50 Jahre Wutzky in Gropiusstadt

Reges Treiben in der Passage in den 70er Jahren (Quelle: unbekannt)

Ladenzentrum Süd – so hieß das Wutzky als es im April 1968 eröffnet wurde. Wir haben uns mit einem Apotheker und einem Anwohner auf eine Zeitreise in die Geschichte der Einkaufspassage in Gropiusstadt begeben. (mehr …)

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Dienstag, 17. April 2018

Fangen wir mal an mit dem Namen: Wutzky. Klingt ein bisschen rätselhaft, irgendwie berlinerisch und eindeutig griffiger als „Ladenzentrum Süd“. Doch genauso schlicht hieß die Einkaufspassage in der südlichen Gropiusstadt, um die es hier geht, als sie am 9. April 1968 eröffnete. Fast genau 50 Jahre ist das jetzt also her. Der heutige Namensgeber, der Gewerkschafter, Genossenschaftler und Sozialdemokrat Emil Wutzky, liegt gar nicht weit von dort in einem Ehrengrab der Stadt Berlin auf dem Friedhof Rudow – unweit seines letzten Wohnhauses. Nach ihm wurde auch eine Allee und ein U-Bahnhof benannt, einer der Ausgänge führt inzwischen direkt ins Wutzky-Center.

Apotheke in zweiter Generation

Die Passage ist lang gezogen mit runden Spindelrampen zu den Parkdächern an beiden Enden. Von oben sieht das Gebäude ein bisschen aus wie eine Minigolfbahn mit Löchern auf beiden Seiten. In einem der Anbauten betreibt Nikolai Kupsch eine Apotheke in zweiter Generation. Sein Vater Stephan A. Kupsch war tatsächlich Erstbezieher, wenn auch zunächst dort, wo heute die Kühltheken von Aldi stehen. Außer ihm hat nur der Tabakladen so lange durchgehalten. Heute ist rechts neben der Wutzky-Apotheke der Herrenfriseur Arzum Coiffeur, gegenüber liegen T&T Textilien, Orthopädie-Technik S. Witte und die Handy-Experten Berlin.

Der Apotheker Nikolai Kupsch vor einem Werbeplakat für seine Apotheke im U-Bahnhof Wutzkyallee (Foto: Cara Wuchold)

Architektonisch ist vom ursprünglichen Ladenzentrum nicht mehr viel übrig geblieben. Kaum etwas erinnert noch an den ursprünglichen Entwurf des Berliner Architekten Hans Bandel. Die charakteristische Fassade – ein rot-grünes Rombenmuster, welches das Parkdeck verkleidete – ist wahrscheinlich bei der Grundsanierung in den 90er Jahren verschwunden. Da bekam das Wutzky auch eine Überdachung aus Glas. Davor soll es ein Taubenproblem gegeben haben, sagt Nikolai Kupsch, rasierter Kopf, Henriquatre Bart. Das Center ist ihm sehr vertraut. Der 47-Jährige trifft auf viele Bekannte beim Gang durch das Einkaufzentrum. Mit dem zweiten Umbau ab 2011 wurde das Wutzky dann zu einer geschlossenen Mall. Die Passagen sind enger geworden, dafür gibt es mehr Ladenfläche. Im kleinen Besprechungsraum der Apotheke ist eine Säule zu sehen, die eigentlich mal vor dem Geschäft lag.

Das „Bierstübchen“ als 1a-Männerhort

Auch der Rotraut-Richter-Platz davor hat sich verändert, nicht nur weil sich das Einkaufszentrum insgesamt vergrößert hat. Die hohe Stele – eine Metallskulptur des Künstlers und Architekten Peter Johannes Hölzinger – stand ursprünglich in der Mitte des Platzes. Nach dem zweiten Umbau lag sie lange eingehaust in einer Art Sarg längs im Gras. Im Jahr 2012 wurde sie dann leicht versetzt wieder aufgestellt, allerdings ohne das ursprüngliche Wasserspiel.

Eins vermisst Nikolai Kupsch im heutigen Wutzky ganz besonders: das „Bierstübchen“. „Das ist wirklich ein Träumchen gewesen, das war eine Institution. Die sind mittlerweile weggezogen, weil die Degewo meinte, dass so eine Eckkneipe keine Rechtfertigung mehr hat.“ Die Degewo ist die Genossenschaft, die das Wutzky seit der Eröffnung betreibt. „Das war einfach so schön, mit Terrasse zum Marktplatz raus, vis-à-vis vom Supermarkt, also der 1a-Männerhort.“

Christiane F. als 10-Jährige mit Dogge

Das Bierstübchen hieß vorher Präpel Eck, von präpeln, etwas Gutes essen. Das hat auch Hans-Georg Miethke noch gekannt. Er kam 1969 von Kreuzberg nach Gropiusstadt, und freute sich über das Wutzky. „Als ich hierher zog, war das natürlich toll. Es gab zwei Supermärkte und zwei Restaurants.“ Damals habe es noch „ordentliche Geschäfte“ gegeben, auch für Kleidung, später habe das dann nachgelassen. Wie das Image der Gropiusstadt insgesamt. Schuld daran sei auch die Reportage des „Stern“-Journalisten über Christiane F. gewesen, meint Miethke. „Der hat so getan, als ob der Uringeruch bis in die Innenstadt weht.“ Alle, die nie in Gropiusstadt gewesen waren, glaubten plötzlich zu wissen, wie es dort ist. Miethke hat Christiane F. als 10-Jährige öfter mit einer riesigen Dogge durch die Wohnsiedlung spazieren sehen. „Ich fand das unverantwortlich, die wär‘ ja gar nicht in der Lage gewesen, das Tier zu bändigen.“

Hans-Georg Miethke, 75 Jahre alter Pensionär, gehörte 1969 zu den ersten Bewohnern der Gropiusstadt. (Foto: „Trabanten“ / Daniel Seiffert)

Heute scheint die Gegend langsam wieder attraktiver zu werden, vielleicht nicht zuletzt wegen des Mietendrucks in den inneren Bezirken – obwohl auch dort draußen, schaut man auf die Wohnungsaushänge, keine Schnäppchenpreise zu bekommen sind. Allerdings gibt es ein paar Vorzüge wie Gesellschaftsräume, Gästewohnungen und die Möglichkeit, sich über seine Genossenschaft eine Sauna zu mieten: in der 29. Etage mit Blick über Berlin.

„Wir bekommen immer mehr jüngere Kundschaft“, beobachtet Nikolai Kupsch. „Zum einen ist das die zweite Generation, die hier wohnen bleibt, weil nach Mauerfall und allem ist das natürlich sehr attraktiv, weil man hier wirklich im Grünen wohnt“, so der Apotheker, der selbst aus Charlottenburg kommt. „Und die U7 bringt einen in die Stadt und nach Neukölln-Downtown ist es nicht wirklich weit. Aber man hat halt irgendwo dieses Gefühl – auch wenn man in einem Hochhaus wohnt –, dass man einfach auf den Acker guckt und die Möglichkeit hat, in fünf Minuten die Stadt zu verlassen.“

In dem Teil der Gropiusstadt, in dem Hans-Georg Miethke wohnt, wird nachverdichtet. 500 bis 1000 Wohnungen kommen dazu. Das macht ihn einerseits traurig, weil dadurch Grünflächen verloren gehen. Andererseits erhofft er sich dadurch eine Verjüngung der Bewohner und mehr Leben auf den Straßen. Und auch dem Wutzky-Center könnte es helfen. Das steht als „der kleine Bruder der Gropius-Passagen, aber der sehr kleine“, wie Miethke sagt, unter Konkurrenzdruck.

Die „Singende Socke“ auf dem Wochenmarkt

Darunter leidet auch der Markt auf dem Rotraut-Richter-Platz. Nikolai Kupsch kennt den Marktplaner, der mehrere Wochenmärkte in Berlin betreibt. „Das ist sein Sorgenkind und er will immer irgendwas machen.“ Am letzten Sonnabend im Monat versucht er es mit Livemusik. „Da hat er die ‚Singende Socke‘, den Sockenverkäufer, der super Rockmusik macht, und er wird wirklich ganz gut angenommen.“ Ende April steht Jumpin‘ Pete – so nennt sich die „Singende Socke“ etwas offizieller – zusammen mit den Berlin All-Stars auf dem Programm.

Bevölkerungszuwachs, Open-air-Konzerte und Sky-Sauna – da geht doch was in der südlichen Gropiusstadt! Fehlt nur noch die Rückkehr einer Kneipe ins Wutzky. Obwohl sich Hans-Georg Miethke nicht ganz sicher ist, ob sie sich halten könnte, denn das Attribut „Schlafstadt“ trage Gropiusstadt nicht ganz zu Unrecht. „Das Publikum sitzt abends vor dem Fernsehen und hat sein Sixpack zu stehen“, sagt er. Aber warten wir mal ab, ob die Trabantensiedlung ganz im Süden Neuköllns nicht langsam aber sicher sein altes Image abstreift – und erwacht.