Ein improvisierter Leichenschmaus

Impro_10_nManchmal würde man zu gerne dem Gespräch am Nachbartisch lauschen und fürchtet sich doch davor, dabei erwischt zu werden. Die Impro-Theatergruppe Notausgang macht Schluss mit dieser Peinlichkeit und serviert beim Abendessen Geschichten auf dem Silbertablett.

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Mittwoch, 1. April 2015

Text: Marina Strauß, Fotos: Notausgang Improtheater

Es ist ein trauriger Anlass, der die Vier an diesem Abend zusammenführt: Vater Peter hat nach langer Krankheit das Zeitliche gesegnet. Zum Leichenschmaus versammeln sich die drei Kinder Sarah, Philipp und Harald und Opa Joachim. Doch während sie trauern, sich ums Erbe streiten und Anekdoten von früher erzählen, werden sie von neugierigen Augenpaaren beobachtet. Die Impro-Theatergruppe Notausgang hat zum dritten Tischgespräch ins gemütliche Neuköllner Café „Rosi ich bin im Park“ geladen. Denn wer kennt das nicht: Manchmal würde man gerne dem Gespräch am Nachbartisch lauschen und hat doch viel Angst, dabei ertappt zu werden. Notausgang weiß um dieses Dilemma und serviert ein improvisiertes Gespräch, das die Gäste aktiv mitgestalten dürfen. Und während das Publikum das Geschehen an dem Tisch in der Mitte verfolgt und gleichzeitig das Bühnenbild darstellt, wird außerdem ein vegetarisches Drei-Gänge-Menü aufgetischt.

„Ein Leichenschmaus?“

Zu Beginn des Abends sammelt Moderatorin Anja Vorschläge aus dem Publikum. Jeder der vier Impro-Schauspieler soll zwei Vorgaben erfüllen – eine vor, die andere nach dem Hauptgang. „Ich brauche als erstes einen Beruf von euch“, sagt Anja. „Ofenbauer“, schalt es aus der Ecke des Raums. „Super. Und dann noch etwas, das man sich wünschen kann.“ „Vielleicht Schönheit?“, schlägt ein anderer Gast vor. Und so geht es weiter. Die Vorgaben schreibt die Moderatorin auf verschiedenfarbige Karten, die sie dann den Spielern in die Hand drückt. „Und wir brauchen noch einen Grund, warum sich vier Menschen in einem Restaurant treffen“, meint sie abschließend. „Ein Leichenschmaus“, ruft jemand. Allgemeines Gelächter und los geht’s mit dem improvisierten Langformat.

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Drei der vier Schauspieler betreten den Raum, umarmen sich schweigend, reden leise über die Trauerfeier. Schnell wird deutlich, dass es der Vater sein soll, der heute beerdigt wurde. Kurz später schlurft der Vierte im Bunde (Torben Lehning) im Schneckentempo herein und erfüllt damit seine Vorgabe „Schnecke“ bestens. Da ist es nicht verwunderlich, dass die anderen drei sofort reagieren und ihn zum Opa Joachim erklären. Der fängt von Beginn an zu nörgeln („Die Pilsener sind auch kleiner geworden“), wünscht sich die guten alten Zeiten zurück und wirft ab und an ein „das ist unfreundlich“ in die Runde. Ansonsten starrt Opa mürrisch auf seinen Teller, versucht mit seinen von Gicht befallenen Fingern vergeblich Trauben aufzuspießen und lässt sich ansonsten nicht allzu viele Worte entlocken.

Von Langzeitstudenten und Kachelöfen 

Nach und nach verteilen sich die Rollen. Im Spiel ergeben sich schon während der Vorspeise Vornamen, ein Familiennamen („Herrmann“), Berufe und Eigenschaften. Georg Lehmann mimt den schönheitsbesessenen Dauerstudenten Philipp, der sich gerne seine „Augen ein, zwei Zentimeter nach oben setzen lassen würde“. Durch seine teils absurden, aber sehr lustigen Einfälle bringt er immer wieder frische Energie in die Szene. Am liebsten würde Philipp die familieneigene Kachelofen-Firma verscherbeln. Sehr zum Unmut des ältesten Sohnes Harald (Felix Piechowiak). Der ist zuerst Tischler, dann Ofenbauer, dann beides. Eine kleine Unstimmigkeit, die den Spielfluss allerdings nicht weiter stört. Anne Autenrieb schlüpft als Tochter in die Rolle der pflichtbewussten Erzieherin Sarah, die gerne den Betriebskindergarten übernehmen würde und sich Sorgen macht, dass neumodische Elektroöfen („mal Aquarium, mal Lagerfeuer“) die Zukunft der Firma gefährden könnten. An manchen Stellen beziehen die Spieler das Publikum mit ein („Haben Sie etwa auch einen Elektroofen?“).

Dass die Herrmanns keine perfekte Familie sein dürfen, ist klar. Wer will sich schon gerne einen Abend lang harmonisches Geplänkel anhören? Deswegen improvisieren die vier Schauspieler Ehekrisen, decken längst vergessene Familiengeheimnisse auf („Opa, stimmt es, dass du damals Leute gefesselt hast?“) und lassen auch den Toten nicht ungeschoren davon kommen („Papa war ein cholerisches Arschloch“). Doch als Opa ausplaudert, dass Harald das ganze Vermögen erben soll, ist die Stimmung vollends im Keller. Da hilft auch der Schnaps nichts, mit dem sie gerade noch hatten anstoßen wollen. Um zum Ende zu kommen, zeigen sich die Vier dann etwas unerwartet doch wieder versöhnlich und schieben sich nach eineinhalb Stunden Spiel mit einem „Auf Papa!“ den Nachtisch in den Mund. Die Zuschauer können sich bei diesem schönen Familienzoff bestens amüsieren. Immer wieder schallt Gelächter durch den Raum. Denn selbst wenn die Spannung mal abzusacken droht, schaffen die Impro-Schauspieler es mit Witz und spontanen Einfällen der Szene wieder eine neue Wendung zu geben. Und so mancher Gast ist schon gespannt, was beim nächsten Mal aufgetischt wird – sowohl kulinarisch als auch inhaltlich.

Notausgang BU

Ein bisschen Impro zum Essen: „Notausgang“ macht’s möglich.

Über Notausgang 

Die 13 Mitglieder von Notausgang feiern in diesem Jahr das zehnte Jubiläum der Gruppe. Das Tischgespräch findet jeden vierten Donnerstag im Monat im Rosi ich bin im Park statt und kostet mit Drei-Gänge-Menü 20 € bzw. 18 € (ermäßigt). Die Idee für das Langformat kam den begeisterten Impro-Schauspielern vor zwei Jahren beim Berliner Impro Marathon in der Brotfabrik. Dort stellten sie zum ersten Mal einen Tisch auf die Bühne und überlegten, das Ganze einfach auch mal mit Essen zu machen. Ein gelungenes Konzept, das auf jeden Fall mehr Zuschauer verdient.

Die nächsten Termine:
Fr., 10. April 2015: Impro-Bingoshow um 20:00 Uhr im Jugendkulturzentrum Königstadt

Sa., 18. April 2015: Show um 20:00 Uhr im BühnenRausch
Do., 23. April 2015: Tischgespräch um 19:30 Uhr im Rosi ich bin im Park
Sa., 25. April 2015: Berliner Impro Marathon ab 15 Uhr in der Brotfabrik

Mehr Infos und weitere Termine: http://www.notausgang-berlin.de

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Kommentare:

  • Gunter Haedke sagt:

    Der Leichenschmaus war ein Abend, der optimistisch und neugierig auf die Zukunft der Improtheatergruppe Notausgang macht. Wer es schon einmal versucht hat, weiß wie schwer es ist. Deshalb hatten die Akteure auch den wohlwollenden Beifall verdient. Leider macht mich die Besprechung von Marina Strauß mißtrauisch für kommende Kritiken.
    Aus gutem Grund dauern Improtheaterstücke in der Regel längstens 15 Minuten, es ist verdammt schwer über eine längere Zeit den Spannungsbogen zu halten. Der Abend dauerte 1 1/2 Stunden – und das am Stück. Die Spontaneität ging darüber verloren. Es gab verdammt viele Hänger und der Zusammenhang ging oft verloren. Zudem konzentrierte sich die Aufführung fast ausschließlich auf Text und Sprache. Die Möglichkeit, Bewegung, Mimik und Rückkoppelung ins Publikum als Abwechslung zu nutzen wurde leider – fast – gar nicht wahrgenommen. Die Besprechung hinterläßt einen unvollkommenen Eindruck und erweist so den Impro Darstellern einen Bärendienst. Nun werde ich mich wohl auf keinen Fall mehr auf Empfehlungen in Neuköllner.Net verlassen. Ich habe das Gefühl, auf einer völlig anderen Verstaltung gewesen zu sein.
    Den Akteuren habe ich meinen Eindruck mit Lob und Kritik und Anregungen für weitere Auftritte dargestellt und ich hatte das Gefühl, damit auch angekommen zu sein. Mit der Rezensentin habe ich auch darüber gesprochen. Ein wenig kritische Distanz würde ihr gut anstehen, denn ich wünsche der Impro Truppe Anregungen und eine gute Entwicklung. Aber den Rezensionen muss ich erst einmal mißtrauen.