„Öffentlichkeit ist der beste Schutz“

Mit dem Slogan „Kopf aus dem Sand“ laden Neuköllner Buchladen ab heute zu einer Veranstaltungsreihe gegen Rechtspopulismus. Wir haben mit dem Inhaber des „Leporello“ in Rudow über frühere Anschläge und eine aktive Zivilgesellschaft gesprochen.

Freitag, 28. September 2018

Heinz J. Ostermann ist ein Mann mit starken Nerven. In der Vergangenheit warfen Unbekannte nicht nur die Schaufensterscheiben seiner Buchhandlung Leporello in Rudow ein, sondern zündeten zweimal sein Auto an. Das alles geschah, nachdem sich der Buchhändler 2016 an einer Veranstaltungsreihe beteiligte, die sich kritisch mit Rechtspopulismus auseinandersetzte. Die Täter sind bis heute nicht gefunden, erste Ermittlungen wurden eingestellt. Und was macht Ostermann? Er trotzt den Einschüchterungsversuchen und beteiligt sich an der neuen Reihe der Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus: „Kopf aus dem Sand“.

Nk.net: Herr Ostermann, die Ermittlungen gegen den oder die Straftäter wurden gerade eingestellt. Wie geht es Ihnen damit?

Heinz J. Ostermann: Bei mir wurde „nur“ die Ermittlung hinsichtlich des zerstörten Fensters eingestellt, d.h. hinsichtlich der beiden Brandanschläge wird weiter ermittelt. Es gibt aber andere Brandanschlagsopfer, bei denen die Ermittlungen eingestellt wurden, obwohl vollkommen klar ist, dass es sich um rechtsmotivierte Straftaten handelt. Das ist natürlich ein absolutes Unding. Es entstehen Zweifel, dass hier mit allen Mitteln den Straftaten nachgegangen wird. Die Vorwürde haben sich da meines Erachtens primär an die zuständige Staatsanwaltschaft zu richten.

Wie hat sich Ihr Leben nach den Anschlägen verändert?

Ich bin wachsamer, passe mehr auf, checke auch Personen, die mir entgegenkommen intensiver ab. Es ist mir unangenehm, wenn jemand hinter mir läuft. Menschen, die mir nah stehen, sind ebenfalls verunsichert und beunruhigt. Das Auto stelle ich nicht mehr „einfach so“ ab. Meine Buchhandlung und auch mein Wohnsitz werden regelmäßig von der Polizei bestreift. Meine Veranstaltungen finden nun zu großen Teilen unter Polizeischutz statt. Es ist unglaublich.

Woher nehmen Sie die Kraft und den Mut, jetzt erneut an der Veranstaltungsreihe „Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus“ teilzunehmen?

Ich denke, den Kopf einziehen und warten bis alles vorbei ist, ist zumindest für mich die falsche Strategie. Ich denke, dass Öffentlichkeit der beste Schutz ist und ich muss sagen, dass meiner Geschichte auch viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Sicher auch deswegen, weil es sich bei meiner Buchhandlung um keinen linken Laden handelt, sondern diese ganz „normal“ daherkommt.

Warum sollte man die Veranstaltungsreihe besuchen? Was sind Ihre Highlights?

Weil hier viele wichtige Themen angesprochen werden. Der NSU, rechte Verlage, rechte Popmusik, der wachsende Antisemitismus, das Thema Flüchtlinge, usw. Das Highlight aus meiner Sicht ist die Eröffnungsveranstaltung bei mir am 28. September mit dem 94-jährigen Holocaustüberlebenden Walter Frankenstein. Die Veranstaltung ist schon längst ausgebucht, es wird immer noch nach Karten gefragt und die Buchhandlung wird aus den Nähten platzen.

Was können wir heute für die Demokratie tun?

Ich denke, dass wir erst mal erkennen müssen, dass unsere Demokratie wirklich in Gefahr ist und dass es an uns ist, für Ihren Erhalt zu streiten. Die Zivilgesellschaft ist gefordert aktiv zu werden. So habe ich etwa bei mir im Kiez den Anstoß zur Gründung der Initiative „Rudow empört sich!“ gegeben, und es macht wirklich auch Spaß etwas zusammen zu machen. In der Abschlussveranstaltung der Buchläden-Veranstaltungsreihe am 27. Oktober, werden die engagierten Initiativen Neuköllns über das Thema „Was tun?“ diskutieren. Wer dazukommt, erhält erst mal einen Eindruck, über das was sich in Neukölln tut und vielleicht gibt es ja dann eine Initiative, die einem oder einer zusagt und wo man gerne mitwirken möchte.

Welches Buch sollte man aktuell unbedingt lesen?

Mich hat in diesem Jahr insbesondere der Roman „Der Boxer“ von Szcepan Twardoch fasziniert. Der Boxer, das ist der Jude Jakub Shapiro, ein Vertrauter des Warschauer Unterweltpaten Kaplica. Shapiro ist ein Verbrecherheld der sich zwischen Gewalt, Eleganz und Laster bewegt. Twardoch führt mit seinem Buch in die zerrissene Warschauer Gesellschaft der 30er Jahre ein, in der rechte Putschisten den Hass auf die polnischen Juden schüren und Shapiro nach der Verhaftung Kaplicas in das Zentrum der Auseinandersetzungen gerät. Ein wirklich packender, actionreicher Roman mit harten Szenen – aber unbedingt lesenswert.

Alle Veranstaltungen der Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus: „Kopf aus dem Sand“ findet ihr HIER auf einen Blick.