Eine Stadt in der Stadt

Die Weiße Siedlung gibt es seit den 70erJahren. Foto: Hiroyuki Koshikawa

Die Weiße Siedlung gibt es seit den 70er Jahren. Foto: Hiroyuki Koshikawa

Wie stark sich die Lebensrealität verändern kann, ist oft eine Frage weniger Kilometer. Um diese Veränderung der Stadt und des Lebens in Neukölln zu erfahren, muss man nur die Sonnenallee runter gehen, bis zur Hausnummer 280.

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Mittwoch, 6. August 2014

Hinter dem S-Bahnhof löst sich das gewohnte Muster der Straßen allmählich auf. Man überquert den Kanal, an dessen Ufer das „Estrel“-Hotel mit kantigem, architekturmodernen Stolz vor sich hinfunkelt. Dahinter warten leere Fabrikhallen und Gewerbebauten auf ihren Abriss. Das Trümmerfeld einer ehemaligen Kleingartenkolonie, die man für den Bau der Stadtautobahn A100 vorsorglich dem Erdboden gleichgemacht hat, verbreitet Trostlosigkeit. Ein Stück weiter, auf der anderen Straßenseite, haben McDonald’s und Aldi überlebt.

Über dieser Randzone, dort wo die Stadt im Umbruch ist, wo Berlin ausfranst, erhebt sich wie ein schneeweißes Bergmassiv die Weiße Siedlung. In den 70er Jahren wurde sie hier gebaut und die Zeit hat auf den scharfkantigen, weißen Wohntürmen ihre Spuren hinterlassen. Hinter den Fenstern drängen sich 1.678 Wohnungen. „Damals war man froh hier zu wohnen, so günstig und modern“, erzählt die Kioskbesitzerin, die am Fuß des mächtigen Häusermassivs Lottoscheine, Getränke und Zigaretten verkauft. Sie lebt gern hier, auch wenn sich viel verändert hat. Viele fremde Menschen seien hierher gezogen, die so eine ganz andere Lebensweise hätten, sagt sie. Sie erzählt von Einbrüchen und schmutzigen Wohnungen, als sei es eine Selbstverständlichkeit, als könne man von den neuen Nachbarn, von denen sie jedoch kaum etwas zu wissen scheint, nichts anderes erwarten.

Verwahrloste Häusermeere

 Fast 4000 Menschen leben in den Hochhauskomplexen. Foto: Hiroyuki Koshikawa

Fast 4000 Menschen leben in den Hochhauskomplexen. Foto: Hiroyuki Koshikawa

Was soll man erwarten, wenn man in die Weiße Siedlung kommt? Fassaden funktionieren schon von sich aus wie Vorurteile, sie verhindern den Blick auf das Leben der Menschen. Mit Zahlen ist es ähnlich. Von den 3.983 Menschen, die in der Weißen Siedlung leben, sind 13% arbeitslos, 56% leben von Sozialleistungen (Gesamtdurchschnitt Berlin 15%) und etwa 68% haben einen Migrationshintergrund (Zahlen von 2011, Quelle QM-Weisse Siedlung).

Zwischen den Häusern ist es idyllisch grün, Kinder jagen mit ihren kleinen Fahrrädern über die Asphaltwege. Erwachsene sieht man nur wenige. In diese etwas melancholische Stille, inmitten dieses heruntergekommenen Häusermeers, dringt nur der Lärm vom Fußballplatz. Hier geht Edda mit ihrem kleinen Hund spazieren. Sie fühlt sich wohl hier. Eine “kleine Stadt in der Stadt” sei die Weiße Siedlung irgendwie und wer hier ankomme, so erzählt sie lächelnd, hat zwischen all den gleichen Wohntürmen manchmal Schwierigkeiten seine eigene Wohnung zu finden. Edda kann gut verstehen, dass die Weiße Siedlung auf den ersten Blick abschreckend wirkt, aber vieles sei besser geworden. Dank der Kiezstreife fühle man sich auf dem Nachhauseweg sicherer. Es gibt einen Kieztreff, alle paar Wochen ist Flohmarkt und nebenan wird gerade der Spielplatz renoviert. Die eigenen Nachbarn kenne man hier eher flüchtig, sagt Edda, aber gegen Anonymität, meint sie, helfe nur selbst vor die Tür zu gehen.

Buschkowsky und der längste Schal Berlins 

Das alltäglich Nahe kann machmal weit entfernt sein, in dieser architektonischen Matrix, in der alles so selbstverständlich beieinanderliegt, wie in einem kleinen Dorf. Die Wege woanders hin, raus aus der Weißen Siedlung, sind noch viel weiter. Danuki und ihre Mutter sind gerade auf dem Weg zum Einkaufen. Sie würden am liebsten hier weg, weil Fahrstuhl und Hausflur so dreckig seien, dass man sich schäme Gäste einzuladen. Als die Familie vor 20 Jahren aus Sri Lanka nach Berlin in die Weiße Siedlung kam, waren sie hier sehr glücklich, aber die Nachbarn wechselten schnell und wenn keiner sich kennt, verwahrlost das Treppenhaus. Danuki ist jetzt ausgezogen, in die renovierte Mietskaserne gegenüber.

Erika Rosenberger versucht die Menschen aus der Weißen Siedlung zusammen zu bringen. Foto: Hiroyuki Koshikawa

Erika Rosenberger versucht die Menschen aus der Weißen Siedlung zusammen zu bringen. Foto: Hiroyuki Koshikawa

Um die Weiße Siedlung herum, kümmern sich viele Menschen darum, dass das Zusammenleben hier, trotz widriger Umstände, funktioniert. In dem kleinen Büro von Erika Rosenberger ist aber erstmal Raucherpause. Drei Frauen stehen an der Heizung und ziehen genüsslich an ihren Zigaretten. Ein kleiner Hund wuselt über den glattgewischten Linoleumboden zur Tür hinaus. Frau Rosenberger leitet den Nachbarschaftstreff “Sonnenblick”, den die „Kubus GmbH“ hier betreibt. Sie denkt sich Aktivitäten aus, die die Bewohner aus der Weißen Siedlung zusammenbringen sollen. Es gibt ein regelmäßiges Frauenfrühstück, Näh- und Computerkurse, Sprachkurse und eine Sozialberatung. Bei der Freude, die die quirlige Berlinerin ausstrahlt, bekommt man den Eindruck, dass es hier trotz sozialer Schwierigkeiten und kultureller Unterschiede nichts gibt, das man nicht gemeinsam lösen könnte. Die einzigen wirklichen Probleme, die Frau Rosenberg kennt, sind Sprachprobleme. Zusammen mit ihren Kolleginnen hat sie mit stolzen 1215 Metern den längsten Schal Berlins gestrickt. Mit ein paar übriggebliebenen Schals vom Weihnachtsbazar hatte alles hier im “Sonnenblick” begonnen und ist zu einem kiezübergreifendes Projekt geworden. Ende Oktober durfte Heinz Buschkowsky das Wollungetüm streicheln und für einen guten Zweck versteigern.

Das Sozialkaufhaus Carisatt trumpft mit Schnäppchen auf. Foto: Hiroyuki Koshikawa

Das Sozialkaufhaus Carisatt trumpft mit Schnäppchen auf. Foto: Hiroyuki Koshikawa

Nicht weit vom “Sonnenblick” entfernt, gibt es im Sozialkaufhaus „Carisatt“ Lebensmittel zu reduzierten Preisen. Alles da, von Brot, Konserven und Tiefkühlgemüse bis zu Gelierzucker und Gurkenaufguss. Ältere Menschen mit kleinen Renten, Hartz 4 – und Sozialhilfeempfänger kommen hierher. Ob es einen Grund dafür gibt, dass ihr Sozialkaufhaus gerade hier neben der Weißen Siedlung steht, das wissen die beiden Verkäuferinnen auch nicht so recht.

Glückliche Inselbewohner?

Auch wenn die Fassaden bröckeln, scheint die Weiße Siedlung trotzdem alles andere als ein “Ghetto” zu sein, sondern ein ganz normaler Ort, an dem Menschen unter nicht immer einfachen Umständen zusammenleben. Die Weiße Siedlung sei eine “überschaubare Insel in der Stadt”, heißt es im aktuellen Handlungskonzept des Quartiersmanagements. Bleibt fraglich, ob die Inselbewohner hier auch wirklich glücklich sind und die Möglichkeit und Wahl haben, ihr ruhiges, grünes Eiland mit den maroden Wohnblöcken zu verlassen? Ist das Wohlfühlwohnen im Grünen, das hier angepriesen wird, nur die notdürftige Verschönerung eines Problemkiezes?

Der Nachbarschaftstreff “Sonnenblick”, der Jugendclub “Outreach”, das Sozialkaufhaus “Carisatt” und eine Miet- und Schuldnerberatung … rund um die Weiße Siedlung reihen sich die Einrichtungen der Sozialdienste wie in einem kleinen Gewerbegebiet vor der großen Stadt. Sie lösen die Probleme der Weißen Siedlung aus der Belagerungsposition heraus. Während  das QM  Finanzierungserfolge auflistet, sucht man ein stadtpolitisches Handlungskonzept, das die Integration der Weißen Sieldung in das “innerstädtische” Leben fördern könnte, vergebens. Eigentlich sollten Städte Räume eröffnen für Unterschiedlichkeiten, mit neuen Verbindungen, Freiheiten und Veränderungen. Soll die Weiße Siedlung wirklich eine Stadt in der Stadt bleiben? Aus der Außenperspektive lässt sich das alles schwer beurteilen.

Wer wirklich wissen will, wie es ist in der Weißen Siedlung zu leben, der muss hierher kommen. 60m2 warm kosten etwa 550 Euro.

Kommentare:

  • notmsparker sagt:

    Ein toller text über eine sehr interessante Gegend. Manche Orte die man besuchen soll sind keine Orte die selbstverständlich „besuchswert“ sind.

  • B.Döhring sagt:

    Ich bin Rentnerin, wohnen zu zweit in einer 70 qmgrossen Wohnung ,dieser Siedlung.die Mieten steigen ständig 700 Euro angekommen,aber nichts passiert in den Häusern.Keine Strangsanierungen,immerzu Rohrbrüche,die geflickt werden.Durch die verschiedenen Einwanderer mit Ihrer Mentalität ,Lebensgewohnheiten ist es sehr schwer zu verstehen,dass nichts geändert werden kann oder nichts ändern möchte.ramponierte Autos auf abgeschl.Parkplätze.Nächtliche Ruhestörungen,die man hin nehmen muss.