Widerstand im Arbeiterbezirk

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Das Hakenkreuz kommt auf den Scheiterhaufen! Die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) aus Neukölln trifft sich zur Sommersonnenwende 1932 in den Gosener Bergen. (Foto: Museum Neukölln)

Ein Arzt organisiert Verstecke für jüdische Patientinnen, eine Angestellte aus der Allerstraße will ihren Mund nicht halten, Flugblätter segeln über die Sonnenallee: Der Neuköllner Widerstand gegen den Nationalsozialismus war vielfältig und absolut lebensgefährlich. Ein Einblick. (mehr …)

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Mittwoch, 4. Mai 2016

„Zur ärztlichen Behandlung ausschließlich von Juden berechtigt“, musste Dr. Benno Heller ab Herbst 1938 an seinem Praxisschild in der Braunauer Straße 13, heute Sonnenallee 13, schreiben. Und damit nicht genug: Zwangsweise musste er sich ‚Benno Israel Heller‘ nennen, die Bezeichnung ‚Arzt‘ durfte er nicht mehr führen, wurde von den Nazis zum ‚Krankenbehandler‘ herabgesetzt. Praktizieren konnte der jüdische Frauenarzt alleine deshalb noch, weil er in einer „Mischehe“ mit einer evangelischen Frau verheiratet war.

Der große Mann mit Dandy-Charme, der viele seiner Patientinnen mit Spitznamen bedachte, war ein beliebter Arzt. Bewusst hatte sich Heller mit Ehefrau Irmgard, die ihn als Krankenschwester unterstützte, 1929 im Arbeiterbezirk niedergelassen. Das Ehepaar hatte idealistische Ziele, war sozial eingestellt. Eine ehemalige Patientin schrieb über den Arzt: „Er hatte eine Kassenpraxis, hauptsächlich für arme Frauen. Und diese armen Frauen, die oft in unglückseliger wirtschaftlicher und sozialer Lage waren, wären vollends ins Unglück geraten, wenn sie nun auch noch im ungünstigsten Augenblick ein Kind bekommen hätten.“ Trotz Verbot führten die Hellers deshalb Abtreibungen durch. Wenn jemand nicht zahlen konnte, behandelten sie trotzdem.

Widerstand durch Schutz

Als Ende 1941 die ersten Deportationsbescheide verschickt wurden, begriff der Arzt schnell und redete vehement auf seine Patientinnen ein, diesen nicht arglos zu folgen. Schon bald begann das Ehepaar, systematisch Unterschlüpfe zu organisieren. Wochenweise vermittelten sie aktuelle Patientinnen an ehemalige, nicht-jüdische Patientinnen. Diese ließen die Frauen bei sich wohnen, weil sie den Hellers in Dankbarkeit verbunden waren oder im Gegenzug Gratis-Behandlungen bekamen. Auch die Praxis der Hellers diente tagsüber als Versteck: Die Frauen wurden als Haushaltshilfen und Praxisangestellte getarnt, unangemeldete Besucher fanden zwar einen regen Betrieb, aber nichts verdächtiges vor. Das Ehepaar nahm auch Kontakt zu einer Fälscherwerkstatt auf, die Blanko-Briefbögen mit Unterschrift und Dienstsiegel der Nazi-Behörden herstellte. So konnten Ausreisepapiere nach Bulgarien gefälscht werden. Wohl wissend, dass jede neue Verbindung, jeder Mitwisser Gefahr bedeutete und das das Risiko vergrößerte.

Am 23. Februar 1943 flog das Ehepaar schließlich auf: Benno Heller wurde verhaftet, denunziert von einer jüdischen Frau, der er kein Anschlussversteck bieten konnte. Aus Obdachlosigkeit wurde Wahnsinn, aus Wahnsinn die Selbstauslieferung an die Gestapo. Der Arzt wurde im Juni 1943 nach Auschwitz gebracht, wo er bis 1945 überlebte. Bevor das Konzentrationslager von der heranrückenden Sowjetarmee evakuiert wurde, trieb man Heller mit tausenden Häftlingen über Sachsenhausen vermutlich nach Schwarzheide. Auf den Todesmärschen verliert sich seine Spur. Seine Frau Irmgard war bereits am 15. September 1943 verstorben, ihr Herzleiden hatte sich nach der Verhaftung ihres Mannes verstärkt.

Die Stimme erheben

Während die Hellers unter Lebensgefahr ihre Patientinnen versteckten, sich ihr Widerstand durch den konkreten Schutz anderer ausdrückte, gab es auch andere Formen der Auflehnung und Gegenwehr. Jeder Widerstand beginnt mit einer abweichenden, nonkonformen Geisteshaltung und im Arbeiterbezirk gab es reichlich Nährboden für Gegner des faschistischen Systems, kam doch der erste Widerstand gegen die NS-Politik aus den Reihen der Gewerkschaften, Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten. In Protokollen, Tagesberichten und Urteilen der Geheimen Staatspolizei ist festgehalten, wie sich Menschen aus Neukölln dem Nationalsozialismus verbal entgegen stellten. Es bleibt fraglich, was sich genau zugetragen hat. Trotzdem bezeugen die Gestapo-Dokumente den verbalen, spontanen und impulsiven Widerstand in Neukölln. Hier einige Auszüge:

Die damals 23-Jährige Ilse Fietzke aus der Ossastraße wurde Ende März 1936 verhaftet, weil sie folgendes gesagt haben soll: „Wir haben 14 Jahre ohne Kanonen besser gelebt und sind während dieser Zeit nicht vom Ausland angegriffen worden. Was nützen uns Kanonen, die können wir nicht fressen.“ Weiteres über ihr Schicksal ist nicht bekannt. Der Fräser Herwarth Fuhrmann soll in einer Kneipe in der Nogatstraße im Jahr 1940 einem NSDAP-Mitglied auf sein Parteiabzeichen gezeigt und gesagt haben: „Das Ding da, das kannst du ruhig abmachen. Ich bin nämlich Kommunist, ich werde mal ein paar Freunde mitbringen, die genauso denken wie ich, und da stört uns das, wir sehen das nicht so gern.“ Er wurde zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Danach wurde er ins KZ Sachsenhausen gebracht, wo er bis zum 2. Mai 1945 inhaftiert blieb.

Die 41-Jährige Luise Girbig, die in einem Plättgeschäft in der Allerstraße arbeitete, wurde 1943 von einer Kundin denunziert, der gegenüber ihr gesagt haben soll: „Ich glaube den Leuten mehr als den Zeitungen und dem Rundfunk. Warum sollen wir uns alles gefallen lassen? Brauchen wir gar nicht. Warum sollen wir uns die Bomben auf den Kopf fallen lassen, wenn es denen da oben passt und die Fehler machen?“Auf die Frage der Kundin, ob sie denn lieber die Russen hier haben wolle, erwiderte sie: „Warum nicht, die Russen tun mir nichts, ich habe ihnen ja auch nichts getan.“ Sie kam für sechs Monate ins Gefängnis.

Parteien im Untergrund

Eine weniger impulsive, sondern organisierte und konspirative Form des Widerstands wählten viele ehemalige KPD- und SPD-Mitglieder nach dem Parteienverbot von 1933. Für die Parteien bedeutete Widerstand zunächst, ihre Strukturen aufrecht zu erhalten. In der SPD war der persönliche Zusammenhalt tragend, inoffiziell traf man sich in der Hufeisensiedlung oder im Milchgeschäft des ehemaligen Parteisekretärs Max Fechner. Bei der KPD bildeten Alfred Perl, Herbert Grasse und Alfred Schaefer zeitweilig die Leitung des Unterbezirks Neukölln-Treptow. Sie gaben Anweisungen der Bezirksleitung über Stadtteilgruppen an die Straßenzellen weiter, kassierten Beiträge, organisierten die Verteilung illegaler Schriften und waren Herausgeber der „Neuköllner Sturmfahne“. Hier wollten sie die Bevölkerung über die Lügen und Verbrechen der Nationalsozialisten aufklären. Schaefer besorgte das Material und schrieb viele Artikel. In einem Britzer Stundenhotel diktierte er einer Genossin die Texte, hergestellt wurde die Zeitung in einem Theater in der Klosterstraße. Ein Artikel aus der Sturmfahne Nummer 6, der Sonderausgabe zum 1. Mai 1934, fasst den organisierten KPD-Widerstand wie folgt zusammen:

Vor und zum 1. Mai wurden von uns tausend einzelne, zum Teil kleinere Aktionen durchgeführt. Sogar auf dem Tempelhofer Feld wurde von revolutionären Arbeitern kommunistisches Material vertrieben…Die Verteilung der Flugblätter erfolgte auf die unterschiedlichste Weise. In Neukölln wurden aus dem Ringbahnzug, der um 11 Uhr vormittags die Bahnunterführung Kaiser-Friedrich-Straße passiert, am Tage vor dem 1. Mai hunderte von Flugblättern abgeworfen. Zeit und Ort waren sehr gut gewählt. Um diese Zeit ist ein beständiges Kommen und Gehen von tausenden von Erwerbslosen auf dem Wege zur Sonnenallee. Die Flugblätter waren bald in den Händen der Arbeitslosen, die sie auf die Stempelstelle mitnahmen. Unter einer anderen Bahnunterführung der Strecke Kaiser Friedrich Straße – Bahnhof Neukölln hatten Arbeiter die Mainummer der Neuköllner Sturmfahne angeklebt, die von vielen Werktätigen gelesen wurde, bis Nazibanden, allerdings reichlich spät, die Zeitung wütend abrissen.

Der Widerstand in Neukölln war lebendig, vielfältig und mutig. Er reichte von der stillen Verweigerung bis zum äußersten Widerstand. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern: Egal ob in einer Kneipe in der Nogatstraße, auf dem Tempelhofer Feld oder am S-Bahnhof Sonnenallee.

Als Quelle wurde die Sammelmappe zur Ausstellung Widerstand in Neukölln 1933-45 verwendet. Auf den Seiten des Kulturamts finden sich auch Listen mit den Namen und Wohnorten der Widerstandskämpfer im Bezirk.

 
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Kommentare:

  • Margot Sahram sagt:

    ich bin Jahrgang 1937 und finde das alles sehr interessant. ich such Leute die mir sagen können aus welcher Richtung die Russen nach Neukölln kamen.