Seien wir mal ehrlich: Es war schon mal schöner da draußen. Damals, als ab und zu noch die Sonne schien, zarte Schäfchenwolken am Himmel entlang wanderten und ein Spaziergang durch Neuköllns Straßen keinem Hindernisparcours durch Matsch- und Hundehaufen glich. Passend zu den apokalyptischen Witterungsbedingungen soll morgen auch noch die Welt untergehen.
All denjenigen, die daran nicht glauben und weiter auf hellere Tage hoffen, sei an dieser Stelle empfohlen, bis zum Sommer das einzig Sinnvolle zu tun: Lesen. Denn Bücher gibt es in Neukölln genug, auch fernab der Hugendubel-Filiale im Karstadt am Hermannplatz. Im Umkreis von nur wenigen Kilometern haben sich in den letzten Jahren eine Reihe von gemütlichen Bücherstuben angesiedelt, die sich standhaft gegen die Konkurrenz von großen Buchhandelsketten und Internetanbietern behaupten: mit viel Liebe zum Detail, mit Mut zur Nische und der Leidenschaft für das gedruckte Wort. Ihre sorgfältig bestückten Schaufenster bringen Licht ins Dunkel der Wintertage und machen Lust auf ausgedehnte Leseabende.
Wir haben für euch die schönsten Läden aufgesucht, mit den Eigentümern durch die Seiten geblättert und Buchempfehlungen gesammelt.
1. Station: Stadtlichter, Bürknerstraße 1
Seit Oktober 2010 gibt es diese kleine, aber feine Buchhandlung in der Nähe des Kanals. Den Standort an der Grenze zu Kreuzberg haben die Eigentümer Julie und Philipp damals gezielt ausgesucht, „um eine Lücke zu füllen“, wie sie erzählen – in der Gegend gab es vor zwei Jahren noch keine Buchläden. Inzwischen ist „Stadtlichter“ ein fester Anlaufpunkt für alle Buchbegeisterten aus dem Reuterkiez, nicht nur wegen dem Sortiment, das neben belletristischen Büchern auch Publikationen aus kleinen Verlagen umfasst, sondern auch wegen den regelmäßig stattfindenden Lesungen. So war hier zum Beispiel Clemens Meyer zu Gast.
Die „Stadtlichter“ – Empfehlungen:
„Das Phantom des Alexander Wolf“ von Gaito Gasdanow
Begründung: viele verschiedene Genres in einem Buch, stimmungsvoll, sehr guter Stil, Liebe, Abenteuer
„Die Abschaffung des Zufalls“ von Patrick McGuinness
Begründung: Humor, Spannung, Politik, Geschichte, gute Sprache
2. Station: Die Buchkönigin, Hobrechtstraße 65
Ungefähr zeitgleich zu „Stadtlichter“, eröffnete 2010 auch „Die Buchkönigin“ ihre Pforten. Geführt wird sie von der ausgebildeten Buchhändlerin Nina und von der Literaturwissenschaftlerin Hannah, deren Mutter ein Antiquariat besaß. Das Sortiment der „Buchkönigin“ umfasst alles, was die beiden auch selbst mögen. Neben Romanen sind das zum Beispiel Kinder- und Fahrradbücher, Graphic Novels und Gedichtbände. Im hinteren Teil des Laden findet sich außerdem eine größere Auswahl an antiquarischen Publikationen. Absoluter Hingucker ist neben den tollen Büchern eine riesige Hirschkuh, die passend zum Namen der Buchhandlung eine Krone trägt.
Die „Buchkönigin“ – Empfehlungen:
„Rosali Blum“ von Camille Jourdy (Graphic Novel)
Begründung: tolle Zeichnungen, tiefsinnig, viele schöne Ideen
„Bescheidene Helden. Trägerinnen und Träger des alternativen Novelpreises“, von Jakob von Uexküll, Wendy Watriss und Katarina Mouratidi
Begründung: schön gestalteter Bildband über kleine Menschen, die die Welt bewegen, sehr berührende und inspirierende Geschichten
3. Station: Buchbund, Sanderstraße 8
Nina und Marcin führen den „Buchbund“ seit gut einem Jahr. Die Liebe zu Büchern wurde Nina in die Wiege gelegt: Ihr Großvater war Durckereibesitzer und Verleger. Marcin wurde in Polen geboren und hat dort in einer amerikanischen Buchhandlung gearbeitet. In Berlin besetzt das Paar mit ihrer deutsch-polnischen Buchhandlung eine absolute Nische. Im Sortiment finden sich ausschließlich Romane und Sachbücher auf polnisch, aber auch deutsche Bücher mit einem Bezug zu Polen. Im hinteren Teil des Ladens gibt es ein kleines und sehr gemütliches Café, das Raum bietet für Podiumsdiskussionen, Lesungen und Buchclub-Treffen.
Die „Buchbund“ – Empfehlungen:
„Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen“ von Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu
Begründung: erzählt, was es bedeutet hier mit nicht-deutschem Hintergrund aufzuwachsen, sehr anschaulich, persönlich und berührend
„Kosmos“ von Witold Gombrowicz
Begründung: Gombrowicz erzählt vom polnisch sein, vom Mensch sein, von der Universalität des Lebens, er stellt auf sarkastische und zynische Art Fragen, die uns alle angehen
4. Station: Die Biografische Bibliothek, Richardstraße 104
Ein hell erleuchtetes Schaufenster lädt in das kleine und sehenswerte Lesereich von Katinka im Richardkiez ein. Seit 7 Jahren sammelt die gelernte Lehrerin hier alles Lesenswerte rund um Biographien, Memoiren, Tagebücher und Briefwechsel. Passend zum Schwerpunkt, sind die Bücher nicht nach Sachgebieten, sondern nach Personen geordnet. Auch seltene, längst vergriffene Exemplare kann die leidenschaftliche Bücherjägerin besorgen. Nebenbei arbeitet sie noch ehrenamtlich in der Galerie Olga Benario, die gleich nebenan ist und bereichert mit ihrem Engagement maßgeblich die Richardstraße.
„Die Biografische Bibliothek“ – Empfehlung:
„Guck mal, schielt ja! Manuskripte aus dem Katastrophenkoffer“ von Ortrud Beginnen
Begründung: eine der witzigsten Autobiographien von einer Kabarettistin, die sehr selbstironisch war und absolut unterhaltsam schreibt
5. Station: Pequod Books, Selchower Straße 33
Benannt ist dieser – erst kürzlich eröffnete – Second Hand-Buchladen nach dem Schiff aus Melvilles Roman „Moby Dick“. Der spanisch-stämmige Eigentümer Álvaro liebt neben klassischer Literatur vor allem Sprachen und hat deshalb die „Pequod Books“ in Neukölln gegründet. Bis zur Decke reichen die Bücherregale, in denen Leseratten aus aller Welt in jedem Falle fündig werden. Insgesamt 25 Sprachen sind vertreten. Eine größere Auswahl von Büchern hat der gelernte Fotograf in 15 Sprachen vorrätig. Álvaro lebt seit 7 Jahren in Berlin und spricht neben seiner Muttersprache auch Englisch, Italienisch und natürlich Deutsch. Bücher, die er selbst nicht mag, zum Beispiel die Bestseller von Paulo Coelho, verkauft er auch nicht.
Die „Pequod Books“ – Empfehlung:
Sehr viele, u.A. „Madame Bovary“ von Gustave Flaubert, „Die Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust und der „Zauberberg“ von Thomas Mann
6. Station: „Antiquariat Jürgen Koch“, Schillerpromenade 2
Man muss schon genau hinschauen, um diesen gemütlichen Miniaturbuchladen im Schillerkiez nicht zu übersehen. Wer zum Buchhändler Jürgen möchte, muss zuerst durch die Weinhandlung Weinholdz, denn der Wein und die Bücher teilen sich quasi einen Laden. Seit Oktober dieses Jahres stapelt sich Antiquarisches in Regalen und in Buchtürmen bis zur Decke. Vorher war Jürgen, der seit 30 Jahren als Buchhändler arbeitet, Teil vom „Buchexil“, ein Buchladen in der Allerstraße, der inzwischen geschlossen hat. Sein Sortiment umfasst neben Publikationen aus den Bereichen Kunst und Fotografie, ein Konzentrat aller Sachgebiete, viele Lyrikbände und auch alte Grafiken.
Die „Antiquariat Jürgen Koch“ – Empfehlung:
„Ostafrikanische Gletscherfahrten. Forschungsreisen im Kilimandscharo-Gebiet“ von Dr. Hans Meyer aus dem Jahre 1890
Begründung: Jürgen hat sich selbst schon oft gewünscht dorthin zu reisen, erinnert an Hemingway-Erzählungen, wunderschöne Grafiken
Fotos: Katrin Friedmann
Kommentare:
Pamela Anderson’s autobiography is a must.
Hallo,
wollte mich nochmal für Euern netten beitrag bedanken und Euch zu meiner 50. Biografischen Lesung incl. Fete am 30.9. einladen.
Beste Grüße von Katinka
Ich bin ein alter Freund von Juergen Koch aus seiner Frankfurter Zeit. Hatte ihn leider aus den Augen verloren und vor Jahren Auf der Suche in Berlin nicht fuendig geworden. Bitte meine email-Adresse an Juergen vom Antiquariat weitergeben. Wuede mich freuen, wenn er sich melden wuerde. Gruss Helmut