben, dass wir gemeinsam eine Kraft haben, die sich mühelos gegen Worthülsen wie Gentrifizierung wehren kann. Ohne wirklich zu wissen, was ich da tue als Zugezogene in einem alteingesessenen Kiez glaube ich, dass wir durch das Zusammentragen und Kommunizieren von Erfahrungen, Ideen, Kompetenzen und Bedürfnissen ein Netzwerk schaffen können, das in der Lage ist, sich selbst zu versorgen. Zumindest ist das meine naive Hoffnung und ich freue mich auf konstruktive Kritik. Man kann nur Ausprobieren in einer Zeit, in der alte Regeln sich auflösen und neue Strategien erst auf ihre Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit erprobt werden müssen.

Dieser Text ist in der Dezember-/Januarausgabe der Schillerkiezzeitung „Promenadenmischung“ erschienen.

Mehr zum Thema: Die andere Seite – Weggehen? Wenn das eigene zu Hause verkauft wird.

Kommentare:

  • Simon sagt:

    Herrlich naiv!

  • Simone sagt:

    Unglaublich ignorant. Da hat jemand Geld geerbt und weiß nichts Besseres damit anzufangen als ungesehen (!!!) eine Wohnung zu kaufen – in einer Gegend, die vorher nicht betreten wurde?! Es könnte ja eine Mieterhöhung drohen, also schnell jemand anderen aus seiner Wohnung gedrängt. Und dann Verständnis suchen, eine Ini gründen… Wow, das ist nicht zu toppen. Soll das Gentrifizierung mit Herz sein?