von Beate Scheder
Wie in Zeitlupe bewegt sich der Tänzer durch den Raum. Die Langsamkeit gehört zum Konzept der Performance, ist aber auch pure Notwendigkeit: Um die Hüften trägt er nämlich einen Rock aus einer hauchdünnen Plastikfolie, die den ganzen Fußboden bedeckt. Eine unvorsichtige Bewegung und er würde sie zerreißen. Besonnen steht er also da, lauscht dem Rauschen, das der Wind verursacht, der die Folie in Wellen versetzt und schreitet dann wieder gemächlich von Wand zu Säule und zurück.
Die Performance ist Teil von „Stravaganza“, dem Beitrag des Neuköllner Projektraums Agora zum Project Space Festival, das am Freitag begonnen hat, und gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit dem Konzept eines Festivals an sich. „Wir haben uns überlegt, was es bedeutet, zu feiern und welche Rituale und Symbole mit dem Feiern verknüpft sind“, erklärt Caique Tizzi. Tizzi ist einer der Gründer von Agora und Mitglied von dessen Künstlerkollektiv – außer ihm gehören dazu Beth Dillon, Renata Har und Tomás Espinosa – das für „Stravaganza“ verantwortlich ist. Neben der Plastik-Folien-Performance im obersten Stock, gibt es noch eine weitere, die alle 40 Minuten im Garten zwischen den Apfelbäumen stattfindet. Künstlerin Beth Dillon steigt dafür im überlangen Glitzerkostüm auf eine Leiter, so dass sie wie eine riesenhafte, silberne Spielfigur aussieht, und spricht einen hymnenhaftes Toast auf Agora.
Vom Dach des Backsteinbaus flattern indes silberne Luftballons und im Café im Erdgeschoss sind die Tische so mit Mehl überschüttet, dass man es mit ein wenig Phantasie für Kokainberge halten könnte. Die Materialien sind einfach und das soll auch so sein. Die Künstler wollen so auf die prekäre Realität von Projekträumen anspielen: Da diese nicht auf Profit ausgerichtet sind, machen sie sich einerseits mit viel Idealismus frei von den wirtschaftlichen Strukturen des Kunstmarkts, andererseits hat das auch oft Selbstausbeutung und einen ständigen Kampf ums Überleben zur Folge. Agora etwa kann sich nur deshalb halten, weil sie mit Coworking-Plätzen und dem Café andere Einnahmequellen geschaffen haben. „Wir haben unsere Idee Stravaganza genannt, weil wir Wege zeigen wollten, extravagant zu erscheinen, ohne viel Geld dahinter,“ erläutert Renata Har.
Das Festival will die Bandbreite von Projekträumen zeigen
An die 150 Projekträume soll es in Berlin geben. Sie zu zählen ist schlicht unmöglich, immer wieder sprießen sie im Leerstand hervor, manche davon bleiben bestehen, andere sind nur temporär. Was sie für die Kunststadt Berlin so bedeutend macht, ist die Vielfalt und Lebendigkeit, mit der sie die Institutionen ergänzen: Die einen sind etabliert, die anderen nur Geheimtipps. Manche könnte man mit ihrem auf Ausstellungen fokussierten Programm fast für kommerzielle Galerien halten, andere nutzen ihre Unabhängigkeit vom Markt für Experimente. Es gibt welche, die nur fünf Quadratmeter groß sind oder nur aus einem Schaufenster besehen, andere umfassen – wie etwa Agora – ein ganzes Haus.
Eben dieses breite Spektrum will das Project Space Festival präsentieren. Einen ganzen Monat lang öffnet jeden Tag ein anderer Raum seine Türen für einen besonderen Programmpunkt. Ausgedacht haben sich das Ganze Marie Graftieaux, Nora Mayr und Lauren Reid. Sie sind selbst Kuratorinnen eines Projektraums: Insitu befindet sich in einem Zwei-Zimmer-Ladenlokal im Souterrain in der Kurfürstenstraße und veranstaltet seit 2013 Ausstellungen, Talks, Performances und Video-Vorführungen. In diesem Jahr beschäftigen sie sich dabei mit Netzwerken, Beziehungen und Verbindungen. Das Project Space Festival gehört zu diesem Programm dazu. Graftieaux, Mayr und Reid wollen das Festival jedoch fortan in jedem Jahr auf die Beine stellen. In den folgenden sollen sich die Räume dafür bewerben können und eine Jury wird die Auswahl treffen. In diesem war die Zeit dafür zu knapp. Die drei Kuratorinnen suchten sich die 30 Teilnehmer selbst aus. „Wir haben viele Leute getroffen und nach Empfehlungen gefragt. Es ging uns aber nicht darum, die besten zu finden, sondern die Vielfalt der Projekträume zeigen“, erklärt Graftieaux.
Und welcher Monat eignet sich für die Veranstaltungsreihe besser als der August? Die Galerien haben Sommerpause, Konkurrenz gibt es kaum und die Leute haben Zeit. Das Festival richtet sich aber keineswegs nur an die Szene, sondern soll ein breites Publikum ansprechen und Hemmschwellen bei denjenigen abbauen, die sich vorher vielleicht nicht hineingetraut haben. „Die Projekträume sind für alle offen“, betont Graftieaux. Und das spiegelt sich auch in den Programmpunkten wieder, die weniger auf hochintellektuelle Diskurse, sondern mehr auf sommerliche Leichtigkeit setzen: Viele Veranstaltungen haben mit Essen oder mit Musik zu tun und einiges findet zu familienfreundlichen Zeiten tagsüber statt.
www.projectspacefestival-berlin.com
Weitere Veranstaltungen des Festivals in Neukölln:
Di, 12.08.2014: Premiere des Super8-Films “The Interval” von Úna Quigley.
20:00 Uhr, Centrum,
Reuterstraße 7-8
Mo, 18.08.2014: Performance inklusive Dinner zum Thema Mobilität
19:00 Uhr, Apartment Project, Hertzbergstraße 13
Mi, 20.08.2014 Installation von Brad Downey und vegetarisches BBQ
19:00 – 22:00 Uhr, NuN, Isarstraße 4
Der Artikel ist am 4. August in der Berliner Zeitung erschienen.