Das Kapital hat gesiegt

Ein massives Polizeiaufgebot kurz vor dem Aufbrechen der Vordertür. Foto: Katharina Pencz

Die Betreiber des Kiezladens Friedel54 riefen zur Solidarität am „Tag X“ auf – dem Tag des letzten Widerstands gegen die drohende Zwangsräumung. Viele Menschen folgten dem Ruf. Doch Sitzblockaden, mit Seilen angebundene Aktivisten und zugemauerte Räumlichkeiten konnten das Unvermeidbare nicht verhindern. Die Kritik an der Vorgehensweise der Polizei überschattete am Ende die friedlichen Proteste.

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Freitag, 30. Juni 2017

Der ganz große Knall blieb aus, der Widerstand war letztlich zwecklos. Nachdem in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag noch friedlich in den Räumen und auf der Straße vor dem Kiezladen der Friedel54 demonstriert wurde, ist er seit kurz nach 13:00 Uhr am gestrigen Donnerstag Geschichte. Die Räumlichkeiten wurden mit Amtshilfe der Polizei dem Gerichtsvollzieher übergeben. Ein lang schwelender Konflikt geht somit zu Ende. Etwa 150 Menschen hatten per Sitzblockade versucht, den Polizeikräften den Weg in die Räumlichkeiten zu versperren. Insgesamt waren rund 500 Polizisten sowie einige Polizeihunde an der Räumungsaktion beteiligt.

Nachdem die Beteiligten der Blockade durch das Anti-Konflikt-Team der Polizei einige Male dazu aufgefordert wurden, den Hauseingang zu räumen, rückten schließlich die volluniformierten Truppen an. Als die Demonstranten daraufhin immer noch nicht auf die Anweisungen der Einsatzleitung hören wollten, schritten die Polizisten ein. Die dabei eingesetzten Mittel stehen jedoch teilweise in keinem Verhältnis zum Benehmen der Aktivisten. Denn diese waren, wie auch die Mehrheit der einigen Hundert Demonstranten hinter den Absperrungen, friedlich.

Warum wurde der Kiezladen geräumt?

Nachdem die Besitzer des Hauses, in denen sich der Kiezladen befand, einige Male gewechselt hatten, ging der Zuschlag für das Gebäude schlußendlich an die Luxemburgische Briefkastengesellschaft Pinehill S.a.r.l.. Versuche der Mietergemeinschaft, das Haus zu kaufen, scheiterten, trotz mündlicher Zusage des Vorbesitzers. Die Gespräche zwischen Vertretern der Bezirksregierung und dem neuen Besitzer führten ebenfalls zu keinem Ergebnis. Der Milieuschutz wurde im Reuterkiez erst kurz nach dem Verkauf des Hauses eingeführt. Schließlich einigten sich die Betreiber und die Vermieter darauf, dass der Kiezladen zum 31. März 2017 freiwillig geräumt werden sollte. Wir berichteten bereits vor einiger Zeit über die dubiosen Vorgänge.

Dass dies nicht passieren würde, war abzusehen. Zu wichtig erscheint der Kampf gegen Verdrängung und Gentrifizierung, dessen sich die Betreiber des Ladens angenommen hatten. Diese Problematik ist nicht neu in Neukölln, sie existiert seit rund zehn Jahren. Für die linke Szene war der Laden, der unter anderem als Veranstaltungsstätte, Volksküche und Mietrechtsberatung fungierte, mehr als nur ein Rückzugsort. Er steht symbolisch für die Verdrängung und Vertreibung von weniger betuchten Menschen. Aus diesem Grund war er nicht nur für die linken Aktivisten wichtig, sondern für ganz Neukölln, einem der ärmsten Bezirke Berlins.

Friedliche Demonstranten, teils aggressive Polizisten

Bei dem teils groben Vorgehen der Polizei soll es zu mindestens drei verletzten Demonstranten gekommen sein. Auf Nachfrage gab die Polizei drei leichtverletzte Beamte sowie einen festgenommenen Demonstranten an. In vorläufigen Gewahrsam wurden laut Betreibern des Kiezladens wohl mehrere Leute genommen – dafür gibt es jedoch, mit Ausnahme eines Tweets der Betreiber, keine Belege. Auf Twitter und anderen sozialen Kanälen wurden Videos hochgeladen, auf denen deutlich wird, dass ein wenig mehr Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Aktivisten angebracht gewesen wäre.

So bekam eine Frau, die von zwei Polizisten abgeführt wurde, von einem der Beamten unvermittelt einen Schlag ins Gesicht. Einen ersichtlichen Grund dafür gibt es nicht. Laut Zeugen gab es auch Rangeleien zwischen einigen Demonstranten, die sich hinter den Absperrungen befanden und Polizisten, die diese sicherten.

Unter anderem sollen Polizisten auch gegen sitzende Demonstranten an der Ecke Friedelstraße/Weserstraße vorgegangen sein. An der Ecke Friedelstraße/Lenaustraße kam es ebenfalls zu Auseinandersetzungen. Dies war auch die Ecke, in welche die Sitzblockadenteilnehmer abgeführt wurden. Der Unmut darüber war groß, Solidaritätsbekundungen und „Ihr seid nicht allein“ Sprechchöre gab es zuhauf.

Außerhalb der Absperrungen gab es auch einige verletzte Demonstranten. Ein unabhängiger Demonstrationsbeobachter und eine Passantin versuchen zu helfen. Ecke Frieldelstraße/Lenaustraße. Foto: Matthias Horn

 

Journalisten und Sanitäter an ihrer Arbeit gehindert

Wie mehrere Medien – unter anderem die B.Z. – berichten, wurden Journalisten und Fotografen von der Polizei teilweise daran gehindert, ihrer Arbeit nachzugehen. Von weggeschlagenen Kameras und weggeschubsten Berichterstattern war hier die Rede. Ein Video, das auf Twitter kursiert, bestätigt das. Ein weiteres Indiz ist die Aussage des Journalisten Thomas Kieschnick. „Es wird nicht zwischen Presse und Blockierern unterschieden“, gab er bei der B.Z. an.

Mitarbeiter vom Brand- und Notfallschutz der Berliner Feuerwehr, welche als Sanitäter vor Ort waren, berichteten von „massiver Gewalt“ und von „Unterbindung der ersten Hilfe“ seitens der Polizeibeamten. Das sei geschehen, obwohl die Einsatzleitung ihr Einverständnis für das Einschreiten der Sanitäter gegeben habe. Dies seien „massive Sanktionen“ gewesen, man habe die Sanitäter quasi aus dem abgesperrten Bereich „rausgeprügelt“. Eine unabhängige Beobachterin, die eine lila Warnweste trug, bestätigte dies. Sie sprach jedoch, in etwas abgeschwächter Form, von „agressiv rausgeschoben“.

Strom an einem Türknauf

Laut einem Tweet der Polizei Berlin war an einem Türknauf, der mitsamt dazugehöriger Tür zu den Räumlichkeiten des Kiezladens führte, Strom angeschlossen. Die Betreiber des Kizladens verneinten den Vorwurf. Auf Nachfrage gab die Polizei an, dass dies zutreffe. Der Kontakt mit der Stromquelle sei jedoch beim Öffnen der Tür abgerissen, sodass es nicht zu Verletzungen oder ähnlichem kam. Über die Art der Stromquelle konnte die Pressestelle der Polizei indes keine genauen Angaben machen – Starkstrom sei es jedoch nicht gewesen. Somit ist die Aussage, es handele sich um eine lebensgefährliche Situation, dann wohl doch ein wenig übertrieben. In den sozialen Medien griffen allerlei Wutbürger diesen Tweet auf, um den überwiegend linken Demonstranten übel nachzureden. Heute relativierte die Polizei ihre gestrige Aussage auf Twitter.

Zugemauerte Eingänge

Nachdem die Räumung der Sitzblockade ziemlich schnell voranschritt, sollten sich die Polizisten bei dem Versuch, in das Gebäude zu gelangen, vorerst die Zähne ausbeißen. Zuerst versagten die Motorsägen, mit deren Hilfe sie versuchen wollten, den Vordereingang des Gebäudes zu öffnen. Nachdem die zweite Motorsäge sowie ein Trennschleifer ihren Geist aufgegeben hatten, beschlossen die Gesetzeshüter, einen alternativen Zugang zu den Räumlichkeiten zu nutzen. Von Mauern einreißen war hier die Rede.

Im Laufe des Vormittags rückte ein schwerer Werkzeugwagen an, den die Polizei von den Kollegen aus Nordrhein-Westfalen angefordert hatte. Der Abgeordnete Haken Tas (Die Linke) wollte zunächst einen Statiker holen lassen, bevor die Polizei anfangen sollte, die Mauern einzureißen. Die Beamten ließen sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Durch welche der Türen sie nun genau in die Räumlichkeiten des Kiezladens vordringen konnten, ist nicht nachvollziebar. Draußen waren kurz vor Ende der Räumung Geräusche einer Flex zu hören. Tweets der Polizei zeigen, dass die Betreiber des Kiezladens bei ihrem Versuch, die Räumung zu verhindern, durchaus kreativ waren. So fanden die Beamten mit Beton und allerlei Gegenständen vermauerte Türen vor. Das durchbrechen dieser Türen dauerte etwa drei bis vier Stunden.

Weitere Sitzblockade im Hinterhof des Gebäudes

Im Hinterhof des Gebäudes fanden die Polizisten, nachdem sie die Vordertür durchbrochen hatten, noch einige Aktivisten vor, welche ebenfalls eine Sitzblockade bildeten. Einige von ihnen sollen sich mit Seilen festgebunden haben, um ihren Abtransport so schwierig wie möglich zu gestalten. Hier ist ebenfalls die Rede von massiver Polizeigewalt, wie einige Tweets anprangern. Das Gerücht, es habe dort eine ohnmächtige Person gegeben, ist ebenfalls im Umlauf. Dies lässt sich allerdings vorerst nicht unabhängig überprüfen.

Teurer Einsatz

Wie viel dieser Einsatz den Bezirk gekostet haben könnte, kann man nur vermuten. Die Tatsache, dass hier jedoch lieber Geld in eine sinnlose Polizei- und Räumungsaktion gesteckt wird, anstatt den Menschen in Neukölln zu helfen, in etwa durch das Ziehen des Vorverkaufsrechts, wirft Fragen auf, wobei es die Aufgabe der Vorgängerregierung gewesen wäre, sich der Sache anzunehmen. Das Antrittsversprechen des Rot-Rot-Grünen Senats, man wolle sich der Gentrifizierung und der dadurch entstehenden Verdrängung annehmen, waren in diesem Fall nichts als heiße Luft.

Abführung eines Teilnehmers der Sitzblockade. Foto: Emmanuele Contini

 

Die übrigen Mieter des Hauses zeigen ihre Solidarität mit dem Kiezladen. Foto: Emmanuele Contini

 

Teilweise waren mehrere Polizisten nötig, um Menschen fortzuschaffen. Foto: Emmanuele Contini

 

Aus der Traum. Der Kiezladen Friedel54 ist Geschichte. Foto: Emmanuele Contini

 

 
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Kommentare:

  • bla sagt:

    An der Wortwahl des Verfassers kann man ganz gut erkennen, dass in bestimmten Kreisen kein Unterschied zwischen „Aktivisten“ und „Journalisten“ besteht. Das ist kein Journalismus, sondern einseitige Meinung – manche nennen es heute Hetze.

    Und nein, die Proteste waren nicht friedlich. Sie waren nicht einmal gewaltfrei. Unterschied klar?

  • Matthias Horn sagt:

    An Ihrer Wortwahl kann man erkennen, dass Sie offenbar nicht vor Ort waren und die Geschehnisse in der Friedelstraße mit denen anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg zu verwechseln scheinen. Wo genau Sie hier Hetze rauslesen, vermag ich mir nicht zu erklären. Das im Artikel beschriebene gibt meine Sicht der Dinge wieder. Ich befand mich von Mitternacht an bis zum Ende der Räumung vor Ort. Hätten Sie den Artikel sorgfältig gelesen, wäre Ihnen bestimmt aufgefallen, dass dort die Rede von größtenteils friedlichen Aktivisten war.

    „Denn diese waren, wie auch die Mehrheit der einigen Hundert Demonstranten hinter den Absperrungen, friedlich“.

    Sollten Sie handfeste Beweise für Ihre Behauptung, die Demonstranten seien gewalttätig gewesen, vorlegen können, so wäre es mir eine Freude, diese in einem Edit mit einfließen zu lassen. Selbstverständlich ist mir der Unterschied zwischen „friedlich“ und „nicht einmal gewaltfrei“ bekannt. Ich zweifele allerdings daran, dass er Ihnen bekannt ist.

    Beste Grüße,

    der Autor.